Jan kennt Papas Zigarettensorte nicht mehr
Der Pumuckl trinkt Kirschlikör und ist beschwipst, der Pumuckl raucht die von Meister Eder gepriesenen Zigaretten – „die besten, die es gibt“ – und wenn Meister Eder sein Feierabendbier trinkt, darf der Pumuckl kosten – „Nur noch ein Schluck – na gut.“
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In vielen Kinderbüchern und Fernsehproduktionen, die wie „Meister Eder und sein Pumuckl“ aus den 1970er und 1980er Jahre stammen, werden Alkohol und Zigaretten - im Gegensatz zu heute - nicht als Problem dargestellt, sondern als Teil des Alltags: Erwachsene trinken zum Abendessen ein Glas Rotwein und rauchen beim Sonntagsspaziergang.
Fernsehen, bis der Arzt kommt
Viele dieser Bücher werden auch heute noch aufgelegt, das Glas Rotwein ist dann oft durch ein Häferl Tee ersetzt, die Zigarette wegretuschiert. Auch Pumuckl würde heute wohl kein Bier mehr vom Meister Eder bekommen. Rauchen und trinken wie Erwachsene und Kobolde durften Kinder in Büchern und im Fernsehen zwar auch früher nicht, dafür aber alleine zum Greißler gehen, auf der Straße spielen - und auch einmal ohne moralischen Zeigefinger fernsehen, wie die Geschwister Jan und Julia.
Die Buchreihe „Jan und Julia“ (Verlag Friedrich Oetinger) der deutschen Kinderbuchautorin Margret Rettich ist seit den 1970ern bei Kindern beliebt und wird nach wie vor aufgelegt. In der Erstausgabe von „Jan und Julia sind krank“ von 1978 dürfen die beiden, als sie mit Fieber im Bett liegen, das Kinderprogramm ansehen. In der Neuauflage schaltet Mama zwar auch den Fernseher ein, rechtfertigend steht im Text zum Bild nun allerdings: „So lange dürfen Jan und Julia sonst nie fernsehen.“
„Es merkt keiner“
Kleine Veränderungen, wie diese fallen vielleicht nicht weiter auf, besonders drastisch ist aber eine Anpassung im Buch „Jan und Julia kaufen ein“: In der Erstausgabe von 1973 gibt es eine Szene, in der Jan mit seinem Vater vor einem Zigarettenautomaten steht. Im Text darunter ist zu lesen: „Papa will Zigaretten holen. Er steckt ein Geldstück in den Automaten. Jan zieht die Schachtel heraus, er kennt Papas Zigarettensorte.“ In der neuen Auflage wurden Bild und Text komplett geändert - Jan und sein Vater stehen nun vor einem Bankomaten, um Geld abzuheben.
„Es gibt ganz viele Veränderungen in Kinderbüchern“, sagt Franz Lettner vom Institut für Jugendliteratur in Wien im Interview mit ORF.at. Diese seien aber selten so deutlich wie in der Szene aus „Jan und Julia kaufen ein“. Die meisten Bücher würden sich nicht so lange auf dem Markt halten, dadurch „merkt es keiner“.
„Vorauseilender Gehorsam“ der Verlage
Lettner führt Änderungen wie diese auf die allgemeine Tendenz zu verstärkten Reglementierungen zurück: „Auch bei Filmen für Erwachsene sieht man ja kaum noch Zigaretten, bei Produktionen für Kinder ist das noch stärker, weil man Werte vermitteln will.“
„Es werden Tendenzen der Gesellschaft aufgenommen“, sagt auch die Germanistin Jana Sommeregger, die als freie Mitarbeiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur (STUBE) und Lehrerin arbeitet. Wenn Eltern rauchen, assoziiere man das heute mit Sozialhilfeempfängern, so Sommeregger im Interview mit ORF.at, und das spiegle sich in der Kinderliteratur wider. In den 1970ern hätten Eltern, auch Akademiker, noch öfter geraucht.
Auch die Jugendschutzgesetze griffen heute stärker als vor 30 Jahren. Diese hätten zwar keinen direkten Einfluss auf Autoren oder Verlage, dennoch sei der Reflex, Alkohol und Zigaretten aus Kinderbüchern zu verbannen, oft eine Art vorauseilender pädagogischer Gehorsam. Kinderbücher seien „ein Spiegel dessen, was momentan gesellschaftlich läuft“.

