Industrie schrumpft wie nie zuvor
Nach der wochenlangen Schließung von Börse und Banken liegt die Wirtschaft in Griechenland am Boden. Neben dem Rekordminus an der wiederöffneten Athener Börse ließen am Montag auch die neuesten Zahlen des Markit-Instituts in London nichts Gutes verheißen: Demnach ist die Stimmung in den griechischen Industrieunternehmen so schlecht wie noch nie.
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Nach 49,6 Punkten im Vormonat lag der vom Forschungsunternehmen erhobene Einkaufsmanagerindex im Juli bei nur 30,2 Punkten. Damit ist der Wachstumsbereich oberhalb von 50 Punkten weit entfernt. Einen niedrigeren Stand maßen die Forscher seit Beginn der Umfragen in Griechenland noch nicht.
Demnach sackten die Indizes für Produktion, Auftragseingang, Exportneugeschäft, Beschäftigung und Einkaufstätigkeit auf die tiefsten Werte seit Beginn der dortigen Datenerhebung im Mai 1999. Der Stimmungsindikator landete auf einem Allzeittief, noch deutlich unter dem bisherigen Tiefstwert im Februar 2012 bei 37,7 Punkten.
Keine Auswirkungen auf Euro-Zone
Auch der vom griechischen Institut IOBE erhobene Stimmungsindikator gab deutlich nach. Der Index misst die Erwartungen in der Industrie, der Dienstleister, im Einzelhandel, am Bau sowie das Verbrauchervertrauen. Mit 81,3 Zählern für Juli wurde das niedrigste Niveau seit fast drei Jahren festgestellt. Die Tendenz bleibt lokal begrenzt: Laut Markit hatte diese Entwicklung in Griechenland keine negativen Auswirkungen auf irgendeinen anderen Industriesektor in der Euro-Zone.
Die Industrie Griechenlands stellt nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin allerdings nur 12,6 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit weit weniger als der Tourismus, auf den ein Anteil von 16,4 Prozent entfällt.
Pleitewelle befürchtet
Der Stimmungseinbruch in der griechischen Industrie verdeutlicht laut Chris Williamson, Chefökonom bei Markit, die ökonomischen Folgen der Griechenland-Krise: „Die Auswirkungen der Griechenland-Krise, insbesondere die Bankschließungen, hatten - wie zu erwarten war - durchschlagende Auswirkungen auf die dortige Wirtschaft“, so Williamson.
Seit dem Regierungswechsel in Athen Anfang des Jahres verschlechterte sich die Wirtschaftslage massiv. Zuletzt kamen viele Unternehmen nur schwer an Geld. Kapitalverkehrskontrollen verhinderten zum Beispiel, dass Firmen etwa Geld ins Ausland überweisen konnten, um dringend benötigte Produkte zu importieren. Zehntausende Unternehmen gerieten so in Schwierigkeiten. Eine Pleitewelle wird nun befürchtet.
Umsatzeinbußen nach Kapitalverkehrskontrollen
Die Umsätze der kleinen und mittleren Unternehmen im Land fielen wegen der Kapitalverkehrskontrollen im Schnitt um die Hälfte kleiner aus, wie eine am Montag veröffentlichte Umfrage des Unternehmerverbands ergab. Er ließ vom 21. bis 27. Juli rund 1.000 Firmen befragen. Mehr als die Hälfte der Betriebe - vor allem Einzelhändler - sagten, sie hätten mehr als die Hälfte der Umsätze eingebüßt, seit die Kontrollen in Kraft seien. Knapp ein Drittel verlor sogar mehr als 70 Prozent des Umsatzes.
Investoren bleiben skeptisch
Wie schlecht es um die griechische Wirtschaft bestellt ist, verdeutlichte sich am Montag auch in den herben Kursverlusten an der Athener Börse: Am ersten Tag nach ihrer fünfwöchigen Zwangspause brach sie so stark ein wie nie zuvor. Händler und Fondsmanager rechnen in den nächsten Tagen mit weiteren Verlusten, vor allem bei Finanzwerten.

AP/Yorgos Karahalis
Die Athener Börse ist derzeit eines der heißesten Pflaster für Anleger. Das zeigt der jüngste Einbruch.
