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Neue Runde im „Quoten-Pingpong“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat am Freitag nach einem Besuch in Asyl-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen seinen Bericht veröffentlicht und darin ein „strukturelles Versagen“ der Asylpolitik und mangelnden politischen Willen ausgemacht. Dass die Zustände in Traiskirchen untragbar sind, räumte Peter Webinger aus dem Innenministerium am Freitagabend in der ZIB2 offen ein und sprach von einer „Unterbringungskrise“.

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Verantwortung aufseiten des Innenressorts sieht der Leiter der für Asyl und Migration zuständigen Abteilung aber weiterhin nicht: „Die Lösung wäre darin, wenn die Länder die Quote erfüllen, dann gibt es die Situation nicht.“

„Wir haben ein Symptom in Traiskirchen, für ein System das derzeit nicht richtig funktioniert. Hier müssen wir auf den Föderalstaat fokussieren“, so Webinger in Anspielung auf die vereinbarte - und derzeit von der Mehrzahl der Länder nicht erfüllte - Quote zur Unterbringung von Flüchtlingen. „Es ist ein Gefäß, in das immer mehr und mehr hineingeschüttet wird, aber die neun Abflüsse funktionieren nicht“, sagte er im Hinblick auf die nicht funktionierende Verteilung der Asylwerber auf die Bundesländer.

Webinger nennt Gründe für die Traiskirchen-Misere

Der im Innenministerium für Asyl zuständige Gruppenleiter Peter Webinger sieht in der Weigerung der Länder, ihre Quoten zu erfüllen, den Grund für die Traiskirchen-Misere.

„Von Gemeinden sabotiert“

Man versuche, Bundesquartiere zu schaffen, werde dabei aber von den Verantwortlichen in den Gemeinden behindert: „Wir sind in vielen Bereichen kurz vor der Realisierung, werden dann aber sabotiert“, wenn auch in rechtsstaatlicher Weise, sagte er. Denn die Kompetenzen etwa im Bereich des Wohnrechtes und der Flächenwidmung lägen bei den Gemeinden, und hier gebe es ein „gezieltes Verhindern“ durch die Zuständigen der jeweiligen Gemeinden. Der Ressortbeamte verwies auch darauf, dass „in über der Hälfte der Gemeinden“ keine Asylwerber untergebracht seien.

Webinger setzt darauf, dass die prekäre Lage zu einem Umdenken bei den Landes- bzw. Gemeindeverantwortlichen führt: „Wir sind eigentlich dankbar dafür, dass diese Bilder die Verantwortungsträger in diesem Land vielleicht einmal wachrütteln.“ Die bereits angekündigte neue Verfassungsbestimmung über ein Durchgriffsrecht bei der Schaffung von Quartieren soll zudem Erleichterung bringen. Die schnelle Umsetzung dieses Durchgriffsrechts wird auch von den Hilfsorganisationen gefordert.

Pühringer empört über Kritik

Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) reagierte am Samstag empört auf Webingers Vorwürfe. Er "lasse sich nicht vom Ministerium kritisieren“ so Pühringer und wies die Kritik "im Namen aller Landeshauptleute entschieden zurück“. Vielmehr funktioniere das neue Aufteilungssystem nicht. „Seit über einer Woche haben wir über 100 Plätze in Oberösterreich frei und warten auf die Zuteilung“, so Pühringer - mehr dazu in oesterreich.ORF.at

„Der Reaktion von Pühringer ist nicht viel hinzuzufügen“, merkte der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) in einer Aussendung an. Die Länder und viele Gemeinden würden „alles Menschenmögliche“ in der Asylfrage tun: „Wir brauchen einen nationalen Schulterschluss zwischen Gemeinden, Ländern und dem Bund. Und wir brauchen endlich eine solidarische europäische Flüchtlingsquote.“

AI: „Skandal der Nachlässigkeit, des Desinteresses“

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, bezeichnete die Situation in Traiskirchen bei einer Pressekonferenz am Freitagvormittag als „selbst erzeugten Pseudonotstand“. Für Patzelt ein „Skandal der Ignoranz, der Nachlässigkeit, des Desinteresses“. Die Bundesregierung und die Landeshauptleute kämen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nicht nach, so Patzelt. Das „Quoten-Pingpong“ sei „unerträglich“.

Heinz Patzelt über den Traiskirchen-Bericht

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, kommentiert das Ergebnis des AI-Berichts über das Asyllager in Traiskirchen.