Südverlag GmbH, Konstanz, 2000
Am 13. Dezember 1934 brachte die „Berliner Illustrirte Zeitung“ die erste „Vater und Sohn“-Bildgeschichte des Zeichners e. o. plauen heraus. Was dem Sohn das Stofftier, ist dem Vater die Pfeife.
„Erziehungspillen in buntem G’schichterlpapier“
„Das Fahnden nach politisch Unkorrektem ist sichtlich ein neuer Trend“, schrieb die Schriftstellerin Christine Nöstlinger 2013 in einem Kommentar in der „Zeit“. Es geschehe, „weil Kinderbücher nicht als richtige Literatur gelten, sondern als so etwas Ähnliches wie Erziehungspillen, eingewickelt in buntes G’schichterlpapier. Und je nachdem, wie die Dreinreder Kinder erzogen und zugerichtet haben wollen, sind eben ihre Vorstellungen von brauchbarer Lektüre für Kinder“.
„In den vergangenen Jahrzehnten ging es um: zu viel Erotik, zu viel Aufmüpfigkeit, zu wenig gesittete Ausdrucksweise, zu wenig heile Welt und zu negativ beschriebene Lehrer und Mamas“, so Nöstlinger, die sich in ihrem Kommentar auch auf die Diskussion über nicht diskriminierende Sprache bezieht, die in den vergangenen Jahren in der Literaturszene und in den Feuilletons ausschweifend geführt wurde.
Wie Poldi eine Freundin bekam
Viele Veränderungen betreffen auch Bereiche, die nicht so konfliktbeladen sind wie Alkohol, Rauchen und diskriminierende Sprache. Im Buch „Jan und Julia haben ein Tier“ von 1976 etwa gehen die Geschwister in eine Zoohandlung und suchen sich das Meerschweinchen Poldi aus.
Die Geschichte wurde in der neuen Auflage, die nun den Titel „Jan und Julia wünschen sich ein Haustier“ trägt, gleich mehrfach geändert: Zoohandlungen sind bei Jungfamilien heute nicht mehr so in, Allergien dafür umso mehr - und so bekommen Jan und Julia Poldi von Freundin Sophie, die leider allergisch auf Meerschweinchen ist. Und ja, es sind zwei Meerschweinchen, dank neuem Tierschutzgesetz bekommt Poldi, der nun Polli heißt, mit Molli eine Artgenossin.
Geschichten der Geschichten wegen
Doch wie kommt es überhaupt zu Änderungen wie dieser? Meist sei es so, dass ein Leser etwas entdeckt, von dem er meint: „Um Gottes Willen, das geht doch nicht“, sagt Lettner. Dann wird ein Brief an den Verlag geschrieben, Lehrer und Eltern bekommen Wind davon und sagen vielleicht, wir kaufen das Buch nicht mehr. Für den Verlag seien dann nicht nur ideologische, sondern auch ökonomische Gründe relevant.
„Viele Urheber und Verlage erzählen Geschichten zum Zwecke der Erziehung der Kinder“, so Lettner, die Kinderliteratur komme ja ursprünglich aus dem pädagogischen Bereich. Sie sollte Kinder in die Gesellschaft integrieren. Trotzdem gibt es seit jeher auch Verlage und Urheber, die die Geschichten der Geschichten wegen erzählen, „ihnen geht es nicht darum, was man darf und was nicht“.
Der weste Bee der Selt
Der Pumuckl darf viel, auch ungeniert seinen Schwips genießen: „Da wird einem ganz l-l-lu-lu-lu-lustig und dichterisch wird mir. Ich fühle, ich bin der größte Dichter, den ich außer mir je erlebt habe. Das ist der beste See der ganzen Welt. Das ist der weste Bee der Selt. Des ist der seste Welt der Bee. Der seste Wee der - Bee, der schmeckt dem Bokold see.“
Der „beste See der Welt“ besteht in diesem Fall aus dem Kirschlikör, den Meister Eder in der Folge „Pumuckl und der Kirschlikör“ (als Radiohörspiel erstmals am 26. Juni 1966 vom Bayerischen Rundfunk gesendet) von einer Kundin geschenkt bekommt.

