Die verschlafene Revolution
Wer heute einkauft, verlässt dafür das Zuhause oft nicht. Amazon, Zalando und Co. bieten eine bequeme Alternative. Auch der Möbelkauf - durch das obligatorische „Probesitzen“ einst haptische Einkaufsbastion par excellence - verlagert sich immer mehr in die virtuelle Welt. Plattformen wie Home24 oder Fashion for Home bereiten den Platzhirschen mit einem breiten Angebot und Gratiszustellung Kopfzerbrechen.
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„Der Möbelhandel verschläft das Onlinegeschäft. Am Wachstum des Möbelgeschäfts wird er deshalb nicht partizipieren“, sagte Dirk-Uwe Klaas, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie (DVM) gegenüber der Zeitung „WirtschaftsWoche“. Die Zahlen sprechen für den Möbelonlineverkauf als Wachstumsmarkt: In Deutschland habe bereits jeder Vierte Möbel im Internet gekauft, jedes Jahr gebe es ein Umsatzplus im Onlinebereich von 52 Prozent, so die Erkenntnisse einer Branchenstudie.
Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht - und der Anteil des Onlinehandels im Möbelgeschäft ist noch vergleichsweise gering. Vier Prozent der Möbelkäufe wurden 2013 über das Internet abgewickelt. Für Deutschland - dessen Markt Österreich sehr ähnlich ist - lautet die Prognose sieben bis acht Prozent, sagte Andre Kunz vom Bundesverband des Deutschen Möbel-, Küchen- und Einrichtungs-Fachhandels im Gespräch mit der „WirtschaftsWoche“.
Möbelriesen beherrschen den Markt
Der Handel mit Möbeln ist lukrativ: Die Österreicher gaben im Jahr 2014 über fünf Mrd. Euro für Einrichtungsgegenstände aus, wie eine Statistik des Portals Statista.com zeigt. Den Großteil des Kuchens teilen sich große Ketten untereinander auf: Ikea, XXXLutz und Kika/Leiner heißen die Branchenriesen in Österreich.

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Die riesigen Einkaufswelten werden kaum noch vergrößert
Die Möbelsparte befindet sich wirtschaftlich nach wie vor im Wachstum, für die großen Händler aber wird die Steigerung des Umsatzes zunehmend schwieriger. Jahrelang wurde eine Art „Expansionspolitik“ betrieben, die Verkaufsflächen der Möbelhäuser kontinuierlich vergrößert. Mittlerweile kommen 30 Quadratmeter Verkaufsfläche auf 100 Einwohner, insgesamt sind es 2,7 Mio. Quadratmeter im ganzen Land. Doch hier scheint der Zenit erreicht.
Spontankäufe als Cashcow
Für Umsatzsteigerungen müssen also neue Ideen her. Vom Onlinegeschäft ließen Marktführer lange die Finger, stattdessen wurde in den vergangenen Jahren versucht, die Sparte der Wohnungsaccessoires auszubauen. Ein weitverbreitetes Phänomen: Wer in eines der Möbelhäuser geht, um einen Tisch zu kaufen, wird beim Gang durch die Regalreihen eventuell noch eine Vase, eine Bratpfanne, Servietten oder auch Lebensmittel einkaufen.

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Darf’s vielleicht noch ein Kuscheltier zur Sitzgarnitur sein?
So hat der Möbelhausprimus Ikea im vergangenen Jahr in Deutschland nach Schätzung von Experten mehr als die Hälfte des Umsatzes mit „Krimskrams“ erwirtschaftet. Das könnte mit ein Grund dafür sein, warum der Ausbau des Onlinegeschäfts nur schleppend vorangeht: Im Internet suchen viele gezielt nach Einrichtungsgegenständen und tätigen weniger Spontankäufe, das Geschäft mit den Wohnaccessoires fällt daher schwächer aus.
Neueinsteiger bieten breite Produktpalette
Vergleicht man die Onlineangebote der Möbelhändler, so halten die „Newcomer“ alle Trümpfe in der Hand. Ein Beispiel: Wer auf Home24, der größten Möbelversandseite im deutschsprachigen Raum, nach Möbeln sucht, kann aus 70.000 Artikeln wählen. Ikea bringt es „nur“ auf 7.500 Gegenstände im Onlinesortiment. Ein anderer Unterschied sind die Versandkosten. Während beim reinen Webanbieter Versand und Rückgabe kostenfrei sind, kostet der Versand beim schwedischen Möbelriesen mindestens neun Euro.
Eine Erhebung von eBay, die sich auch in der oben erwähnten Branchenstudie findet, weist den Versand als größte Hürde für den Onlinemöbelkauf aus. So gaben 81 Prozent der Befragten an, dass die Versandkosten zu hoch seien. Mit der Trial-and-Error-Politik von Home24 stößt man bei den Verbrauchern also auf offene Ohren.

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Da der Versand oft teuer ist, holen viele Menschen ihre Möbel selbst ab
Schweden testen neues Konzept
Ikea testet derzeit ein neues Geschäftsmodell, das eine Mischung aus online und stationär sein soll und ein Gegenpol zu den gigantischen Filialen. Die kleineren „Order and Collect“-Standorte fungieren als Abholzentralen: Man kann einen Teil des Sortiments ausprobieren und die im Internet bestellten Produkte abholen - um das Abenteuer des Selberzusammenbaus mit Imbusschlüssel fällt man also nicht um. Ausprobieren kann man das neue System des Möbelkaufs bereits in Spanien, Großbritannien, Finnland und Norwegen.
Im Februar 2015 legte Ikea ambitionierte Umsatzziele vor. Bis 2020 will man den Umsatz auf 50 Mrd. Euro erhöhen. Neben massiven Investitionen in die Möbelhäuser (in Deutschland soll die Zahl von 48 auf 70 wachsen), wird auch der Onlinehandel massiv mit „Shopping rund um die Uhr“ beworben.
Dass in Österreich noch Luft nach oben ist, was den Möbelkauf im Netz angeht, zeigt ein Blick auf die aktuellen Zahlen: Derzeit sind es nur 32 Prozent der großen Möbelhändler Österreichs, die über einen Onlineshop verfügen, wie das Wirtschaftsportal Mytoday.at berichtet.
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