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Minimalismus trifft damenhafte Tradition

Raf Simons und Dior - das war 2012 nicht die logischste Gleichung der Modewelt, nachdem sich der französische Modekonzern von Chefdesigner John Galliano aufgrund dessen antisemitischer Ausfälle getrennt hatte. Ein studierter flämischer Industriedesigner, der sich vor allem mit minimalistischer Männermode einen Namen gemacht hatte, sollte ein Traditionshaus mit großer Haute-Couture-Linie in die Zukunft führen.

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Die anfängliche Skepsis gegenüber Simons bei Dior und sein Fremdeln in einem großen Haus samt seinen Schneiderwerkstätten ist nun zu einer Dokumentation geworden, die derzeit in den Kinos läuft. Frederic Tcheng durfte für „Dior und ich“ Simons in den knappen zwei Monaten, die dieser Zeit hatte, um eine Haute-Couture-Show auf die Beine zu stellen, begleiten - und dem Belgier samt Assistenten bis zur ersten großen Show auf dem Pariser Parkett hautnah auf den Fersen sein.

Es wird viel genäht in diesem Film und noch mehr gestaunt ob der großen Tradition bei Dior, die mit historischem Bildmaterial und einem inneren Tagebuchmonolog des Firmengründers Christian Dior (1905 bis 1957) gegengeschnitten ist, so dass man mitunter ein wenig in eine Atmo-Collage der Marke „Letztes Jahr in Marienbad“ fällt.

Raf Simons rechts mit seinem Assistenten Pieter Mulier

Etienne Laurent/EPA

Raf Simons (r.) mit seinem Assistenten Pieter Mulier: Die Präsentation vor Publikum liegt Mulier mehr als dem scheuen Simons, der beim eigenen Weg auf den Catwalk schon einmal die Ohnmacht fürchtet

In diese szenische Konstellation eingeklemmt ist mit Simons ein Mann, der offenkundig gerne im Hintergrund werkt und nicht den Ruf eines charismatischen, exaltierten Teamführers hinterhereilt. Wenn, dann glänzt Simons mit der Gesamtinszenierung - und wenn der Film das Happy End seines Einstands zeigt, dann ist die als Doku festgehaltene Geschichte eigentlich erst der Anfang für die tatsächliche Neuausrichtung des Hauses Dior seit dem legendären Sommer 2012. Und die müsste eigentlich erst der Kern der Erzählung eines Films sein, der sich wie eine Fußnote ausnimmt (und der unter anderem das Kunststück zuwege bringt, die Grandezza von Dior mit Musik aus dem Hause Aphex Twin zu untermalen).

Pvaillion von Dior bei der heurigen Haute-Couture-Schau von Dior

Caroline Blumberg/EPA

Dior-Präsentationen müssen das große Theater sein: Hier der eigens errichtete Pavillon für die heurige Haute-Couture-Schau im Rahmen der Pariser Fashion Week

Skeptiker werden zu Fans

Die eigentliche Geschichte von Simons ist die einer nachhaltigen Überzeugung aller Skeptiker. Und wie jemand das Grundkonzept von Dior, dass die Modeschau und die Präsentation aller Dior-Testimonials ein Gesamtkunstwerk zu sein habe, mehr verinnerlichte als John Galliano, dessen Events ein bisschen mehr in die Stilart ‚Time of the Bohemien Gypsies‘ abzugleiten drohten.

Im April 2012 zu Dior geholt, hatte Simon im Sommer, nach nur gut zwei Monaten Vorbereitung, seine erste Haute-Couture-Schau, im September darauf die erste Pret-a-porter-Präsentation. Bei Letzterer schien der Promiandrang dann noch eine Spur größer als beim gelungenen Haute-Couture-Einstand.

Diorschau 2014

Ian Langsdon/EPA

Dior-Modeschauen: Immer ein bisschen opulenter als die Konkurrenz. 2014 ließ Simons bei der Haute Couture auch wieder die Handschrift von Christian Dior durchschimmern.