Mikl: „Werden ‚möglichsten Beitrag‘ leisten“

„Was wir jetzt nicht brauchen, sind Polarisierungen und ein Wettbewerb in der Beschreibung von Missständen“, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Freitag nach der Veröffentlichung des AI-Berichts. Denn es sei jedem klar, dass die Situation nicht tragbar sei. Seit dem AI-Besuch seien bereits Verbesserungen vorgenommen worden, betonte die Ressortchefin. Die Gespräche mit AI seien konstruktiv gewesen und würden fortgesetzt. Das Ministerium werde den „möglichsten Beitrag“ zu einer Problemlösung leisten, versicherte Mikl-Leitner.

Durchgriffsrecht soll Erleichterung bringen

Daher drängt das Innenressort auf das geplante Gesetz, mit dem der Bund künftig selbst Asylquartiere errichten kann, wenn die Länder säumig bleiben. Mittels dieses Gesetzes soll ein Durchgriffsrechts bei den Widmungen für Flüchtlingsunterkünfte geschaffen werden, das sei „ganz entscheidend“, sagte Webinger. „Wir müssen jetzt einen Modus finden, wie können wir 35.000 Plätze noch heuer schaffen, das sind die Herausforderungen. Das wird nur gehen, wenn wir ein System finden, das nicht so kompliziert ist mit Bundesländerquote, mit einer Länderquote und einer Gemeindequote.“

AI-Generalsekretär Heinz Patzelt, Leiterin des Research Teams, Daniela Pichler und der medizinische Experte Siroos Mirzaei

APA/Georg Hochmuth

Vernichtende Kritik bei der Pressekonferenz

1.500 Menschen müssen im Freien schlafen

AI war vergangene Woche in Traiskirchen, um sich nach immer lauter werdender Kritik an der Unterbringung ein Bild davon zu machen. Das Team aus Menschenrechtsexperten, Ärzten und Dolmetschern konnte sich nach einer Führung mehrere Stunden frei in dem Lager bewegen. Im Rahmen der Research-Mission habe man mit 30 Asylwerbern gesprochen, erklärt Teamleiterin Daniela Pichler. In Traiskirchen waren zu dem Zeitpunkt etwa 4.500 Menschen untergebracht, Hunderte schliefen in Zelten - fixe Unterkünfte stehen für knapp 2.000 Personen zur Verfügung. Etwa 1.500 Menschen müssten im Freien schlafen, so AI, dazu kämen noch jene, die außerhalb des Geländes übernachteten.

„Traiskirchen ist das zentrale Symptom für ein weitreichendes strukturelles Versagen des föderalen Österreich im Umgang mit Asylwerbern“, so das vernichtende Urteil von AI. Die zentralen Kritikpunkte: völlige Überbelegung, unzureichende medizinische und soziale Versorgung, leicht vermeidbare administrative Hürden, Verzögerung beim Weitertransport in andere Einrichtungen sowie eine besonders prekäre Situation für Kinder und Jugendliche, die ohne elterliche Begleitung nach Österreich gekommen sind.

Minderjährige „sich selbst überlassen“

Eine besonders prekäre Situation stelle jene der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dar. „Sie sind derzeit nicht ausreichend geschützt in Traiskirchen, sondern de facto vollkommen sich selbst überlassen“, kritisiert Pichler und ortet eine Verletzung der UNO-Kinderrechtskonvention. Auch für eine weitere besonders schutzbedürftige Gruppe - die Frauen - bestehe kein ausreichender Schutz in Traiskirchen. So gebe es etwa unter den Obdachlosen Schwangere und Frauen mit neugeborenen Kindern.

Die Duschen in den Sanitäranlagen müssten gemischt genutzt werden, es gebe nur Nischen ohne Vorhänge. Die Sanitäranlagen befänden sich außerdem in einem „fürchterlichen hygienischen Zustand“. Viele Asylwerber müssten sich stundenlang bei sengender Hitze um ihre Identitätskarten anstellen, berichtet Pichler. Schon ein einfaches Wartenummernsystem wäre eine „deutliche Verbesserung“. Mangelhaft sei auch die medizinische Versorgung. Für die Tausenden Flüchtlinge, teils mit traumatischen Kriegserfahrungen, stehen insgesamt nur vier Ärzte und drei Psychologen zur Verfügung.

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