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Bier gibt es fast immer bei Meister Eder, hier im Bild mit Mechanikermeister Toni Schmitt (links) und dem Pumuckl (Mitte)
„Nein, nein, i trink scho lieber a Bier“
Als Vorbild nach heutigen Maßstäben würde Meister Eder allerdings auch nicht taugen: In der Folge „Pumuckl macht Ferien“ (Erstausstrahlung am 29. Oktober 1982) fährt er zusammen mit Pumuckl auf einen Bauernhof. Während Pumuckl und die Bauernbuben Schorschi und Wickerl Streiche aushecken, verbringt Meister Eder die meiste Zeit auf einer Holzbank in der Sonne.
Nachdem er sich eine Zigarre angezündet hat, kommt die Bäuerin und bringt eine Flasche Bier: „Schaun’s da bring ich ihnen a kleine Erfrischung, weil sas so schön gmiadlich haben in der Sonne. Oder mechtens lieber a Milch?“ „Nein, nein, i trink scho lieber a Bier“, entgegnet Meister Eder belustigt, „morgen Früh dann beim Frühstück, aber jetzt trink i lieber a Bier.“ Als Pumuckl wenig später vorbeischaut, darf er „einen Schluck probieren“. „So, jetzt is genug“, mahnt Meister Eder. „Noch einen!“ verlangt Pumuckl. „Na gut ...“

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Zum Frühstück kein Bier, der Pumuckl hat trotzdem Spaß
Ursprung in der Kinderladenbewegung
Elemente wie das Glas Rotwein, mit dem etwa Jans und Julias Papa zu Weihnachten 1976 unter dem Christbaum sitzt, seien in den 1970ern auch ganz bewusst ideologisch eingesetzt worden, so Lettner. „Viele progressive Leute waren in den Verlagen und in der Lehrerschaft“, zu dieser Zeit sei ein Ruck durch die Szene gegangen.
Protest gegen das System
Die Kinderladenbewegung entstand 1967 in Berlin mit der Gründung der ersten selbstverwalteten Betreuungs- und Bildungseinrichtungen für Kinder im Kindergartenalter. Sie war Teil der Protestbewegung der 1970er Jahre gegen die bestehenden Verhältnisse. In Wien wurde 1969 die erste elternverwaltete Kindergruppe gegründet - das österreichische Pendant zum Kinderladen.
Diesen Paradigmenwechsel beschrieb auch Klaus Doderer, Literaturwissenschaftler und Gründer des deutschen Instituts für Jugendbuchforschung, 1998 im Katalog zur Ausstellung „Protest! Literatur um 1968“:
„Ausgelöst und beschleunigt durch die innerhalb der Kinderladenbewegung geführten Diskussionen zur Theorie der antiautoritären Erziehung und deren Umsetzung in der Praxis, beginnt von 1970 an eine so stürmische und tiefgreifende Veränderung im Bereich der Kinderliteratur, des Kinderlieds und des Kindertheaters, dass man heute im Rückblick auf die Jahre 1970 bis 1973 von einer einschneidenden Zäsur in der Kinderkultur spricht.“
Pumuckl und die Logik
Zu den Autorinnen und Autoren, die Geschichten der Geschichten wegen erzählen, zählt auch Nöstlinger. In den 1960ern und 70ern habe „das ewige Gelaber über die heile und nicht heile Welt begonnen“, sagte sie vergangenes Jahr bei einem Gespräch mit dem Schriftsteller Paulus Hochgatterer über Kinderliteratur und politische Bildung in der Hauptbücherei in Wien. Damals habe man ihr erklärt, dass das böse Verhalten eines Kindes schon auf der nächsten Seite geahndet werden müsse, und nicht erst 40 Seiten später.
Meister Eder ahndet bei seinem Schützling, dem Pumuckl, nicht vieles. „Warum musst du auch immer alles probieren, ohne erst zu fragen?“, lässt er nur ein klein wenig pädagogischen Impetus durchblitzen, als dem Pumuckl in der Folge „Pumuckl und die Kartenspieler“ (erstmals gesendet am 10. Oktober 1971 im Bayerischen Rundfunk) nach dem Rauchen schlecht ist. „Weil man beim vielen Fragen ja nicht zum Probieren kommt“, antwortet der Kobold, ganz Kind der 70er.
Romana Beer, ORF.at
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