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Ministerin verweist auf Verbesserungen

Das Innenministerium reagiert relativ gelassen auf den am Freitag von Amnesty International (AI) veröffentlichten Bericht zum Asylerstaufnahmezentrum Traiskirchen. Die Rede ist darin von Menschenrechtsverletzungen, „Elend“ und „strukturellem Versagen“. Das Ministerium zeigt sich davon nicht überrascht.

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Das sei durch die „sprunghaft angestiegene Zahl an Asylsuchenden“ entstanden, hieß es in einer Stellungnahme. Die Situation sei „prekär, es handelt sich um eine Ausnahmesituation“, das habe das Ministerium bereits vor Wochen festgestellt. Im aktuellen Versorgungsmodell sei die Verantwortung zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, es gebe Länderquoten und Gemeindekompetenzen, mit denen aber die Aufnahme von Flüchtlingen verhindert werden kann.

Die Bundesländer erfüllen ihre Quoten nicht, und der Bund könne inzwischen den Mehrbedarf nicht mehr abdecken, hieß es weiter. Die bereits angekündigte neue Verfassungsbestimmung über ein Durchgriffsrecht bei der Schaffung von Quartieren soll das nun ändern.

Mikl-Leitner verwehrt sich Polarisierungen

„Was wir jetzt nicht brauchen, sind Polarisierungen und ein Wettbewerb in der Beschreibung von Missständen“, erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Denn es sei jedem klar, dass die Situation nicht tragbar sei. Seit dem AI-Besuch seien bereits Verbesserungen vorgenommen worden, betonte die Ressortchefin. Eine nachhaltige Lösung sei aber nur auf europäischer Ebene möglich. Als Akutmaßnahme brauche es die Unterstützung des Bundesheeres sowie der NGOs, der Länder und Gemeinden. Die Gespräche mit AI seien jedenfalls konstruktiv gewesen und werden fortgesetzt. Das Ministerium werde den „möglichsten Beitrag“ zu einer Problemlösung leisten, versicherte Mikl-Leitner.

„Unterbringungskrise“

Peter Webinger, Leiter der für Asyl und Migration zuständigen Abteilung, sprach in der ZiB2 am Freitag von einer „Unterbringungskrise“. Auch der Abteilungsleiter sieht vor allem die Länder in der Pflicht: „Wir haben ein Symptom in Traiskirchen, für ein System das derzeit nicht richtig funktioniert. Hier müssen wir auf den Föderalstaat fokussieren“, so Webinger in Anspielung auf die vereinbarte - und derzeit von der Mehrzahl der Ländern nicht erfüllten - Quote zur Unterbringung von Flüchtlingen.

Webinger nennt Gründe der Traiskirchen-Misere

Der im Innenministerium für Asyl zuständige Gruppenleiter Peter Webinger sieht in der Weigerung der Länder, ihre Quoten zu erfüllen, den Grund für die Traiskirchen-Misere. Zudem stelle AI einige Probleme verkürzt dar.

Dass die Zustände in Traiskirchen untragbar sind, räumte Webinger zwar offen ein - Verantwortung aufseiten des Innenressorts schob Webinger aber weg: „Die Lösung wäre darin, wenn die Länder die Quote erfüllen, dann gibt es die Situation nicht“. Auch Kritik an der vom Innenministerium mit der Betreuung der Flüchtlinge in Traiskirchen beauftragten Firma ORS ließ Webinger nicht gelten: Denn es gehe darum, dass in Traiskirchen eine Infrastruktur für 1.820 Personen bestehe, jetzt aber teils mehr als 4.000 Personen dort untergebracht sind. Die - auch von Amnesty International kritisierten - Mängel seien somit auf die Überbelegung zurückzuführen.

