Die Geburtsstunde des Digitalzeitalters
Gut 135 Jahre nach der Erfindung der Fotografie durch die Franzosen Louis Daguerre und Joseph Niepce hat ein Kodak-Ingenieur 1975 den Grundstein für die größte Umwälzung der Fotoindustrie - die Digitalisierung - gelegt. Steven J. Sasson gelang es, Bilder ganz ohne Negativ sichtbar zu machen. Dass Kodak, damals Weltmarktführer in Sachen Film und Abzug, seine Erfindung stiefmütterlich behandelte, sollte sich später rächen.
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„Tragbarer elektronischer Fotoapparat mit Playbacksystem“: Die erste Bezeichnung für eine Digitalkamera war klobig – und hatte viel gemein mit ihrem Aussehen. Der blau-silberne Apparat, den der 25-jährige Sasson vor 40 Jahren baute, hat mit heutigen Digitalkameras kaum etwas zu tun. Er sah mehr aus wie das Produkt eines Bausatzes, bunt zusammengewürfelt. Als Linse diente eine gebrauchte Super-8-Kamera, als Speichermedium eine Kassette, betrieben wurde der vier Kilo schwere Kasten von 16 handelsüblichen Batterien.

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Mit einer modernen Digicam hat Sassons Apparatur wenig gemein
Taschenrechner als Vorbild
In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sprach der Erfinder von seiner Inspiration: „Plötzlich gab es diese Taschenrechner, die jedes Jahr billiger und kleiner wurden. Da kam mir der Gedanke: Warum kann die Kamera nicht ein Taschenrechner mit Linse dran sein? Beide haben Knöpfe, in beiden wird etwas berechnet.“ Ermöglicht wurde die Umsetzung von Sassons Idee durch die Erfindung des CCD-Sensors einige Jahre zuvor, der bis heute das Herzstück digitaler Kameras bildet.
Ursprünglich entwickelt, um Daten zu speichern, entdeckte man schnell, dass CCD-Sensoren lichtempfindlich sind und zweidimensionale Bilder erfassen können. Die Bildsensoren bestehen aus mikroskopisch kleinen Fotodioden, jede Diode entspricht einem Pixel. Je größer die Fläche der Pixel ist, desto lichtempfindlicher ist der Sensor. Großflächige Pixel haben aber auch eine geringe Auflösung zur Folge. Sassons Kamera fotografierte in Schwarz-Weiß, das Ergebnis war ein Bild mit 10.000 Pixeln, das man mittels Kassette auf einem Fernseher ansehen konnte.
Perfektes Geschäftsmodell mit Ablaufdatum
In den 70er Jahren war Kodak am Zenit seiner Marktherrschaft angelangt. Von den Kameras über Filme und Abzüge versorgte das in Rochester gegründete Unternehmen alle Stationen bis zum fertigen Foto. Kodaks Marktdominanz war beträchtlich, in den USA besaß die Firma ein Quasimonopol auf fotografische Prozesse. 1976 waren 90 Prozent der verkauften Filme und 85 Prozent der verkauften Kameras mit dem sonnengelben Kodak-Logo versehen, wie der „Economist“ berichtete.

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Ende eines elitären Männerhobbys: Bereits in den 1920ern begann Kodak mit weiblichen Sujets zu werben
Den Grundstein dafür legte George Eastman 1888: Er brachte einen einfach zu bedienenden, mit Rollfilm funktionierenden Fotoapparat auf den Markt. Das Motto „You press the button – we do the rest“ war Programm. Nachdem man alle Bilder verschossen hatte, wurde die ganze Kamera an Kodak geschickt. Mit den fertigen Abzügen und mit unbelichtetem Film geladen bekam man sie wieder zurück.
Ein Massenphänomen entsteht
Eastman machte die Fotografie für die breite Masse erschwinglich. Ende des 19. Jahrhunderts noch das Vergnügen reicher Männer, wurde mit Kodak das Bilderschießen ein Massenphänomen. Möglich wurde das durch mehrere Faktoren. Vorbei war die Zeit, als sich Fotografen mit einem schweren Stativ und mehreren Filmmagazinen abschleppten. Zudem war die Handhabung der Kodak-Kameras kinderleicht.
Den ersten durchschlagenden Erfolg feierte Kodak mit der „Brownie No.2“, einer Boxkamera. Sie war billig, weil aus Karton hergestellt, und fertigte rechteckige Bilder im Format 6x9 an. Ab 1901 produzierte Kodak über 2,5 Millionen Stück der Kamera. Sie verwendete den von Eastman popularisierten Rollfilm. Neben dem Geschäft mit den Kameras wurde die Herstellung von Filmen schnell zum Hauptstandbein von Kodak. Dauerbrenner blieb über die Jahre beispielsweise der Diafilm Kodachrome, der von 1935 bis 2009 hergestellt wurde.

