Deutschland führt Hardliner an
Der Euro-Sondergipfel zur Griechenland-Rettung ist in der Nacht auf Messers Schneider gestanden. Deutschland und die Niederlande drängten auf harte Bedingungen für Athen, während Frankreich, Italien und auch Spanien Verständnis für Griechenland zeigten. Tatsächlich wird über Auflagen debattiert, die für die Regierung des griechischen Premiers Alexis Tsipras nur schwer zu akzeptieren sind.
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Nach mehr als 14 Stunden Verhandlungen wurde der Gipfel in der Früh bereits zum dritten Mal unterbrochen. Danach sollten „abschließende Beratungen“ folgen, twitterte der maltesische Regierungschef Jospeh Muscat um 6.00 Uhr Früh. In den beiden Unterbrechungen zuvor hatten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der griechische Premier Alexis Tsipras, Frankreichs Staatschef Francois Hollande und EU-Ratschef Donald Tusk vergeblich um eine Einigung gerungen.
„Mit Pistole an Schläfe wäre jeder einverstanden“
Ein in der Nacht vorgelegtes „Kompromisspapier“ spießte sich offenbar an zwei entscheidenden Punkten: der von Deutschland geforderte Privatisierungsfonds und die künftige Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF). Athen kritisiert, dass die IWF-Kredite zu teuer seien und unter sehr strikten Bedingungen vergeben würden. Auch beim IWF sei es Deutschland, das auf die Beteiligung bestehe. „Beim Rest sind wir fast einig, wir sind vorangekommen“, sagte der Regierungsvertreter. „Mit einer Pistole an der Schläfe wäre jeder einverstanden.“
Ein Scheitern des Gipfels wurde in der Nacht nicht ausgeschlossen, hieß es in Ratskreisen. Die nächsten Stunden seien entscheidend. Die explizite Drohung mit einer Euro-„Auszeit“ für Griechenland ist laut Diplomaten vom Tisch. Doch bedeutet dies wenig, da im Falle einer Nichteinigung auf ein weiteres Hilfsprogramm eine Staatspleite ein Euro-Ausstieg Athens wahrscheinlich ist.
Streit über Treuhandfonds
Für Griechenland ist vor allem der von Deutschland geforderte Treuhandfonds für Privatisierungen schwierig zu akzeptieren. Einen solchen Fonds dürfte es geben, doch die Frage sei zu welchen Bedingungen, hieß es. Berlin hatte ein Volumen von 50 Mrd. Euro gefordert und eine externe Kontrolle der Fondsverwaltung. Athen soll nicht mehr als 17 Mrd. Euro zugesagt haben. Bei dem Fonds gehe es ums Prinzip, sagte ein griechischer Regierungsvertreter in der Früh.
Der Fonds war auch Teil eines Papiers des deutschen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU), das zudem eine mindestens fünfjährige Euro-Zonen-„Auszeit“ Griechenlands ins Spiel gebracht hatte, falls Athen seine Reformvorschläge nicht nachbessert.
Fonds für „wertvolle griechische Vermögenswerte“
In dem Papier war als Beispiel für den Fond, in den „wertvolle griechische Vermögenswerte“ fließen sollen, die Institution for Growth in Luxemburg genannt worden, die 2012 unter Schirmherrschaft der deutschen Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gegründet wurde. Verwaltungsrat der KfW ist Schäuble.
Kritik kam von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD): „Man kann das Nationalvermögen Griechenlands nicht in die Hände anderer geben.“ In der Nacht hieß es dann tatsächlich, diese Forderung sei in dieser Form und Höhe vom Tisch.
Krisenverhandlungen in Brüssel
Die Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten beraten in Brüssel erneut über die Krise in Griechenland - ein Ende war am Abend nicht in Sicht.
Tsipras müsste Reformen zurücknehmen
Auch eine Beteiligung des Währungsfonds am neuen Programm stößt den Griechen bitter auf, diese scheint nun aber zu kommen, hieß es in der Nacht. Für den Tsipras sei außerdem noch schwierig, dass die Gläubiger von ihm verlangten, bereits durchgeführte Gesetzesänderungen wie Lebensmittelmarken in Griechenland rückgängig zu machen. Aus Sicht der Gläubiger müssten diese Maßnahmen mit den Institutionen (früher Troika) abgesprochen werden.
