Aufschwung, aber nicht für alle
Am 29. August 2005 traf Hurrikan „Katrina“ auf die US-Golfküste und richtete dort ein Desaster an. New Orleans stand zu 80 Prozent unter Wasser und wurde für Monate unbewohnbar. 1.800 Menschen verloren ihr Leben, viele andere ihre gesamte Existenz. Für die Stadt wurde das Desaster zum Schicksalsschlag. Beim Wiederaufbau wurden die Karten für New Orleans neu gemischt - allerdings nicht zum Vorteil aller Bewohner.
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Vieles am Wiederaufbau von New Orleans nach „Katrina“ gilt als Erfolgsgeschichte. Laut der US-Volkszählungsbehörde hat der Großraum New Orleans zehn Jahre nach der Katastrophe wieder 94 Prozent seines einstigen Besiedlungsstandes erreicht. Millionen wurden in den Wiederaufbau gepumpt, neue Geschäfte und Zuzügler fanden ihren Weg in die Stadt, grundlegende Reformen wurden durchgebracht, und historische Viertel erlangten nach der Verwüstung von 2005 ihren alten Glanz wieder.
100.000 weniger Afroamerikaner
Bei näherem Blick zeigt sich allerdings, dass New Orleans auch zu einer Stadt mit zwei Gesichtern geworden ist, die sich, so der „New Orleans Advocate“, zwar rasch entwickelt, es aber unregelmäßig tut. Während reiche Viertel wie das historische French Quarter mit einem Mix aus Partyleben, einer lebendigen Musikszene, kreolischer Küche und Kolonialarchitektur vibrieren, kämpfen andere Teile von „The Big Easy“ mit alten und neuen Problemen. Viele der scheinbaren Fortschritte sind auf Kosten der Opfer des Hurrikans vonstatten gegangen.

Reuters/Jonathan Bachman
Stufen aus Beton sind oft alles, was von Häusern geblieben ist
Der für die USA beispiellose Exodus, den „Katrina“ auslöste, trieb rund 1,3 Millionen Menschen aus dem Großraum New Orleans ins Landesinnere. Viele verloren alles und kamen nie mehr zurück, oft weil ihnen trotz Versicherungszahlen und Zuschüssen die Mittel fehlten. Ihre Grundstücke gingen oft für relativ wenig Geld an jene, die es sich leisten konnten. Eine Volkszählung von 2010 ergab, dass seit „Katrina“ fast 100.000 Afroamerikaner weniger in der Stadt leben, verglichen mit rund 11.500 Weißen.
Negativbeispiel Lower Ninth Ward
Die afroamerikanisch dominierte Nachbarschaft Lower Ninth Ward beispielsweise war das am schlimmsten vom Hochwasser betroffene Viertel, zahlreiche Bilder, die nach der Katastrophe um die Welt gingen, wurden dort geschossen. Der Stadtteil leidet zehn Jahre danach noch immer unter den Auswirkungen von „Katrina“. Viele Häuser sind nicht mehr als Ruinen, weite Teile hat sich bereits die Natur zurückerobert. Es fehlt an grundlegender Infrastruktur. Der Zustand der Straßen ist immer noch desaströs, und in den letzten zehn Jahren eröffnete laut „NationSwell“ gerade einmal ein Lebensmittelladen in dem Viertel.

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Ein Blick von oben auf Lower Ninth Ward: Lücken prägen das Bild
Maximal ein Drittel der einstigen Bewohner dürften in die Gegend zurückgekehrt sein. Grund dafür sind einerseits die infrastrukturellen Mängel und der angespannte Arbeitsmarkt, andererseits die Tatsache, dass ein großer Teil der Häuser sich seit Generationen im Besitz von Familien befand, schreibt der „New Orleans Advocate“. Die Eigenheime waren oft nicht versichert, oder komplizierte Besitzverhältnisse erschwerten den Empfang von Versicherungs- und Hilfsgeldern.
Unsicherheit bei Wiederaufbau
Viele Rückkehrer hatten nicht genug Mittel, um ihre alte Heimat wiederzuerrichten. Ihr Übriges tat die Unsicherheit in den ersten Monaten nach dem Wirbelsturm. Als es um die Fragen des Wiederaufbaus ging, schlug ein vom damaligen Bürgermeister Ray Nagin eingesetztes Komitee vor, dass riesige Teile von New Orleans, unter anderem auch die Lower Ninth Ward, in Parkland umgewandelt werden sollten.

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Die Natur hat weite Teile des Viertels zurückerobert
Obwohl der Plan unter scharfem Protest der Bürger ad acta gelegt wurde, hemmte allein der Vorschlag Investitionen und private Initiativen zum Wiederaufbau, so der „Advocat“. Vielen war das Risiko zu groß, dass ein Dreh des politischen Windes letztlich doch zur Aufgabe des Viertels hätte führen können. Das hängt der Wohngegend bis heute nach.
Teures Wohnen, Verlust der Kultur
Für die Lower Ninth Ward könnte sich jetzt trotzdem einiges ändern. Wie der britische „Guardian“ schreibt, könnte ein geplanter Block an Eigentumswohnungen dem Viertel ein Problem bringen, mit dem andere Teile New Orleans bereits zu kämpfen haben: die Gentrifizierung. Wohlhabendere Bevölkerungsgruppen breiten sich zunehmend in innerstädtischen Vierteln aus, die früher auch Wohnraum für die Arbeiterklasse boten, und treiben damit die Miet- und Kaufpreise in die Höhe, so die „Times-Picayune“.
Radio-Hinweis
Die Ö1-Sendung „Journal Panorama“ widmet sich am Donnerstag um 18.25 Uhr dem zehnten Jahrestag von „Katrina“ - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Viele Anwohner fühlen sich aus den Vierteln gedrängt, in denen ihre Familien seit vielen Jahren wohnen. Andere bleiben, müssen aber zusehen, wie die Kosten für das Wohnen zunehmend ihr Einkommen auffressen. Auch gibt es Bewohner, die befürchten, dass durch die Zuzügler die charakteristische Stadtkultur verloren geht. New Orleans Bürgermeister Mitch Landrieu gebe zu viel Geld für Touristen und Neuankömmlinge aus und vernachlässige dabei die alteingesessene Bevölkerung, so Kritiker. Die Stadt ist am Grübeln, wo nach der Gentrifizierung und der damit einhergehenden Explosion der Wohnungspreise noch Platz für die einkommensschwache Bevölkerung bleibt.

Reuters/Jonathan Bachman
Viele Ruinen wurden bis heute nicht beseitigt
Bürgermeister Landrieu bestätigte in einem Interview mit Buzzfeed, dass die dramatischen Veränderungen für viele Einwohner nicht leicht gewesen seien, er betonte aber vor allem die positiven Entwicklungen, die New Orleans seit „Katrina“ erlebt habe. Nichtsdestotrotz habe die Stadt immer noch mit Herausforderungen zu kämpfen, die mehrere Generationen beschäftigen werden. Das betreffe Kriminalität, Bildung, Einkommensunterschiede und die Infrastruktur. Trotzdem: Landrieu sieht in New Orleans „die größte Comebackstory Amerikas“.
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