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George Eastman (links) und Thomas Edison (rechts) posieren mit dem Rollfilm und dem Projektionskinetoskop, die dem modernen Kino den Weg ebneten
Der Digitalzug fährt ohne Kodak ab
Doch mit der fortschreitenden Digitalisierung ging der schleichende Untergang des Unternehmens einher. 2007 lief das Patent für die Digitalkamera, die Sasson konstruiert hatte, aus. Jahrelang hatte sich Kodak damit eine goldene Nase verdient, den engagierten Einstieg in die digitale Fotografie wagte das Unternehmen aber nicht, wie die „New York Times“ in einem Artikel über Sasson schrieb.
Jahrzehntelang hatte Kodaks Geschäftsmodell hervorragend funktioniert: Man verkaufte billige Kameras und verdiente anschließend jahrelang an den Filmen, die für die Kamera nötig waren. Der Abschied von diesem Modell fiel so schwer, dass die Firmenleitung die Chance, die sich durch die Erfindung Sassons auftat, ungenützt verstreichen ließ.
Ära geht nach 131 Jahre zu Ende
Nachdem im Jahr 1996 ein Rekordergebnis von knapp 16 Milliarden Dollar eingenommen worden war, setzte die Talfahrt ein. Der Aktienwert schrumpfte in den vergangenen Jahren um fast 90 Prozent. Hatte Kodak 1988 noch 145.000 Mitarbeiter, so waren es 2010 nur noch 18.800. Nach 131 Jahren im Kamera- und Filmbusiness meldete Kodak 2012 Insolvenz an. Gleichzeitig wurde der weitgehende Ausstieg aus dem Fotogeschäft verkündet, die Herstellung von Digitalkameras wurde eingestellt.

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Das Geschäft mit den Filmspulen hat Kodak mittlerweile abgegeben
Finanziell wieder auf die Beine kommen wollte die Firma mit dem Verkauf von über tausend Patenten im Fotografiebereich, der Erlös blieb aber unter allen Erwartungen, wie „Die Presse“ berichtete. Mit dem Geld wird nun versucht, die letzten Reste des Unternehmens zu retten. Mittlerweile hat man sich auf die Herstellung von Industriedruckern spezialisiert.
Kodak scheiterte auch an sich selbst
Die Gründe, warum Eastmans Erfolgsstory an den Hürden der Digitalsierung scheiterte, sind vielfältig. Viele Entwicklungen floppten, zum Beispiel die Kodak-Disc von 1985, die den Filmstreifen ersetzen sollte. Auch das Geschäft mit der Digitalisierung von analogen Negativen war „vergebene Liebesmüh’“, die meisten Konsumenten stiegen einfach auf Digitalkameras um.
Eastmans Philosophie, seiner Zeit als Innovationsmotor voraus zu sein und primär die Wünsche der Kunden zu bedienen, wurde Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr Rechnung getragen. Eine Analyse im „Economist“ kam bereits vor drei Jahren zu einem anderen Schluss: Der Perfektionismus hätte Kodak im immer schnelllebigeren Technologiebusiness geschadet. Außerdem hätte die Führungsriege kaum interne Kritik zu hören bekommen. Rochester, das stark von der lange Zeit prosperierenden Firma profitierte, sei zu zum sprichwörtlichen Elfenbeinturm geworden, schreibt das britische Wirtschaftsmagazin.
David Tiefenthaler, ORF.at
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