Überhaupt soll die Kontrolle durch die Institutionen, die früher Troika genannt wurden, ausgeweitet werden: Griechenland muss nicht nur sicherstellen, dass deren Vertreter Zugang zu den Ministerien erhalten. Sie sollen überdies die relevanten Gesetzentwürfe absegnen, bevor diese im Parlament verhandelt werden.
„Demütigung“ Griechenlands
Laut dem griechischen Fernsehsender Mega bezeichneten griechische Regierungsmitglieder die Gläubigerforderungen als „monströs“. Auch Kommentatoren sprechen indes von „Daumenschrauben“ und einer „Demütigung“ Griechenlands. „Europa rächt sich an Tsipras“ titelt der „Guardian“ am Montag seine Print-Ausgabe. Auf Twitter wurde der Hashtag ThisIsACoup („Das ist ein Staatsstreich“) binnen weniger Stunden in 100.000 Tweets verwendet.
Prominente Unterstützung bekamen die Kritiker dabei von dem US-Ökonomen Paul Krugman. In seinem Blog in der „New York Times“ schrieb der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften: „Der Forderungskatalog der Euro-Gruppe ist Wahnsinn.“ Es handle sich um die „reine Rachsucht“, die „komplette Zerstörung von nationaler Souveränität“ und das „ohne Hoffnung auf Entlastung“. Es sei ein „grotesker Verrat an allem, wofür das europäische Projekt einmal stehen sollte“.
Unklar war, wie Tsipras in Griechenland auftritt. 17 Abgeordnete seiner SYRIZA proben den Aufstand, es wird gemutmaßt, er werde sie aus der Partei drängen. Stimmen für ein allfälliges Paket wird er wohl aus der Opposition bekommen. Aber auch Gerüchte über einen möglichen Rücktritt von Tsipras und Neuwahlen in Griechenland machten die Runde.

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Freundliche Gesichter gab es nur selten
Auflagen immer höher
Die Auflagen, die Athen für neue Milliarden erfüllen müsste, übertreffen alles, was es bisher in Hilfsprogrammen für Krisenstaaten gab, und kommen einer Vormundschaft gleich. Die Euro-Staaten begründeten dies in der Empfehlung mit der „Notwendigkeit, wieder Vertrauen aufzubauen“, nachdem Athen Ende Juni die Verhandlungen über eine Verlängerung seines zweiten Hilfsprogramms nach monatelangem Hin und Her abgebrochen hatte.
Nun müsste Athen schon vor dem Beginn der eigentlichen Verhandlungen über ein drittes Programm binnen weniger Tage eine Reihe von Gesetzen durch das Parlament bringen. Genannt werden Reformen des Mehrwertsteuer- und des Pensionssystems. Gefordert werden auch „quasi-automatische Ausgabenkürzungen“, sollten Haushaltsziele nicht eingehalten werden.
Schaltungen nach Brüssel, Athen und Berlin
Die ORF-Korrespondenten Peter Fritz in Brüssel, Birgit Schwarz in Berlin und Ernst Gelegs in Athen erläutern die Verhandlungen in Brüssel zur Griechenland-Krise.
Finanzbedarf bei 86 Mrd. Euro
Der Finanzbedarf Griechenlands in einem dritten Hilfsprogramm ist laut einem Dokument der Euro-Gruppe höher als bisher angenommen. Der Bedarf liege zwischen 82 und 86 Mrd. Euro, berichtet Reuters mit Verweis auf ein Papier, das laut Vertretern der Euro-Zone den Staats- und Regierungschefs der Währungsunion am Sonntag zur Beratung vorgelegt wurde.
In einer früheren Version waren 74 Mrd. Euro genannt worden. Der kurzfristige Finanzbedarf bis zum 20. Juli wird bei sieben Mrd. Euro gesehen, bis Mitte August seien weitere fünf Milliarden notwendig.
