„Parlamentarischer Arm von PEGIDA“
Bei der deutschen Partei Alternative für Deutschland (AfD) gehen die Wogen nach der Parteitagsniederlage des liberalkonservativen Flügels hoch. Zahlreiche Mitglieder wollen der Partei den Rücken kehren, hieß es am Montag aus mehreren AfD-Landesverbänden. Nach dem Sieg des nationalkonservativen Parteiflügels und der Wahl von Frauke Petry zur Vorsitzenden sehen Beobachter die AfD gar als „parlamentarischen Arm von PEGIDA“.
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Im Anschluss an den Parteitag in Essen versuchte Petry den Eindruck zu zerstreuen, dass die AfD weiter nach rechts gerückt sei. „Bitte lassen Sie sich nicht von den aktuellen Presseberichten irritieren, die uns einmal mehr ins politische Abseits stellen wollen“, schrieb Petry in einer E-Mail an AfD-Mitglieder. „Geben Sie uns bis Ende des Jahres Zeit, um den Nachweis zu erbringen, dass wir unsere AfD inhaltlich und organisatorisch auf Kurs halten werden.“
Petrys Einschätzung wird von Beobachtern nicht geteilt. „Die Partei wirft ihren bürgerlich-liberal-besserwisserischen Kern über Bord, sie dürfte sich schon bald mit grenzwertiger Rhetorik und polarisierenden Thesen neu aufstellen. (...). Die AfD könnte schon bald eine Art parlamentarischer Arm der PEGIDA, der Unzufriedenen, der Wutbürger vom rechten Ufer sein“, hieß es in einem Kommentar eines Journalisten auf der Website der ARD-Tagesschau.
„Pöbelei, Intoleranz und Machenschaften“
Harte Kritik an der neuen Parteispitze äußerte auch Hans-Olaf Henckel, ehemals Präsident des Bundes Deutscher Industrie (BDI) und eines der prominentesten Gesichter der AfD. „AfD wird (...) zu einer NPD im Schafspelz“, schrieb Henckel auf Twitter, ehe er Sonntagabend seinen Austritt aus der Partei verkündete: „Nicht ich habe die AfD verlassen, sie hat mich verlassen. Für Pöbelei, Intoleranz und Machenschaften bin ich nicht mehr zu haben.“

Reuters/Fabian Bimmer
Hans-Olaf Henckel: Der ehemalige BDI-Präsident kehrte der AfD den Rücken
Parteigründer Bernd Lucke überlegt indes die Gründung einer neuen Partei. Bereits im Mai hatte Lucke zusammen mit Mitstreitern den Verein Weckruf 2015 gegründet. Die AfD-Europaparlamentarierin Ulrike Trebesius, die Vorsitzende des Weckruf-Vereins ist, sagte der dpa am Montag, man werde die Vereinsmitglieder in den nächsten Tagen fragen, „ob wir gemeinsam austreten sollen aus der AfD“. Weitere Alternativen seien die Gründung einer neuen, eigenen Partei, „oder wir gehen in der AfD in den Winterschlaf“. Montagnachmittag schließlich gaben Trebesius und der baden-württembergische AfD-Landeschef Bernd Kölmel ihre Parteiaustritte bekannt.
„Lucke raus“-Rufe auf Parteitag
Auf dem Parteitag herrschten teilweise tumultartige Zustände. Das Parteitagspräsidium musste die mehr als 3.000 Teilnehmer mehrfach zur Ruhe mahnen. Als Parteigründer Lucke vor Vorurteilen gegen den Islam warnte, steigerte sich die Wut vieler Teilnehmer in offene Aggression und „Lucke raus“-Rufe. Der Ökonomieprofessor wies darauf hin, dass über zwei Millionen Muslime in Deutschland lebten, und fragte, ob dieser Teil der Bevölkerung ausgegrenzt werden solle.

Reuters/Wolfgang Rattay
Parteigründer Lucke, Kontrahentin Petry: Das Wählerpotenzial rechts der Mitte wäre in Deutschland durchaus vorhanden
Neo-Parteichefin Petry erklärte dagegen unter Jubel, der Islam vertrete ein Staatsverständnis, das in Mitteleuropa völlig fremd und mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Die Chefin der sächsischen Landesgruppe forderte: „Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir uns überlegen, wie wir das bewerkstelligen wollen.“ Mit Blick auf die islamkritischen PEGIDA-Proteste erklärte sie, auch wenn man nicht alle Forderungen teile, seien es diese Bürger, „für die wir primär Politik machen wollen“.
5,6 Prozent „manifest rechtsextrem“
Rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei mehr geben, hatte einst CSU-„Übervater“ Franz-Josef Strauß gefordert. Tatsächlich schaffte keine einzige Rechtspartei bisher den Einzug in den deutschen Bundestag. Das könnte sich mit der Neuaufstellung der AfD ändern.
Das Wählerpotenzial wäre vorhanden: 5,6 Prozent der deutschen Wähler seien „manifest rechtsextrem“ eingestellt, ermittelten Wissenschaftler des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig (KReDo) im Vorjahr im Rahmen der sogenannten „Mitte“-Studie. Der Anteil der ausländerfeindlich eingestellten Wähler lag immerhin bei 20 Prozent.
Charismatische Figur ausschlaggebend
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Umfragen sehen die AfD bei zehn Prozent. Bei der Europawahl 2014 erreichte sie 7,1 Prozent der Stimmen, was sie zur Entsendung von sieben Abgeordneten nach Straßburg berechtigte. In den Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen sitzen AfD-Vertreter in den jeweiligen Landtagen. Auf kommunaler Ebene sind AfD-Repräsentanten etwa in den Stadträten von München und Augsburg vertreten.
Die Wurzeln der AfD reichen bis ins Jahr 2012 zurück. Damals gründete der Ökonom Lucke mit anderen ehemaligen CDU-Mitgliedern den Verein zur Unterstützung der Wahlalternative 2013, aus dem im Februar 2013 die Alternative für Deutschland hervorging. Zentrale Forderungen der Partei waren und sind die Auflösung der Euro-Zone sowie die Beschneidung der Kompetenzen der Europäischen Union.
Ob sich die AfD letztlich auch auf Bundesebene durchsetzen kann, hängt wohl auch an der Performance der Parteivorsitzenden Petry. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung untersuchte im Jahr 2013 den Aufstieg rechtsextremer Parteien in Europa. Neben einigen anderen Faktoren sei das Vorhandensein einer „charismatischen Führungspersönlichkeit“ ausschlaggebend für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien, so die Experten. Solch eine Führungsperson habe es in Deutschland bisher nicht gegeben.
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