Zwischen Goldrute und Rittersporn

Fünf Räume des Gebäudes einer Stiftung waren für Simons erste Pret-a-porter-Schau mit über einer Million Blüten geschmückt worden - ein Zimmer mit Goldruten, eines mit orange-rote Rosen und eines mit Rittersporn. Simons trotzte wieder dem Druck und wuchtete bestechend schöne Entwürfe in den Raum, die vor allem handwerklich überzeugten.

Dior-Schau in der Cardin-Villa

Sebastien Nogier/EPA

Simons kann nicht nur Haute Couture und Pret-a-porter, er hat auch das Händchen für das Setting einer Präsentation - hier in der ikonischen Villa von Pierre Cardin vor den Filmfestspielen von Cannes

Das französische Traditionshaus hatte für das Defilee ein schneeweißes Gebäude vor der goldfarbenen Kuppel des Invalidendoms errichtet. Die Sessel, bei Dior sonst stets in Gold, hielt Simons wie schon bei seiner ersten Show in Schwarz, um einen markanten Gegensatz zu den reinen weißen Wänden herzustellen. Die Hommage an den Minimalismus, der Stilrichtung, aus der Simons kommt, traf sich an diesem Abend mit einer Wegmarke, die zeigte, wohin das Haus Dior in Zukunft zu steuern sei.

Tadellose Entwürfe, die pur und doch nie langweilig waren, ein Hauch von Sexiness, die nie ins Vulgäre abglitt - und bei allem der Verweis auf tadelloses Handwerk: Die gern in verspielter Damenhaftigkeit schwelgende Marke schien hier neu und ganz anders aufpoliert als in Galliano-Zeiten.

Purismus, Eleganz und ein paar Neuerungen

Aus einem Dior-Klassiker, der Jacke des Kostüms „Bar“ von 1947, deklinierte er Mantelkleider, Hosenanzüge und Cocktailroben. Wo die Entwürfe schlicht waren, legte er wiederum, so seine Interpretation des Zuckergusses, bonbonfarbene Lagen aus glänzendem Organza drüber. Alles, was bei ihm süß ist, ist bestenfalls mit Süßem bestäubt. Dior feiert Simons seitdem als „eines der größten Talente“, die es derzeit in der Modeszene gebe. Er werde den Dior-Stil „im 21. Jahrhundert vorantreiben“.

Kann er Haute Couture?

Der von Jil Sander zu Dior gewechselte Flame hatte ja schon länger einen exzellenten Ruf als Modemacher, doch hatte er bis 2012 nie Haute Couture, also die Königsklasse der Mode, gemacht.

Rihanna in Dior-Kleid

Christopher Jue/EPA

Handtasche, Handtattoo, Dior-Kleid: Rihanna heuer bei einer Präsentation in Tokio

Simons ist studierter Industriedesigner und modischer Autodidakt. Letzteres war aber auch ein Helmut Lang. Und wie Lang leitete Simons auch die Meisterklasse für Mode an der Wiener Universität für angewandte Kunst von 2000 bis 2005 (Nachfolgerin dort war Simons frühere Lebensgefährtin Veronique Branquinho)

Simons arbeitete nach seinem Studium in Genk zuerst in der Möbelbranche und wechselte erst auf Anraten von Linda Loppa, damals Leiterin der renommierten Modeschule der Akademie der bildenden Künste in Antwerpen, in die Modebranche und brachte ab Mitte der 1990er Jahre unter dem Namen Raf Simons seine ersten Herrenmodekreationen heraus, die gerade im Bereich des Anzugs stilprägend waren: schmale, lineare Silhouetten, dazu eine sehr reduzierte Formsprache.

Schlanke Männer in schmalen Anzügen

Simons’ Models waren junge Männer von der Straße, die freilich im Schlankheitsgrad den Größe-null-Models von Hedi Slimane in nichts nachstanden. Bezüge zu Gothic und auch zum Terrorismus sah man in späteren Entwürfen, etwa bei seinen engen, dunklen Kapuzenshirts - dieser Ruf festigte sich noch, als er seine jugendliche Zweitlinie RAF ins Leben rief. Treu geblieben ist Simons, der bei seinen Präsentationen immer weit in die Geschichte der Kunst und Architektur ausholt, seinem Arbeits- und Lebensmittelpunkt: dieser ist nach wie vor Antwerpen.

Gerald Heidegger, ORF.at

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