Die bewegte Geschichte einer Straße
Im August vor 80 Jahren eröffnete Österreichs höchstgelegene befestigte Straße - die Großglockner-Hochalpenstraße. Sie führt durch den Nationalpark Hohe Tauern auf über 2.500 Meter Seehöhe. Obwohl sie die Bundesländer Salzburg und Kärnten miteinander verbindet, spielte der Transitverkehr in ihrer Geschichte kaum eine Rolle. Vielmehr wird sie seit jeher als Erlebnisstraße begriffen.
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Bis zu eine Million Besucher befahren die Großglockner-Hochalpenstraße jährlich. Die Straße ermöglicht ein relativ leichtes und trotzdem abenteuerliches Vordringen ins Hochgebirge. Touristen kommen, um von der Franz-Josefs-Höhe auf die Pasterze, Österreichs längste Gletscherzunge, zu blicken oder auf dem Hochtor die Aussicht auf über 30 schneebedeckte Dreitausender zu genießen.
Unerwartete Touristenmassen
Radfahrer suchen auf den Glockner-Pässen die Herausforderung, und Naturliebhaber bestaunen die Alpenmurmeltiere, die neben der Straße in der Sonne liegen. Als man sie in den 1930er Jahren errichtete, wurde mit maximal 120.000 Besucher jährlich gerechnet. Diese Marke hatte sich bereits im dritten Betriebsjahr verdoppelt.

OTS/grossglockner.at
Die Großglockner-Hochalpenstraße schlängelt sich durch den Nationalpark Hohe Tauern zu ihrem Scheitelpunkt, dem Hochtor
Sogar der literarische Parade-Opportunist und Urwiener „Herr Karl“ schwärmte im Keller einer Delikatessenhandlung von der Herrlichkeit der Hochalpenstraße. Dass sie die Titelfigur des gleichnamigen Theaterstücks von Carl Merz und Helmut Qualtinger zwischen den fragwürdigen Erklärungsversuchen seiner Vergangenheit erwähnt, erzählt viel über ihre politischen Bedeutung als ehemaliges Propagandaprojekt.

Böhlau Verlag
Johannes Hörl, Dietmar Schöndorfer (Hg.): Die Großglockner Hochalpenstraße. Erbe und Auftrag, 487 Seiten, 39,00 Euro.
Mühsamer Beginn
Auch das zum Jubiläum erscheinende Buch „Die Großglockner Hochalpenstraße - Erbe und Auftrag“ greift diese Geschichte der Straße auf. Darin werden die politischen Komponenten der Panoramastraße während ihrer Errichtung im Austrofaschismus ausführlich beleuchtet.
Bereits Anfang der 1920er Jahre - als Österreich noch demokratisch war - wurde der Ingenieur Franz Wallack beauftragt, eine Straße über die beiden Glockner-Pässe Fuscher Törl und Hochtor zu planen. Im Friedensvertrag von Saint-Germain waren mit Südtirol auch alle Hochalpen- und Panoramastraßen an Italien gefallen. Eine große alpine Aussichtsstraße über den Glockner wäre von wichtiger touristischer Bedeutung gewesen. Aus Geldmangel sollte es allerdings noch bis zum Ende des Jahrzehnts dauern, bis man das Projekt tatsächlich in Angriff nahm.
Initiator Franz Rehrl
Der damalige Salzburger Landeshauptmann und leidenschaftlichen Autofahrer Franz Rehrl erklärte das Vorhaben schließlich zu seiner Herzensangelegenheit und drängte auf die Umsetzung. Am 30. August 1930 wurde der Bau der Straße mit einem Sprengschuss in Ferleiten symbolisch eröffnet. Bis 1932 gingen die Bauarbeiten zügig voran. Doch die Kosten der Straße belasteten die Republik schwer. Unter dem Druck der Depression musste die Großglockner Hochalpenstraßen AG (GROHAG) aufgelöst und der Bau gestoppt werden.

