Bürgermeister schrieb offenen Brief
Auf der griechischen Ferieninsel Kos könnte es zu einem Blutvergießen kommen, wenn nicht sofort Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung getroffen werden. Das schrieb der Bürgermeister der Insel, Giorgos Kyritsis, am Dienstag an die Regierung in Athen.
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Auf der 30.000 Einwohner zählenden Insel Kos seien mehr als 7.000 Migranten angekommen. Man könne mit dem Problem nicht mehr fertig werden. „Ich warne davor, die Gefahr eines Blutvergießens ist real“, so der Bürgermeister. Der Brief wurde am Dienstag in der griechischen Presse veröffentlicht.

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Flüchtlinge demonstrieren auf Kos
Papiere bei Demo gefordert
Wie Reporter auf der Insel berichteten, blockierten Flüchtlinge Dienstagfrüh die Küstenpromenade des Hauptortes der Insel. Sie forderten lautstark Papiere, um die Insel zu verlassen und weiter nach Mitteleuropa zu reisen. Im kleinen Stadion der Insel kam es laut Augenzeugenberichten zu Schlägereien unter Flüchtlingen. Zudem seien Polizisten angegriffen worden, die Schlagstöcke einsetzten, um sich zu wehren, hieß es.

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Die Behörden setzen Feuerlöscher gegen die Demonstranten ein
Polizei: Spannungen
Mehrere Polizisten setzten Schlagstöcke gegen die Flüchtlinge ein, während andere Beamte die Menge mit einem Feuerlöscher am Verlassen eines Fußballstadions zu hindern suchten, wie auch ein AFP-Fotograf berichtete. Die Polizei habe Hunderte vorwiegend syrische und afghanische Flüchtlinge in das Stadion gebracht. Die Menschen hatten nach ihrer Überfahrt aus der Türkei teils mehrere Wochen an den Stränden und auf den Straßen der Insel übernachtet.
Flüchtlingslage in Kos eskaliert
Der Bürgermeister der griechischen Insel Kos warnte vor einem Blutvergießen. Seine Behörden könnten mit der steigenden Zahl der Migranten nicht mehr fertigwerden.
Aus Polizeikreisen hieß es, zu den „Spannungen“ sei es gekommen, als die Flüchtlinge in eine Polizeiwache einzudringen versuchten, um sich dort registrieren zu lassen. Die Polizei wollte dagegen, dass die Registrierung im Stadion passiert. Die Behörden der kleinen Ägäis-Insel nahe der türkischen Küste sind mit der hohen Zahl der Flüchtlinge überfordert. Erst am Montag war ein Polizist suspendiert worden, der dabei gefilmt wurde, wie er einen Flüchtling ohrfeigte, der näher als erwünscht an die Polizeiwache herangekommen war.
Auf Kos herrschen chaotische Zustände. Hunderte Flüchtlinge kommen täglich von der wenige Seemeilen entfernten türkischen Küste. Hilfsorganisationen, der Staat und die Bevölkerung sind restlos überfordert. Ähnlich ist die Situation auf zahlreichen anderen Inseln im Osten der Ägäis.
UNHCR machte sich eigenes Bild
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hatte die griechische Regierung bereits Ende letzter Woche für die chaotischen Zustände bei der Flüchtlingsaufnahme kritisiert. Auch die EU müsse sich ihrer Verantwortung stellen und das Land in der Problematik entlasten. Allein im Juli wurden laut der griechischen Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex rund 50.000 Menschen aufgegriffen - das ist neues Rekordniveau.

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Die Ordnungskräfte versuchen die Demonstration aufzulösen
Das UNHCR hatte Lesbos, Kos und Chios besucht, um sich ein Bild von den Zuständen auf den Inseln zu machen. Das Urteil ist vernichtend: Die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sei völlig unzureichend, es gebe kaum sanitäre Einrichtungen, auf den meisten Inseln müssten die Flüchtlinge schutzlos unter freiem Himmel schlafen, so UNHCR-Europadirektor Vincent Cochtel bei einer Pressekonferenz in Genf. „Es herrscht völliges Chaos. Nach ein paar Tagen werden sie nach Athen gebracht, in Athen wartet nichts auf sie.“
63 Prozent aus Syrien
Laut eigenen Angaben griff die griechische Küstenwache allein im Juli 54.899 Flüchtlinge in der Ägäis auf. Zudem wurden 47 Schleuser festgenommen. Laut den jüngst präsentierten UNO-Zahlen kamen seit Jahresbeginn 224.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa, davon seien 124.000 in Griechenland an Land gegangen. Griechenland löste damit Italien als Hauptankunftsort für Flüchtlinge ab. 63 Prozent von ihnen stammten aus Syrien, auch aus Somalia, Afghanistan, Pakistan und allen Staaten des Nahen Ostens kommen Menschen auf die Inseln.

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Kos ist etwa seit Mai neue Anlaufstelle für Flüchtlinge
Überforderte Behörden
Die Flüchtlinge treffen dort auf überforderte Behörden. Der UNHCR-Flüchtlingskommissar für Griechenland, Giorgos Tsarbopoulos, sprach von einer dramatischen Lage. Die Behörden und die Hilfsorganisationen seien überfordert, sagte er im griechischen Rundfunk. Cochitel forderte, der griechische Staat müsse die Ankunft „leiten und koordinieren“, anstatt die Verantwortung jeweils immer weiter zu schieben.

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Flüchtlinge kommen per Boot auf die Insel
Der Europadirektor sagte vor Journalisten in Genf, er arbeite seit 30 Jahren für die UNO-Behörde und habe noch nie eine vergleichbare Situation erlebt. „Wir sind besorgt darüber, dass sich niemand wirklich verantwortlich fühlt, was es Hilfsorganisationen sehr schwermacht, sich einzubringen.“ NGOs stehen zudem vor Problemen, weil ihr bei griechischen Banken deponiertes Geld wegen der Kapitalverkehrskontrollen blockiert ist.
Appell von Tsipras
Auch Ministerpräsident Alexis Tsipras äußerte sich Ende letzter Woche zu der Problematik. Griechenland sei nicht in der Lage, den Zuzug Tausender Flüchtlinge aus eigener Kraft zu bewältigen. Sein Land benötige die Hilfe der EU-Partner, sagte Tsipras am Freitag nach einem Treffen mit den zuständigen Ministern. Daran werde sich zeigen, ob es ein Europa der Solidarität gebe oder jeder sich nur um seine Grenzen kümmere. „Griechenland erlebt eine Krise in der Krise“, sagte er. „Wir tun alles, was wir können, um diese Menschen menschlich zu behandeln.“ Die EU müsse sofort handeln.
Bevölkerung unterstützt Flüchtlinge noch
In Griechenland herrschen wegen der schwierigen Finanzlage chaotische Zustände für die Migranten. Zugleich versucht die Bevölkerung der Ägäis-Inseln aber auch mit ihren wenigen Mitteln, den Ankömmlingen zu helfen. Die Stimmung könnte aber kippen, wenn noch mehr Flüchtlinge eintreffen. Integrationsprogramme gibt es kaum. Dennoch werden Ausländer auch ohne Aufenthaltserlaubnis an Schulen aufgenommen. Arbeiten können sie praktisch nur illegal.
Die Flüchtlinge stellen meist keinen Asylantrag in Griechenland, sondern reisen weiter. Es hat sich inzwischen eine neue Route gebildet: Fast täglich kommen mit den Linienfähren Hunderte von den Inseln in Piräus an. Die Polizei lässt sie weiterreisen. Strenge Kontrollen und Ausweisungen wie in den vergangenen Jahren sind kaum noch auszumachen.
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