1.500 Menschen müssen im Freien schlafen

AI war vergangene Woche in Traiskirchen, um sich nach immer lauter werdender Kritik an der Unterbringung ein Bild davon zu machen. Das Team aus Menschenrechtsexperten, Ärzten und Dolmetschern konnte sich nach einer Führung mehrere Stunden frei in dem Lager bewegen. Im Rahmen der Research-Mission sei mit 30 Asylwerbern gesprochen worden, erklärt Teamleiterin Daniela Pichler. In Traiskirchen waren zu dem Zeitpunkt etwa 4.500 Menschen untergebracht, Hunderte schliefen in Zelten - fixe Unterkünfte stehen für knapp 2.000 Personen zur Verfügung. Etwa 1.500 Menschen müssten im Freien schlafen, so AI, dazu kämen noch jene, die außerhalb des Geländes übernachteten.

Heinz Patzelt über den Traiskirchen-Bericht

Amnesty-International-Generalsekretär Heinz Patzelt kommentierte das Ergebnis des Berichts von Amnesty über das Asyllager in Traiskirchen.

Bindende Standards verletzt

Dem am Freitag veröffentlichten Bericht zufolge wurde eine ernsthafte Verletzung von bindenden Standards in der Bundesbetreuungsstelle festgestellt. Heinz Patzelt, Generalsekretär von AI Österreich, spricht von „strukturellem Versagen“ und einer unmenschlichen Behandlung.

„Traiskirchen ist das zentrale Symptom für ein weitreichendes strukturelles Versagen des föderalen Österreich im Umgang mit Asylwerbern“, so das vernichtende Urteil von AI in Richtung Innenministerium und Länder. Die zentralen Kritikpunkte: völlige Überbelegung, unzureichende medizinische und soziale Versorgung, leicht vermeidbare administrative Hürden, Verzögerung beim Weitertransport in andere Einrichtungen sowie eine besonders prekäre Situation für Kinder und Jugendliche, die ohne elterliche Begleitung nach Österreich gekommen sind.

Minderjährige „sich selbst überlassen“

Eine besonders prekäre Situation stelle jene der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dar. „Sie sind derzeit nicht ausreichend geschützt in Traiskirchen, sondern de facto vollkommen sich selbst überlassen“, kritisiert Pichler und ortet eine Verletzung der UNO-Kinderrechtskonvention. Auch für eine weitere besonders schutzbedürftige Gruppe - die Frauen - bestehe kein ausreichender Schutz in Traiskirchen. So gebe es etwa unter den Obdachlosen Schwangere und Frauen mit neugeborenen Kindern.

Die Duschen in den Sanitäranlagen müssten gemischt genutzt werden, es gebe nur Nischen ohne Vorhänge. Die Sanitäranlagen befänden sich außerdem in einem „fürchterlichen hygienischen Zustand“. Viele Asylwerber müssten sich stundenlang bei sengender Hitze um ihre Identitätskarten anstellen, berichtet Pichler. Schon ein einfaches Wartenummernsystem wäre eine „deutliche Verbesserung“.

AI-Generalsekretär Heinz Patzelt, Leiterin des Research Teams, Daniela Pichler und der medizinische Experte Siroos Mirzaei

APA/Georg Hochmuth

Vernichtende Kritik bei der Pressekonferenz

Teure, „unzuverlässige“ Untersuchungen

Mangelhaft sei auch die medizinische Versorgung - Menschen müssten zum Teil tagelang auf Behandlungen warten. Für die Tausenden Flüchtlinge, teils mit traumatischen Kriegserfahrungen, stehen insgesamt nur vier Ärzte und drei Psychologen zur Verfügung. Die Ärzte hätten nur wenige Stunden pro Tag Zeit, um sich um kranke Flüchtlinge zu kümmern. Den Großteil ihrer Zeit seien sie mit Kontrolluntersuchungen bei der Registrierung der Menschen beschäftigt.

„Elend“ und die ungeschützt der Hitze ausgelieferten Menschen, das waren auch die Eindrücke des medizinischen Experten Siroos Mirzaei. Er kritisiert vor allem auch die radiologische Untersuchung zur Altersfeststellung, denn diese sei „unzuverlässig“ und sehr teuer. Das hierfür aufgewendete Geld wäre besser in der Betreuung aufgehoben, meint er.

