Spekulanten könnten Blase platzen lassen
Seit der globalen Finanzkrise 2008 hat Chinas Regierung nicht mehr so energisch in den Aktienmarkt eingegriffen, um einen Börsencrash zu verhindern - so haben es Staatsmedien berichtet. Doch das am Wochenende von der chinesischen Regierung verkündete Maßnahmenpaket verpuffte bisher ohne große Wirkung. Auch am Mittwoch startete die Börse in Schanghai mit Verlusten.
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Der Eingriff der chinesischen Regierung kam bereits in einer Phase gestiegener Nervosität: Seit drei Wochen ist der Leitindex in Schanghai bereits auf Talfahrt und verlor damit binnen drei Wochen rund ein Drittel seines Werts. Das ist das größte Minus seit mehr als 20 Jahren. Auch an der Börse in Shenzhen sah es ähnlich aus. Politiker und Regulatoren reagierten mit der Absage von Börsengängen, um zu verhindern, dass Anleger in neue Aktien investieren und bereits börsennotierte Unternehmen darunter leiden. Dazu kam eine Geldspritze der Zentralbank „zur Stabilisierung des Marktes“, wie es hieß.
Auswirkungen auf globale Finanzplätze?
Doch das große Zittern ging auch am Mittwoch weiter: Der Shanghai Composite Index schloss am Abend (Ortszeit) um 5,9 Prozent schwächer, nachdem er zuvor mit einem Minus von 8,2 Prozent in den Handel gegangen war. Der Shenzhen Component verlor 2,94 Prozent. Nach den neuerlichen Kursrutschen kündigten die Zentralbank und die Aufsichtsbehörden in Peking erneut Maßnahmen an. Inzwischen wurde fast die Hälfte der Aktien vom Handel ausgesetzt. 1.287 Unternehmen wurden am Mittwoch nicht mehr gehandelt.
Die sich zuspitzende Lage an Chinas Festlandbörsen erschütterte auch den Markt in Hongkong. Der dortige Index Hang Seng ging mit einem Verlust von acht Prozent aus dem Handel. Nach einem heftigen Kursrutsch am Morgen hatten die Zentralbank und Aufsichtsbehörden umgehend neue Maßnahmen verkündet, um die Märkte zu stützen. Chinas Zentralbank versicherte, dem nationalen Kreditgeber China Securities Finance Corporation (CSF) ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen, um Wertpapierkäufe zu finanzieren.
Angst vor weiterem Verfall
Nun wächst in China die Angst vor einem weiteren Verfall an den Börsen, der Auswirkungen auf die globalen Finanzplätze haben könnte. Schlagen die Gegenmaßnahmen längerfristig fehl, könnten „ganz Asien und (Handelsplätze) darüber hinaus in Mitleidenschaft gezogen werden“, meinte Strategin Kathleen Brooks vom Brokerhaus Forex.com. Notenbank und Finanzmarktaufsicht kündigten umgehend neue Maßnahmen an. Die Finanzmarktaufsicht sprach am Mittwoch von Panikstimmung.
Noch mehr als ein Lauffeuer auf andere Märkte fürchtet die kommunistische Führung die politischen und sozialen Auswirkungen eines Börsenkrachs. „Zu wilde Fluktuationen sind sowohl unberechtigt als auch ungewollt, weil sie kleinere Investoren schädigen und Panik oder andere Komplikationen auslösen können, die die Lage der Realwirtschaft beeinträchtigen“, hieß es in einem Kommentar der Zeitung „China Daily“. Die Intervention sei „notwendig“, müsse aber vorübergehend bleiben.
Angst vor wütenden Kleinanlegern
Was sich sehr technokratisch anhört, nimmt auf die Eigenart der chinesischen Börsianer Bezug: Denn während in den USA und in Europa vor allem die großen Investoren den Takt an den Börsen vorgeben, werden in China rund 85 Prozent der Transaktionen von Privatpersonen getätigt. Konkret muss also die Regierung den Zorn der vielen Kleinanleger fürchten und infolgedessen gar soziale Unruhen, sollten die Kurse weiter fallen. Zudem stützt sich Peking auf die Börse, um den Privatsektor auszubauen.

