„Keine Grundlage für Partnerschaft“
Gut zwei Monate nach der Parlamentswahl in der Türkei sind die Gespräche über eine Koalition zwischen der Regierungspartei AKP und der oppositionellen CHP gescheitert. „Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass keine Grundlage für eine Partnerschaft entstanden ist“, so der Vorsitzende der AKP, Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, am Donnerstag.
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Der türkische Regierungschef war zuvor noch ein letztes Mal zu einem Sondierungstreffen mit CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu in Ankara zusammengekommen - ohne Erfolg. Vor dem Hintergrund der eskalierenden Gewalt in der Türkei werden damit Neuwahlen im November immer wahrscheinlicher. Bei der Wahl am 7. Juni hatte die AKP ihre absolute Mehrheit verloren und ist auf einen Partner angewiesen.
„Ich denke, dass die Türkei eine historische Gelegenheit verpasst hat“, sagte Kilicdaroglu am Donnerstag. Noch vor dem Scheitern der Gespräche hatte die Zeitung „Hürriyet“ ihn mit den Worten zitiert, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sei „das größte Hindernis“ auf dem Weg zu einer Koalition. Die Opposition vermutet, dass Erdogan seit der Wahlschlappe seiner AKP auf Neuwahlen hinarbeitet.
Frist bis 23. August
Die islamisch-konservative AKP könnte noch Gespräche mit der ultrarechten MHP führen, die eine Koalition bisher allerdings ablehnt. Ein hochrangiger AKP-Vertreter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Chancen auf ein Bündnis mit der MHP seien sehr gering. Am wahrscheinlichsten seien Neuwahlen im November.
Ministerpräsident Davutoglu hat noch bis zum 23. August Zeit, eine Koalition auszuloten. Nach der Verfassung kann Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Neuwahlen ausrufen, wenn bis zum übernächsten Sonntag keine Regierung gebildet werden kann. Erdogan hat deutlich gemacht, dass er diese Frist nicht zu verlängern beabsichtigt.
Opposition kann Mehrheit nicht nutzen
Auch die Opposition - bestehend aus der Mitte-links-Partei CHP, der ultrarechten MHP und der prokurdischen HDP - hätte ausreichend Sitze, um eine Regierung zu stellen. Die MHP verweigert aber jede Zusammenarbeit mit der HDP. Die HDP hat eine Koalition mit der AKP ausgeschlossen. Beide Parteien liegen ohnehin wegen der zunehmenden Gewalt zwischen der Regierung und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) über Kreuz.
Nach der Wahl war Davutoglus Regierung zurückgetreten. Sie führt die Geschäfte auf Bitten Erdogans aber weiter, bis eine neue Regierung gebildet wird. Wenn Erdogan Neuwahlen ausruft, muss er nach der Verfassung einen Übergangsministerpräsidenten bestimmen. In der Übergangsregierung müssen alle Parteien entsprechend ihrer Stärke im Parlament vertreten sein. Die AKP könnte allerdings auch versuchen, eine von der MHP geduldete Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen zu bilden.
Land drohen Monate der Instabilität
Investoren zeigten sich von den Entwicklungen verschreckt, weil sie auf eine Große Koalition zwischen AKP und CHP gesetzt hatten. Die türkische Lira fiel auf ein Rekordtief. Der Leitindex der Istanbuler Aktienbörse rutschte gegen den europäischen Trend um bis zu drei Prozent ab.
Die Anleger fürchten sich vor einer Zeit der Unsicherheit. Als Termin ist der erste Sonntag 90 Tage nach Ankündigung von Neuwahlen vorgesehen. Das wäre voraussichtlich der 22. November. Für die Türkei würde das weitere Monate des Wahlkampfs und der politischen Instabilität bedeuten - und das, während die Gewalt im Land zunehmend eskaliert.
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete am Donnerstag, bei Gefechten am Vortag seien in den Provinzen Agri und Sirnak insgesamt sieben PKK-Kämpfer getötet worden. Die PKK verübt inzwischen täglich Anschläge und Angriffe auf Sicherheitskräfte. Seit vergangenem Monat fliegt die Luftwaffe Angriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak und in der Türkei. Kritiker bezichtigen die AKP, mit der Offensive gegen die Stellungen der PKK im Südosten der Türkei und im Nordirak Stimmen bei den nationalistischen Wählern gewinnen und davon bei möglichen Neuwahlen profitieren zu wollen.
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