Mit einfachen Mitteln vermeidbar

Aus Sicht von AI sind die Missstände ein selbst verschuldetes Problem: „Österreich ist weder in einer finanziellen Misere noch in einer ressourcenknappen Situation: Das Versagen in der Flüchtlingsversorgung wäre leicht vermeidbar, die Ursachen sind vor allem administrative Fehler. Ein System, das die Menschenrechte von Asylwerbern schützt und respektiert, ließe sich ohne wesentlichen Kostenaufwand verwirklichen“, ist Patzelt überzeugt. „Es ist völlig unnötig und beschämend, beispielsweise einen zwölfjährigen Bub getrennt von seinem Vater unterzubringen – mit dem Ergebnis, dass beide lieber im Freien schlafen als getrennt zu sein."

Zelte im Flüchtlingsaufnahmezentrum Traiskirchen

APA/Georg Hochmuth

AI von „Massenobdachlosigkeit“ alarmiert

Patzelt „unsagbar zornig“

Patzelt erklärte, dass AI Österreich der Zentrale in London laufend Bericht erstatte. Diese habe dann auch irritiert auf die Information über „Massenobdachlosigkeit“ reagiert und zunächst an eine Fehlermeldung geglaubt. Überprüfungen von Flüchtlingslagern seien in vielen anderen Ländern „Routine“, in Mitteleuropa jedoch die Ausnahme. „Ich bin unsagbar zornig“, so Patzelt - der Staat versage bei der Versorgung von Kriegsflüchtlingen und verletzte etwa die UNO-Kinderrechtskonvention und die Frauenkonvention. Einzig die Anti-Folter-Konvention und jene gegen die Todesstrafe würden nicht verletzt, stellte er fest.

Kritik am „Quoten-Pingpong“

Die Hauptverantwortung für die Situation würden die Bundesregierung und die Landeshauptleute tragen, sie kämen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nicht nach, so Patzelt. Das „Quoten-Pingpong“ sei „unerträglich“. Flüchtlingsunterbringung sei „kein Gnadenakt“, es handle sich um eine „Managementaufgabe, die zu lösen ist, wenn man will“. Der „Pseudonotstand“ sei selbst verursacht, meinte der Generalsekretär. Auch er pocht auf rasche, einfache Lösungen etwa bei den Sanitäranlagen gegen die „unfreiwillige Peepshow“. Sollte der Bericht keine Wirkung auf die Unterbringung und Betreuung in Traiskirchen zeigen, will AI das völlig überfüllte Flüchtlingslager „sehr bald“ wieder prüfen, kündigte Patzelt an.

Analyse von ORF-Innenpolitikexperten Fritz Jungmayr

Keine Reaktion aus der Regierung zum Bericht von Amnesty - lediglich aus dem Innenministerium gab es eine schriftliche Stellungnahme.

AI informierte nach der Überprüfung auch das Innenministerium über die Erkenntnisse, es habe ein „sachliches, offenes Gespräch“ gegeben, so Patzelt. Er unterstützt die Forderung der Bundesregierung nach verbindlichen Quoten auf EU-Ebene, denn anderenfalls verdiene die EU keinerlei menschenrechtliche Anerkennung, so der Generalsekretär.

Angebot von Hilfsorganisationen nicht angenommen

Gefordert wird das bereits angekündigte Durchgriffsrecht des Bundes bei der Schaffung von Quartieren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen umgehend einen gesetzlichen Vormund erhalten und Familien bei der Unterbringung nicht getrennt werden. AI verwies auch auf das Angebot von Hilfsorganisationen, Ärzte in das Zentrum zu entsenden - dieses sei bis jetzt jedoch nicht angenommen worden. Eine einfache Lösung wäre auch bei der Trinkwasserversorgung möglich. Da es in vielen Ländern nicht üblich ist, dieses aus der Wasserleitung zu konsumieren, sollte es in Glasflaschen abgefüllt werden, so Patzelt: Man erwarte „kein teures Evian“. Erfreut seien die Asylwerber über jene Personen, die privat Hilfsgüter zum Zentrum bringen, so Pichler.

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