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Franz Rehrl überquerte am 22. September 1934 als Erster mit einem PKW die Hohen Tauern über die noch nicht fertiggestellte Glockner-Straße
Erst die Machtübernahme der autoritären Regierung unter Engelbert Dollfuß im März 1933 gab der Hochalpenstraße neuen Schwung. Die Propagandaerfolge der deutschen NS-Mobilisierungspolitik spornten auch die Austrofaschisten an. Die GROHAG nahm ihren Betrieb also wieder auf. Neben dem propagandistischen Effekt erhoffte man, durch den Straßenbau die Arbeitslosigkeit zu verringern. Das Regime pumpte 14 Prozent der gesamten Straßenbauausgaben in die Glockner-Straße. Insgesamt waren 3200 Mitarbeiter maßgeblich am Bau beteiligt.
Schlechte Arbeitsbedingungen unter Dollfuß
Doch die Arbeitsbedingungen der Arbeiter verschlechterten sich nach dem Staatsstreich der Regierung Dollfuß erheblich. „Ab 1933 wurden die Arbeitnehmerrechte stark eingeschränkt. Durch die extreme Not und Arbeitslosigkeit wurde nicht protestiert. Jemand, der protestiert hat, hat die Arbeit leicht verloren“, erklärte der Wiener Historiker und Experte für die Großglockner-Hochalpenstraße Georg Rigele gegenüber Ö1. Außerdem wurden nur noch Mitglieder der Vaterländischen Front - einer faschistischen Einheitspartei - vom Arbeitsamt vermittelt - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Bevor die Straße fertiggestellt wurde, erschossen österreichische Nationalsozialisten am 15. Juni 1934 Dollfuß. Wenige Wochen vor seinem Tod hatte er die Großbaustelle Glockner-Straße noch besucht. Die Austrofaschisten versuchten den Namen Dollfuß mit der Straße zu verknüpfen. Sie wurde Teil des feinsäuberlich aufgebauten Mythos um den ehemaligen Bundeskanzler.
Der Kult um Dollfuß mündete in die Errichtung der „Dollfuß-Kapelle“ auf dem Fuscher Törl. Die Gedenktafel am pyramidalen Steinbau des Architekten Clemens Holzmeister wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten abmontiert. Heute erinnert das Denkmal an die 15 während des Baus der Straße verunglückten Arbeiter. Am 3. August 1935 konnte die Großglockner-Hochalpenstraße - nach fünfjähriger Bauzeit - schließlich eröffnet werden.

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Nach dem Tod von Engelbert Dollfuß versuchte man auch auf dem Glockner an dessen Mythos zu schrauben und errichtete die pyramidale „Dollfuß-Kapelle“
Schotterpiste mit Ausweichstellen
Ursprünglich war die Glockner-Straße eine einspurige Schotterpiste mit Ausweichstellen in Sichtweite. Ihre Steigung betrug auf der ganzen Strecke nie mehr als zwölf Prozent. Im Laufe der Jahre wurde sie kontinuierlich adaptiert. Ende der 1930er Jahre begann man die Kehren zu pflastern. Mitte der 1950er Jahre wurde sie asphaltiert und schließlich auf sieben Meter verbreitert. „Die Radien der Kehren mussten mit dem Größerwerden der Busse erhöht werden“, sagte Thomas Noel, Technischer Direktor der GROHAG, gegenüber dem Radiosender Ö1. Entlang der Strecke gab es alle zwei Kilometer Wasserstellen, um die Motoren der damaligen Autos zu kühlen, und insgesamt sechs Tankstellen mit handbetriebenen Benzinpumpen.
TV-Hinweis
Auch der „kultur.montag“ widmet sich am Montag um 22.30 Uhr in ORF2 der Großglockner-Hochalpenstraße - mehr dazu in tv.ORF.at.
Logistische Meisterleistung
Aus geologischer Sicht schmiege sich die Glockner-Straße perfekt in das alpine Gelände. „Die Glockner-Hochalpenstraße ist fast schon genial in die Landschaft eingebettet“, sagte der Geologe Hans Steyrer gegenüber Ö1. Auf der Nordseite überwindet sie rund 1.600 und auf der Südseite knapp 1.200 Höhenmeter und passiert dabei zwei Tunnel. Die Meisterleitung, die Franz Wallack erbrachte, lag darin, die Kunstbauten auf ein Minimum zu reduzieren und das anfallende Aushubmaterial so zu verteilen, dass sich die Landschaft kaum veränderte, wie Steyrer erklärte. „Die Mengen, die bewegt worden sind, waren nicht so groß wie bei modernen Straßen.“

APA/Archiv Grohag
Im Laufe der Jahre wurde die Hochalpenstraße immer wieder adaptiert und ausgebaut
Aufgrund dieser Besonderheiten stellte sie das Bundesdenkmalamt Anfang Juli unter Denkmalschutz. Für Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) ist das der erste Schritt auf dem Weg zum UNESCO-Weltkulturerbe. In Österreich selbst gehört die Glockner-Straße bereits seit ihrer Eröffnung zum nationalen Heiligtum. „Herr Karl“ nahm für die Überfahrt des Glockners sogar einen hohen Preis in Kauf. „Achtzig Schülling hat mi des kost! Fünf Bier, fünf Schnäps hab i ehm zahlen müaßn, dem Schaffeer.“
Matthias Winterer, ORF.at
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