Investoren bleiben nach dem Kursrutsch skeptisch. „Die Krise in Griechenland und damit auch an der Athener Börse dürfte noch nicht vorüber sein“, sagte der deutsche Marktstratege Oliver Roth von der Oddo Seydler Bank am Montag gegenüber der dpa. „Die schlechte Wirtschaftspolitik der Regierung (von Alexis, Anm.) Tsipras und bestehende Kapitalverkehrskontrollen lähmen die Konjunktur.“ Die großen Kursschwankungen - Ausdruck der hohen Unsicherheit - dürften erhalten bleiben.
„Aktienmarkt vorerst uninteressant“
„Der Aktienmarkt in Griechenland ist vorerst uninteressant“, bläst auch Aktienhändler Andreas Lipkow vom Vermögensverwalter Kliegel & Hafner ins gleiche Horn. So sei eine Sondersteuer für ausländische Investoren nicht auszuschließen. Insgesamt sollte das politische Risiko nicht unterschätzt werden. Zudem belasteten die starken Sparanstrengungen und Steuererhöhungen die Unternehmen. Die fiskalpolitische Situation dürfte sich auch weiter anspannen. Allerdings könnten aus Lipkows Sicht bei Aktien aus den Bereichen Telekommunikation, Versorger und Pharma auch Chancen lauern, die einige Anleger nutzen könnten.
EU will Misere bei Budgetzielen berücksichtigen
Die schlechte Wirtschaftslage in Griechenland wird nun offenbar zu weniger ambitionierten Budgetzielen im neuen Hilfsprogramm für Athen führen. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte am Montag in Brüssel, die verschlechterte ökonomische Lage müsse bei der Formulierung neuer Ziele berücksichtigt werden. Das habe EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici in einem aktuellen Interview mit der griechischen Zeitung „Ethnos“ klargemacht.
„Ganz offensichtlich hat sich die wirtschaftliche Situation deutlich verschlechtert im Vergleich zu Jahresbeginn“, sagte die Sprecherin. „Es besteht Übereinkunft, dass dies berücksichtigt werden muss, wenn Budgetziele entschieden werden.“ Das sei Teil der laufenden Gespräche zwischen den Gläubigern und der Regierung in Athen über das neue Hilfsprogramm.
Einigung bei Pensionsreform auf Kompromiss
Die Gespräche zwischen den Gläubigern und der Regierung in Athen über Reformschritte laufen unterdessen weiter. Im Mittelpunkt stehen Steuerthemen. Beim wichtigen Thema Pensionen wurde offenbar ein Kompromiss erzielt. Beide Seiten verständigten sich nach Angaben aus dem griechischen Arbeitsministerium vom Montag darauf, dass die geplante Reform nicht Senioren treffen soll, die bis Ende Juni in den Ruhestand gehen konnten.
Die Regierung in Athen hatte sich als Vorbedingung für die Aufnahme konkreter Verhandlungen über neue Hilfen von bis zu 86 Milliarden Euro zu einer umfassenden Pensionsreform verpflichtet. Damit soll etwa Frühpensionierungen ein Riegel vorgeschoben und das Pensionseintrittsalter hinaufgesetzt werden. Am Dienstag sollen die Privatisierungen unter die Lupe genommen werden, hieß es laut dpa aus Regierungskreisen.
„Unternehmen 18. August“
Laut mehreren griechischen Medien strebt die griechische Regierung eine Einigung mit den Gläubigern des Landes bis Mitte August an. Das Abkommen soll am 18. August von Parlament in Athen gebilligt werden. „Unternehmen 18. August“ titelte die traditionell links-liberale Athener Zeitung „Ta Nea“.
Tsipras zähle bei dieser Abstimmung erneut auf die Stimmen der Opposition. Der linke Flügel seiner Partei hatte zuletzt zweimal gegen Reformmaßnahmen gestimmt, die Voraussetzung für weitere Verhandlungen mit den Gläubigern über ein neues Hilfspaket waren. Die Vorhaben konnten nur mit den Stimmen der Opposition gebilligt werden.
Bis zum 20. August muss Athen 3,2 Mrd. Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen. An den Verhandlungen nehmen Experten der EU, der EZB, des Euro-Rettungsfonds ESM sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) teil.
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