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„Krieg verhindern, bevor er ausbricht“

Japans Regierungschef Shinzo Abe hat mit seiner Militärpolitik den Unmut der Bevölkerung heraufbeschworen. Ein neues Gesetz wird erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg auch Auslandseinsätze ermöglichen. Angesichts der wachsenden Spannungen vor allem mit China stößt dieses Vorgehen bei der Mehrheit der Japaner auf Widerstand.

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Die Abstimmung im japanischen Unterhaus wurde am Donnerstag von heftigen öffentlichen Protesten und einem Boykott der Opposition begleitet. Das von der Regierung eingebrachte Gesetzespaket sieht vor, dass erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs Soldaten wieder zu Kampfeinsätzen ins Ausland geschickt werden können.

„Sicherheitslage zunehmend ernst“

Kritiker sehen in dem Vorhaben eine Verletzung des in der Verfassung verankerten Pazifismus und fürchten, dass Japan in internationale Militärkonflikte der verbündeten USA hineingezogen wird. Abe hielt entgegen, dass nicht zuletzt die wachsende Macht Chinas eine neue Politik erfordere. „Die Sicherheitslage um Japan herum ist zunehmend ernst“, sagte er nach dem Votum. Die neuen Gesetze seien „notwendig, um das Leben der Japaner zu schützen und einen Krieg zu verhindern, bevor er ausbricht“, fügte der Regierungschef hinzu.

Oppositionsmitglieder protestieren bei der Abstimmung

AP/Shuji Kajiyama

Die Opposition boykottierte die Abstimmung

Abe bezog sich damit auf den Konflikt mit China um die Senkaku-Inseln (chinesisch: Diaoyutai) im Ostchinesischen Meer und die Spannungen im Südchinesischen Meer. Als weitere Gefahr betrachtet Japan das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm. Japans Regierung kommt außerdem Wünschen des Bündnispartners USA entgegen. Chinas Aktivitäten im Südpazifik wurden in einem US-Strategiebericht erst kürzlich als Bedrohung für die nationalen Sicherheitsinteressen eingestuft.

Neues Betätigungsfeld für Militär

Die neue Militärdoktrin gestattet den japanischen „Selbstverteidigungskräften“ Kampfeinsätze zur Unterstützung von Verbündeten und zur Beilegung internationaler Konflikte. So kann derzeit eine Rakete nur abgeschossen werden, wenn sie auf Japan gerichtet abgefeuert wurde. Eine Beteiligung an Kampfhandlungen ist nur gestattet, wenn es sich um einen „kritische Bedrohung“ für Japan handelt. Bisherige internationale Einsätze beschränkten sich auf humanitäre und logistische Hilfe.

Mit der Gesetzesänderung könnten japanische Kriegsschiffe etwa Öltanker auf dem Weg nach Japan begleiten. Und Luftaufklärer könnten im südchinesischen Meer zum Einsatz kommen, um die Aktivitäten Chinas zu überwachen.

Gesetz verfassungswidrig?

Doch Kritiker sehen in der Reform eine Neuinterpretation von Artikel neun der pazifistischen japanischen Nachkriegsverfassung. Darin schwört das japanische Volk „für alle Zeit“ dem Krieg als ein souveränes Recht ab und verzichtet auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. Selbst Verfassungsrechtler, die der Regierungspartei nahestehen, warnten im Vorfeld, dass das Gesetzespaket als verfassungswidrig eingestuft werden könnte, wie die Tageszeitung „Asahi Shimbun“ berichtete. Diese Debatte rief auch die Öffentlichkeit auf den Plan.

Zehntausende Menschen gingen am Donnerstag allein in Tokio auf die Straße. Der Pazifismus ist in der Bevölkerung tief verwurzelt, viele Japaner identifizieren sich mit der nach 1945 von der Besatzungsmacht USA ausgearbeiteten Verfassung. Sie befürchten, in internationale Konflikte hineingezogen zu werden. Wie aus einer vor wenigen Tagen vom Sender NHK veröffentlichten Umfrage hervorgeht, lehnen 61 Prozent Abes Kurs ab. Die Bevölkerung habe die Gesetze noch nicht ausreichend verstanden, sagte Abe vor der Abstimmung.

Experten: Soldaten nicht kampfbereit

Doch die Gesetzesänderung bringt auch praktische Probleme mit sich. So warnen Experten vor der mangelnden Ausbildung des Militärs. Seit Jahrzehnten nur auf den Friedenseinsatz ausgerichtet, fehle es den Soldaten an der Expertise und der Ausbildung in Selbstverteidigungstaktik. Das kann bei gefährlichen Auslandseinsätzen ein Risiko werden. Das japanische Oberhaus muss binnen 60 Tagen der eingebrachten Gesetzesänderung zustimmen. Bei einer Ablehnung könnte Abe mit seiner Zweidrittelmehrheit diese im Unterhaus wieder aufheben.

Lob aus USA, Protest aus China

Während die USA die Gesetzesvorlage begrüßten, kam aus China heftiger Protest. Die Sprecherin des Außenministeriums, Hua Chunying, sprach am Donnerstag in Peking von einem „beispiellosen Schritt“, der zu einer „bedeutenden Änderung der Militär- und Sicherheitspolitik des Landes führen kann“. Das werfe die berechtigte Frage auf, ob Japan seine defensive Haltung aufgeben und vom friedlichen Entwicklungsweg abweichen wolle, den es seit dem Zweiten Weltkrieg verfolgt habe, sagte die Sprecherin. „Wir fordern Japan ernsthaft auf, Lehren aus der Geschichte zu ziehen“, sagte Hua.

Die Spannungen zwischen China und Japan reichen weit in die Vergangenheit zurück. So macht China seit Monaten die internationale Öffentlichkeit verstärkt auf japanische Kriegsverbrechen aufmerksam. Nach Pekinger Regierungsangaben wurden 1937 bei einem Massaker in Nanjing 300.000 Menschen getötet. Einige konservative japanische Politiker leugnen das Massaker bis heute. Mehrfach empörte sich China über Besuche japanischer Regierungsmitglieder im umstrittenen Yasukuni-Schrein, wo auch Kriegsverbrecher geehrt werden.

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