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„‚Grexit‘ nicht heute, aber später“
„Es ist lediglich ein erster Schritt, die wirtschaftliche Abwärtsspirale Griechenlands aufzuhalten“, so Fratzscher. „Die Kuh ist nicht vom Eis, aber das Eis ist dicker geworden“, sagte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. „Es wird nicht leicht sein, diese Einigung umzusetzen - insbesondere für die griechische Seite.“
Ähnlich die Einschätzung des heimischen Instituts für Höhere Studien (IHS) und von Bankanalysten. Für Helmut Hofer, wirtschaftspolitischer Sprecher des IHS, ist es noch zu früh, um einen „Grexit“ auszuschließen. „Es ist erst ein Anfang“, meinte er. Für den Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Karl Aiginger, hingegen scheint der „Grexit“ nun vom Tisch zu sein. Nun müsse es der griechischen Regierung gelingen, in der Tourismushochsaison Arbeitsplätze zu schaffen. Soziale Hilfe sei auch von der orthodoxen Kirche, den Reedern und den Auslandsgriechen gefragt.
Abkehr vom griechischen Regierungskurs
Nach einer Marathonsitzung einigten sich die Staats- und Regierungschefs Montagfrüh auf die Umrisse eines neuen Hilfsprogramms. Binnen drei Jahren sollen weitere 82 bis 86 Milliarden Euro nach Athen fließen. Im Gegenzug muss die griechische Regierung Sofortmaßnahmen wie eine Mehrwertsteuer- und eine Pensionsreform beschließen.
„Griechenland hat sich zu weitreichenden Reformen und Einschnitten im Staatshaushalt verpflichtet“, sagte Schmieding. „Das ist nahezu das Gegenteil dessen, was Ministerpräsident Alexis Tsipras seinen Wählern im Jänner und beim Referendum versprochen hatte.“
Experte: „Grexit“-Risiko bleibt
Sein Kollege Jürgen Michels von der BayernLB hält das Risiko eines Euro-Abschieds von Griechenland nach wie vor für größer als die Chancen für einen Verbleib in der Währungsunion. „Dieser Gipfel hat den ‚Grexit‘ jetzt verhindert“, sagte der Chefvolkswirt. „Aber es wird unglaublich schwer sein, die genannten Sofortmaßnahmen als auch die folgenden Reformen in Griechenland durchzusetzen. Die Folgerung daraus lautet: ‚Grexit‘ nicht heute, aber später.“
Euro-Raum gespalten
Die harten Verhandlungen haben zudem die Risse zwischen den Euro-Ländern deutlich gemacht, ergänzten andere Experten. „Der Euro-Raum ist tief gespalten“, so Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Deutschland und die nordosteuropäischen Länder wollen eine Währungsunion nach dem Maastricht-Vertrag, der auf solide Staatsfinanzen, Marktwirtschaft und eine unabhängige Zentralbank setzt.“
„Dagegen wollen die südlichen Länder unter Führung Frankreichs eine Währungsunion ohne konsequente Haushaltsregeln und eine Zentralbank, die nach der Pfeife der Politiker tanzt.“ Das werde die Europäische Zentralbank (EZB) weiter dazu zwingen, die ungelösten Probleme der Währungsunion mit einer lockeren Geldpolitik zu übertünchen.
Einigung „erster Schritt“
Der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Athen, Gerd Dückelmann-Dublany, bremste nach der Einigung die Erwartungen. Der Kompromiss sei ein „erster Schritt“. Entscheidend sei aber nun, ob Tsipras die Reformen bis Mittwoch im Parlament durchbringen kann. Die Griechen hätten Tsipras und seine Partei SYRIZA in der Hoffnung gewählt, keine Einschnitte mehr hinnehmen zu müssen, zudem hätten in einer Volksbefragung über 60 Prozent die Reformvorschläge der Geldgeber abgelehnt. Nun müsse Tsipras das Gegenteil verkaufen. Die nächsten Tage in der griechischen Innenpolitik seien daher entscheidend.
Negative Folgen für Währungsunion befürchtet
Auch der Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein befürchtet negative Folgen für die Währungsunion. „Die Art, wie der ‚Grexit‘ abgewendet wurde, ist sicherlich keine gute“, sagte der Direktor des Jacques-Delors-Instituts in Berlin zu Reuters TV. „Denn es hat zu einer Eskalation geführt in Europa.“ Solche Konflikte sollten im Kern eines so wichtigen politischen Projekts eigentlich nicht mehr vorkommen. „Ich bin tief enttäuscht von allen Seiten, dass man einen solchen Kampf, eine solche Eskalation hat entstehen lassen in einer Situation, in der ein kühler Kopf, Nüchternheit vielleicht bessere Berater gewesen wären als Hitzigkeit.“