Kritik an Deutschland vor Gipfel
Die Zahl der „Grexit“-Befürworter war zuletzt deutlich gesunken. Neben Deutschland sahen noch sieben weitere Länder (Estland, Lettland, Litauen, Belgien, die Niederlande, Finnland und die Slowakei) einen Austritt Athens aus dem Euro für eine gangbare Lösung. Slowenien, das zunächst auf der Seite Deutschlands war, schwenkte am Sonntag ein. Merkel und ihr Schäuble mussten sich im Vorfeld des Sondergipfels lautstarke Kritik gefallen lassen. Eingelenkt haben sie - wie sich wenig später herausstellen sollte - aber nicht.

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Hollande und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Tsipras
„Italien will keinen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, und in Richtung Deutschland sage ich: Jetzt reicht es“, zitierte etwa die römische Zeitung „Il Messaggero“ den italienischen Regierungschef Matteo Renzi am Sonntag. „Nachdem Tsipras Vorschläge gemacht hat, die mit den europäischen Vorgaben übereinstimmen, müssen wir zu einer Einigung kommen. Es ist nicht denkbar, einen europäischen Partner zu demütigen, nachdem Griechenland alles aufgegeben hat“, wird Renzi zitiert.
Auch aus Frankreich kam eine Absage. Frankreichs Präsident Hollande erklärte, er wolle alles dafür tun, um am Sonntag eine Einigung im griechischen Schuldenstreit zu erreichen. Ein zeitlich begrenzter Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ist für Hollande aber nicht möglich. Zudem betonte Hollande, dass Griechenland bereits Anstrengungen unternommen habe.
Faymann: „Entwürdigend“
„Wenn Deutschland es auf einen ‚Grexit‘ anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich. Das wäre eine Katastrophe für Europa“, sagt der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn der „Süddeutschen Zeitung“.
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) lehnte das deutsche Papier im Vorfeld des Gipfels als unannehmbar, „entwürdigend und außerdem völlig falsch“ ab. Die Staaten der Euro-Zone müssten wieder „einen Weg zueinander finden, es ist Glaubwürdigkeit herzustellen, es ist Vertrauen herzustellen“, betonte der Bundeskanzler. „Vorschläge wie ein befristeter Ausschluss haben da nichts verloren.“ Wer in Europa „eine gemeinsame Lösung“ suche, der „findet auch einen Weg“, gab sich Faymann zuversichtlich.

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Faymann im Gespräch mit Schulz
Rauswurf als Ziel Schäubles?
Das deutsche Papier befeuerte zudem schon zuvor geäußerte Spekulationen, Deutschland wolle Griechenland aus dem Euro haben, egal welche Vorschläge Athen präsentiert. Auch dass Schäuble zunächst gar nicht auf die Reformliste, sondern auf „fehlendes Vertrauen“, das wohl schwierig objektiv zu messen oder bewerten ist, abstellte, wurde in diese Richtung gedeutet.
Einige Kommentatoren sahen Schäuble mit seinen Vorschlägen wieder bei seinem Modell des „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, das er schon in den 90er Jahren vorgeschlagen hatte und das eine Teilung in ein „Kerneuropa“ und einen weniger integrierten Rest vorsieht.
Harte Abrechnung von Varoufakis
Der griechische Ex-Finanzminister Giannis Varoufakis meinte in einem Kommentar im britischen „Guardian“ gar, Schäuble sehe einen „Grexit“ nicht nur als einzige Möglichkeit, sondern wolle damit auch die gesamte Euro-Zone seinem Diktat unterwerfen. Dass die bisherige EU-Politik ökonomisch nicht sinnvoll sei, dazu brauche es nur das mathematische Wissen eines cleveren Achtjährigen. Insofern müsse es politische Gründe geben. „Auf der Grundlage monatelanger Verhandlungen bin ich davon überzeugt, dass der deutsche Finanzminister will, dass Griechenland aus der Währungsunion herausgedrängt wird, um die Franzosen das Fürchten zu lehren und sie zu zwingen, sich seinem Modell einer Euro-Zone zu unterwerfen, in der strenge Disziplin herrscht.“
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