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„Gezielte Tötungen“ als „Routine“

Das Team sechs der US-Spezialeinheit Navy SEALs, das durch die Tötung von Osama bin Laden weltbekannt geworden ist, hat laut einem Bericht der „New York Times“ („NYT“) seine Einsätze in aller Welt in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet.

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Das Sondereinsatzteam habe sich seit seiner Vergrößerung ab dem Jahr 2001 zu einer „globalen Menschenjagd-Maschine“ entwickelt, schrieb die Zeitung in einer umfangreichen Analyse, die sich auf Gespräche mit Dutzenden früheren und gegenwärtigen Navy SEALs sowie mit anderen Militärvertretern stützt.

Habe es sich früher um eine kleine Einheit mit wenigen Einsätzen gehandelt, seien für sie gezielte Tötungen mittlerweile zur „Routine“ geworden, hieß es in dem Bericht. Nun gebe es zunehmend Besorgnis über exzessives Töten und zivile Opfer der Einsätze.

Wendepunkt 2006

Ein Wendepunkt ereignete sich laut „NYT“ 2006, als der damalige Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan, Stanley McCrystal, das Team sechs vermehrt in den dortigen Kampf gegen die radikalislamischen Taliban einband. Zwischen 2006 und 2008 habe es Nächte gegeben, in denen die Elitesoldaten zehn bis 15, manchmal sogar bis zu 25 Menschen getötet hätten, schrieb die „NYT“.

„Verfolgten auch Straßendiebe“

Die „Typen sind wild geworden (...) diese Tötungsorgien sind Routine geworden“, zitierte die Zeitung ein Ex-Mitglied, ohne dessen Namen zu nennen. Zugleich seien die Zielpersonen immer weniger bedeutend geworden. „2010 haben die Burschen Straßendiebe verfolgt. (...) Die bestausgebildeten Soldaten der Welt verfolgten Straßendiebe“, sagte das Ex-Mitglied.

Ein früherer hochrangiger Militärvertreter sagte laut „NYT“: „Ob ich glaube, dass es mehr Tötungen gab, als es gegeben haben sollte? Sicher.“ Die Einstellung der Eliteeinheit habe gelautet: „‚Wenn es eine Bedrohung ist, töte es‘, und später merkst du: ‚Oh, vielleicht habe ich die Gefahr überschätzt.‘“

Wenig Kontrolle

Weltweit hat die Spezialeinheit laut dem Bericht Spähposten - getarnt als kommerzielle Schiffe, als geheime Positionen an Botschaften und als zivile Angestellte von Tarnfirmen –, um jene Opfer aufzufinden, die die USA fangen oder töten wollen. Laut „NYT“ handelt es sich dabei um eine der geheimsten und am wenigsten kontrollierten militärischen Organisationen.

Dass die Einsatztruppe, die früher nur für seltene Missionen verwendet wurde, mittlerweile im Dauereinsatz ist, spiegelt laut dem Bericht „die neue Art der US-Kriegsführung, in der Konflikte sich nicht durch Siege oder Niederlagen in Schlachten darstellen, sondern durch das unnachgiebige Töten von Personen, die als militant eingestuft werden“.

Das Team sechs habe Tausende gefährlicher Überfälle ausgeführt. Militärs seien überzeugt, dass dies militante Netzwerke geschwächt habe, die Angriffe hätten aber auch wiederholt die Sorge laut werden lassen, dass die Tötungen exzessiv seien und unschuldige Zivilisten ums Leben kommen.

„Kongress will nicht zu viel wissen“

Wenn der Verdacht von Fehlverhalten erhoben wurde, sei die Kontrolle von außen stets eingeschränkt gewesen. Das Joint Special Operations Command (JSOC), das für die Missionen von Team sechs verantwortlich ist, führte laut „NYT“ eigene Untersuchungen in mehr als einem halben Dutzend Fälle durch – selten seien diese aber an die Ermittler der Navy weitergeleitet worden. „JSOC untersucht JSOC, und das ist ein Teil des Problems“, so ein ehemaliger, namentlich nicht genannter hoher Militärbeamter.

Auch die zivilen Aufsichtsbehörden prüfen die Operationen dieser Navy-SEALs-Einheit nicht regelmäßig. „Das ist ein Bereich, in dem der Kongress offenkundig nicht zu viel wissen will“, so Harold Koh, ein früherer Topberater des US-Außenministeriums, der die US-Regierung im Bereich „geheimer Kriege“, so die Formulierung der „NYT“, beriet.

Erfolge und Misserfolge

Dem Bericht zufolge war die Einheit sechs in den vergangenen Jahren unter anderem in Syrien, im Irak, in Somalia und im Jemen im Einsatz. Etwa 30 Soldaten aus den Reihen des Teams sechs und seiner Helfer in der US-Armee seien im Einsatz ums Leben gekommen, die wenigsten blieben von gesundheitlichen Schäden verschont.

Zu den Erfolgen der Truppe zählte die Befreiung von US-Geiseln in Somalia. An Fehlschlägen nannte die „NYT“ eine versuchte Geiselbefreiung 2009 im afghanischen Ghazi Khan, bei der zehn Dorfbewohner getötet wurden, sowie den Tod der Britin Linda Norgrove im Oktober 2010 bei einer missglückten Befreiungsaktion in Afghanistan.

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