Themenüberblick

Alter Mann, frischer Wind

Ein tätowierter Weinbauer hat Thessaloniki umgekrempelt. Dabei war die Ausgangslage für den parteilosen Bürgermeister keine einfache: Seine Vorgänger hinterließen ihm einen Scherbenhaufen. Korruption setzte dem Budget der Stadt zu, und das Müllproblem stank zum Himmel. Doch seit 2011 setzt Giannis Boutaris seine Reformen ungebremst durch.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Letztes Jahr fand sein Wirken auch in der internationalen Presse hohe Anerkennung. Die Huffington Post kürte den in Thessaloniki geborenen Boutaris zu einem der zehn Bürgermeister der Welt, die ihre Stadt am stärksten zum Positiven verändert haben. Dabei war sein Weg in die Politik eigentlich gar nicht geplant.

„Nach dem Tod meiner Frau musste ich etwas Neues anfangen“, erzählt der ungewöhnliche Politiker in einem Dokumentarfilm, der ihn während dem Wahlkampf 2010 zeigt. Für Boutaris war die Kandidatur ein Weg, auch im gesetzteren Alter „aktiv und motiviert“ zu bleiben. Der Bürgermeister auf einem Selbstverwirklichungstrip? Vielleicht. Geschadet hat es der Stadt aber in keinster Weise.

Bären statt Wein

Der 73-jährige Boutaris stammt aus einer Winzerfamilie. Er leitete das Weingut Boutari und wurde international für seine Weine prämiert. Der ehemalige Weinbauer ist kein Aufsteiger oder Außenseiter, wie viele griechische Politiker entstammt er der vermögenden Elite.

2002 übergab er die Geschäfte an seine Kinder. Dann begann Boutaris’ Wandel zum Aktivisten und Politiker: Er trat kurz der Kommunistischen Partei bei und engagierte sich in Bürgerinitiativen. Auf seine Bemühungen hin entstand ein Reservat für Bären und Wölfe. Der „New York Times“ gestand er, dass er eigentlich den Wald retten habe wollen, in dem sich das Tierreservat befindet: „Jeder mag Bären, ein Wildtierreservat findet eher Anklang bei den Menschen.“

Mit 300 Stimmen Vorsprung ins Rathaus

Mit der Gründung der „Initiative für Thessaloniki“ gelang dem Ex-Winzer - der sich selbst als „Pro-Business-Sozialist“ beschreibt - schließlich der Einstieg in die Politik. Parteilos, aber mit der Unterstützung der sozialdemokratischen Partei PASOK schaffte er mit 69 Jahren den Sprung ins Rathaus - mit gerade einmal 300 Stimmen Vorsprung. Seit 2011 kämpft er von dort für ein „anderes“ Thessaloniki.

Bürgermeister von Thessaloniki Giannis Boutaris

APA/EPA/Sotiris Barbaroussis

Protest gegen Neonazi-Partei: Boutaris mit „Judenstern“ im Stadtparlament

Boutaris spart nicht mit Kritik: an den griechischen Gläubigerinstitutionen („Wie Touristen auf der Akropolis“), an der orthodoxen Kirche und an der neuen SYRIZA-Regierung („Das sind Idioten, die denken wir sind auf Kuba“). Gerald Knaus, in dessen Doku über Thessaloniki Boutaris mehrmals vorkommt, ist überzeugt: „Seine Offenheit schafft Vertrauen und überzeugt die Menschen.“ Der heute 74-Jährige hätte erstmals die gravierenden Probleme in der Verwaltung und die tiefgreifende Korruption angesprochen, so Knaus.

Immer ohne Krawatte, oft auf dem Rad: Boutaris Stil wirke nach der 24 Jahre währenden Regierung der konservativen Nea Dimokratia (ND) wie eine „Frischzellenkur“. Die Stadt setzt verstärkt auf Radwege, die Müllabfuhr wurde generalüberholt und das Budgetdefizit, das sein Vorgänger hinterlassen hatte, wurde durch einen Haushaltsüberschuss ersetzt.

Konflikt mit der orthodoxen Kirche

Mit der Kirche verbindet ihn eine ambivalente Beziehung. Boutaris unterstützte die Gay-Pride-Parade in Thessaloniki offen und spazierte in erster Reihe mit. Vor seiner Wahl zum Bürgermeister kam es zu einer skurrilen Szene, die auch von einem Fernsehteam aufgezeichnet wurde: Dem Politiker wurde bei einer Messe verwehrt, das Holzkreuz zu küssen. Auf den Aufnahmen ist zu hören, wie ihm der Geistliche mitteilt, dass er „nie Bürgermeister werden“ würde. Der Reformer macht aus seiner Einstellung zur Kirche keinen Hehl. Mehrmals bezeichnete er die orthodoxe Eminenz als „Mudschahed“, also als islamischen Terroristen.

Links: