Hoher Preis für Mensch und Umwelt
Alang, eine Küstenstadt im indischen Bundesstaat Gujarat, gilt als das weltweite Zentrum der Schiffsabwrackindustrie. Der Unglückstanker „Exxon Valdez“ wurde genauso dort zerlegt wie ein US-Flugzeugträger und ein sowjetisches Kreuzfahrtschiff. Um die Werften von Alang hat sich ein wirtschaftlicher Mikrokosmos entwickelt. Dem droht nun das Ende - mit einer ganzen Reihe an Konsequenzen.
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Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete kürzlich in einer Reportage von einem Sterben der Werften an der westindischen Küste. Von 100 Abwrackplätzen im Jahr 2014 seien inzwischen etwa 50 geschlossen worden, hieß es darin unter Berufung auf Zahlen der Ship Recycling Industries Association India (SRIA). Im Vorjahr seien in Alang 275 Schiffe zerlegt worden, so wenige wie seit sechs Jahren nicht mehr.

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Ein Wrack wird zum Zerlegen festgemacht - direkt am Sandstrand
„Das Geschäft stirbt“, zitierte Reuters den Eigentümer der R. L. Kalthia Ship Breaking Pvt Ltd., Chintan Khaltia. Sein Unternehmen steht hinter dem Branchenverband. Im benachbarten Bangladesch und Pakistan sehe es ähnlich aus.

AP
Der Unglückstanker „Exxon Valdez“, Verursacher der Ölpest in Alaska 1989 (im Bild vor der Küste Alangs), wurde mehrfach umgetauft, am Ende in „Oriental Nicety“
Stahlschwemme aus China
Die Werften seien von „billigem chinesischen Stahl überschwemmt“ worden, nachdem sich das Industriewachstum in der Volksrepublik verlangsamte und mehr Rohstahl in den Export geht. Der Preis sei so weit gesunken, dass die Werften heute für einen zerlegten „typischen Eisenerz- oder Kohlefrachter“ rund 3,6 Mio. Dollar (etwa 3,3 Mio. Euro) weniger bekämen als noch vor acht Monaten. „China verkauft unter dem Preis von recyceltem Stahl“, zitierte Reuters den Eigentümer von Sagar Laxmi Ship Breakers, Amit P. Badia.
Allein an der Abwrackindustrie in Alang hängen laut der Reportage etwa 60.000 Arbeitsplätze direkt, in den Betrieben, die der Boom angelockt hat, noch mehr. Allerdings hat die Region bisher zu einem sehr hohen Preis „profitiert“: Die Arbeiter sind permanent giftigen Stoffen ausgesetzt, Öl, Asbest und Schwermetalle verpesten Küste und Meer. Im letzten Jahr kamen bei einer Explosion in einem Tankerwrack mehrere Arbeiter ums Leben.
Die Odyssee der „Clemenceau“
Was alles auf den Abwrackplätzen weit weg von Europa landet bzw. landen sollte, hatte die Odyssee der französischen „Clemenceau“ gezeigt: Der 1997 ausgemusterte französische Flugzeugträger sollte in Alang verschrottet werden.

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Die „Clemenceau“ musste auf dem Weg nach Indien umkehren
Insbesondere die Umweltschutzorganisation Greenpeace machte gegen die Pläne mobil, da sich an Bord des Schiffs große Mengen an Blei, Quecksilber und Asbest befanden. Ägypten verweigerte anfangs sogar die Durchfahrt durch den Sueskanal, der Oberste Gerichtshof Indiens die Einfahrt in die Hoheitsgewässer des Landes wegen unklarer Gefahrenlage. Frankreich musste das Schiff zurückrufen, schließlich wurde es 2010 im britischen Hartlepool - fachgerecht - abgewrackt.
Schmutzige Handarbeit
Das Thema Gefahr für Mensch und Umwelt hat auch die Europäische Kommission auf den Plan gerufen. Verschärfte Auflagen sollen künftig verhindern, dass Schiffe, oft noch mit Resten gefährlicher Fracht an Bord, irgendwo in der „Dritten Welt“ diskret und für die Reeder möglichst billig verschwinden. Schiffsfriedhöfe finden sich nicht nur in Südasien, sondern auch an den afrikanischen Küsten. Die Schiffe dort zu entsorgen ist um ein Vielfaches billiger als in Europa. Die meisten Wracks aus Europa landen laut Reuters aber in Südasien - geschätzt 70 Prozent.

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Meist gibt es kaum Schutzvorkehrungen für Arbeiter
Strengere Auflagen
Dort werden sie von Hand zerlegt, Technik, Maschinen und Einrichtung ausgebaut und verkauft, der Stahl wird zerschnitten und als Schrott weiterverkauft. Das Zerlegen eines der Kolosse dauere etwa neun Monate. In Alang wurde die „Deutschland“, ein Schulschiff der deutschen Bundesmarine, ebenso abgewrackt wie die „Exxon Valdez“, der Tanker, der 1989 in Alaska eine riesige Ölpest verursacht hatte, weiters der US-Flugzeugträger „USS Bennington“ und das Kreuzfahrtschiff „Maxim Gorky“, gebaut noch in der Sowjetunion.

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Die 1995 ausgemusterte „USS Bennington“ wurde nicht in den USA, sondern in Indien zerlegt
Die Europäische Investitionsbank (EIB) würde laut Reuters den indischen Werften Kredite zur Verfügung stellen, damit die ein Mindestmaß an Arbeitsschutz- und Umweltstandards erreichen könnten, für einige könnte es wegen des Stahlpreisverfalls aber bereits zu spät sein. Die europäischen Schiffseigentümer sollten nicht davon abgehalten werden, Schiffe außerhalb Europas zerlegen zu lassen, aber sie sollten davon abgehalten werden, es dort zu tun, wo „wirkliche Gefahr für Leben und Umwelt“ besteht, so Mark Clintworth von der EIB.
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