APA/EPA/Wu Hong
Chinesische Investoren hoffen auf eine nachhaltige Trendumkehr
Risikofreudigkeit mit Folgen
Hinter dem Kursverfall steht die Neigung der chinesischen Anleger, hohe Risiken einzugehen. Weit verbreitet ist etwa, kreditfinanzierte Hebelprodukte zu kaufen, bei denen mit geringen Beträgen große Volumen bewegt werden können. Das „Margin Lending“ ermöglicht Kleinanlegern mit geringem finanziellen Einsatz trotzdem hochspekulativen Handel zu betreiben. Ein riskantes Spiel - nicht nur für jeden Einzelnen. Weil sich nämlich schon seit Längerem das Wirtschaftswachstum verlangsamt, hatten immer mehr Experten zuletzt vor einem Platzen der Blase gewarnt.
Befeuert durch diese Risikofreudigkeit war dem Verfall ein Kursfeuerwerk vorangegangen: Unter der Führung von Präsident Xi Jinping war der Aktienmarkt im vergangenen Jahr explodiert, vor allem weil der Staat mit Hilfe niedriger Zinsen viel Geld zur Verfügung stellte. Die Börse in Schanghai legte 2014 insgesamt um fast 53 Prozent zu; bis Anfang Juni dieses Jahres kletterte der Index erstmals bis zur Marke von 5.000 Punkten. Am 12. Juni lag der Index 150 Prozent über der Marke von vor einem Jahr. Am selben Tag kündigte die Börsenaufsicht an, sie werde die Regeln für den Aktienkauf auf Pump verschärfen. Panikartig begannen die Kleinanleger am nächsten Tag zu verkaufen.
Gigantische Größenordnung
Doch so leicht ist der böse Geist nicht zurück in die Flasche zu bekommen: Marktteilnehmer warnen davor, dass immer noch riesige gehebelte Positionen vorhanden sind, die irgendwann abgewickelt werden müssen. Hinter vorgehaltener Hand schätzen sie die Größenordnung auf vier Billionen Yuan, (rund 585 Mrd. Euro). Das entspricht ungefähr der jährlichen Wirtschaftsleistung der Schweiz. Um die Märkte nach dem jüngsten Kursverfall zu stützen, öffnete China die Geldschleusen weiter.
Die Zentralbank beschloss Ende Juni die vierte Zinssenkung seit November und erleichterte zugleich für bestimmte Banken die Kreditvergabe. Eine solche doppelte geldpolitische Lockerung gab es zuletzt auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise 2008 - laut Analysten vor allem eine Beruhigungspille für Investoren. „Die Regierung muss den Markt retten, nicht mit leeren Worten, sondern mit Silber und Gold“, fordert Stratege Fu Xuejun vom Brokerhaus Huarong Securities. Ein Börsencrash würde sonst Banken, Konsum und Unternehmen mitreißen und für soziale Instabilität sorgen.
„Von Stimmungswechsel kann man nicht sprechen“
Unterstützung kam am Wochenende von 21 führenden Brokern und Fondsanbietern. Sie wollen mindestens 17,3 Mrd. Euro in Wertpapiere investieren und nichts verkaufen, bis sich der Leitindex auf über 4.500 Punkte erholt hat. Die chinesische Börsenaufsicht dämmte dazu die Flut an Neuemissionen und Kapitalerhöhungen ein.
„Der Umfang dieses Schachzugs ist enorm“, meinte Anne Stevenson-Yang von J Capital Research gegenüber dem Onlinemagazin Quartz. 28 Börsen-nwärter gaben ihre Pläne für einen Sprung auf das Handelsparkett auf. „Peking ist extrem bemüht, panikartige Verkäufe zu unterbinden“, sagen die Analysten der NordLB. „Von einem Stimmungswechsel kann man allerdings noch nicht sprechen.“
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