Themenüberblick

Zusammenhalt um hohen Preis

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras lässt am Sonntag ein Referendum über die Reformvorschläge der Gläubiger abhalten - und knüpft an den Ausgang auch sein eigene politische Zukunft. Völlig offen ist, ob Tsipras aus diesem - innen- wie auch außenpolitischen - Poker als Sieger hervorgeht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Bisher musste der griechische Premier für seine Referendumsentscheidung vor allem viel Kritik über sich ergehen lassen. Die Gläubiger zogen sich erst einmal vom Verhandlungstisch zurück, mancher EU-Politiker sah in der Entscheidung einen ersten Schritt Griechenlands hinaus aus der Euro-Zone, und auch die ersten Einschätzungen von Experten waren größtenteils von Unverständnis geprägt.

„Verweigerung“, „feige“

Als „Verzweiflungsakt“ bezeichnete etwa der Politologe Christos Katzioulis die Referendumsankündigung Tsipras’ am Montag im Ö1-Mittagsjournal. Von Tsipras, dem „Zauberlehrling“, dessen Manöver „keine Perspektive“ hätten, sprach die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“). Und die französische „Le Monde“ unterstellte dem griechischen Premier „eine Art Verweigerung“.

Durch einen großen Teil der Kommentare und Analysen zog sich der Tenor, Tsipras habe sich mit seinem Referendum dem Populismus verschworen und damit den leichteren, wenn nicht gar „feigen“ Weg gewählt - so etwa der Wirtschaftswissenschaftler Spyridon Paraskevopoulos im Deutschlandfunk.

Möglicher Rückgriff auf Opposition

Dahinter steht die Prämisse, dass Tsipras auch anders handeln und sich etwa den 24. Mai als Vorbild hätte nehmen können. Vor einer Woche stimmte das griechische Parlament über eine Regierungsvorlage zum neuen Staatsbürgerschaftsrecht ab. Und obwohl Tsipras’ Koalitionspartner, die rechtspopulistische ANEL, gegen den Gesetzesvorschlag stimmte, wurde er angenommen - mit den Stimmen von SYRIZA und den beiden Oppositionsparteien To Potami und Pasok.

Parlament in Griechenland

APA/AP/Petros Karadjias

Die Koalition aus Links- und Rechtspopulisten hält im griechischen Parlament die Mehrheit - stimmt aber nicht immer gleich ab

Wäre es Tsipras wirklich ernst mit einer Lösung, hätte er eine mögliche Übereinkunft eben mit den Stimmen der Oppositionsparteien durch das Parlament drücken müssen, so der Subtext der Kritiker. Tatsächlich hatten die liberale Bürgerbewegung To Potami, die sozial-demokratische Pasok und die konservative Nea Dimokratia bereits ihre Zustimmung zu einem mit den Gläubigern ausgehandelten Finanzpaket signalisiert.

Widerstand aus der eigenen Partei

Freilich hätte der griechische Premier mit einem solchen Vorgehen aber nicht nur die aktuelle Regierung, sondern auch seine eigene Partei aufs Spiel gesetzt. Dass der linke Flügel von SYRIZA einem mit Brüssel ausgehandelten Deal zustimmen würde, war in den vergangenen Wochen immer unwahrscheinlicher geworden. SYRIZA-Sprecher Nikos Filis sprach Anfang Juni von einer „roten Linie der Partei“, die von den Forderungen der Geldgeber nicht überschritten werden dürfe. Wo diese rote Linie genau durch die Partei verläuft, ist allgemein kaum festzumachen - dazu ist die junge SYRIZA zu heterogen.

Der Links-außen-Flügel der Partei war etwa bereits von den Vorschlägen, die Tsipras Anfang vergangener Woche nach Brüssel schickte, alles andere als begeistert. Alexis Mitropoulos, immerhin stellvertretender Parlamentspräsident, stellte in einem Interview klar, den Maßnahmen nicht zuzustimmen. Auch innerhalb der Regierung war der Gegenwind für Tsipras in den Tagen vor dem Wochenende deutlich zu spüren. SYRIZA-Gesundheitsminister Panagiotis Kouroumblis etwa wollte - in einem Interview darauf angesprochen - partout nicht seine Zustimmung zu Tsipras’ Vorschlägen zusichern.

Gewichtiger Gegner mit harter Linie

Kouroumblis ist innerhalb der griechischen Regierung jedoch kaum Tsipras’ gewichtigster Gegner - der heißt wohl eher Panagiotis Lafazanis. Der Industrie- und Energieminister gilt als Wortführer der Linken Plattform, dem Zusammenschluss des linken Flügels der Partei. Schon bevor SYRIZA im Jänner die Regierung übernahm, war Lafazanis gegen die moderaten Kräfte rund um Tsipras aufgetreten.

Griechische Industrie- und Energieminister Panagiotis Lafazanis

Reuters/Alkis Konstantinidis

Lafazanis ist die Stimme des linken Flügels innerhalb der linken SYRIZA

Der Politiker, dem nicht nur griechische Medien ein Nahverhältnis zu Moskau nachsagen, hatte in der Vergangenheit mit seiner Forderung nach einer Rückkehr zur Drachme, bereits für parteiinterne Spannungen gesorgt. Seit SYRIZA die Regierung stellt, waren solche Töne von Lafazanis zwar nicht mehr zu hören. Gegenüber Griechenlands Geldgebern verfolgte er aber weiterhin eine harte bis unnachgiebige Linie. Noch vor Tsipras Referendumsankündigung hatte der Energieminister erklärt, dass die Zeiten Mut erfordern – wofür ließ er bedeutungsschwanger offen.

Gläubiger setzten auf Spaltung

Lafazanis und seine Linke Plattform hätte Tsipras jedenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit verloren, hätte er versucht, eine mögliche Übereinkunft mit den Gläubigern mit Hilfe der Mitte-Parteien durch das Parlament zu bringen. Für SYRIZA in der jetzigen Form hätte das das Ende bedeutet. Laut Insidern wäre das durchaus im Sinn der internationalen Geldgeber gewesen, die sich eine Neuwahl und ein Umschwenken Tsipras’ in Richtung der Mitte-Parteien erhofft hätten.

Allerdings sei diese Strategie mit Anfang Juni gescheitert, stellte der „Guardian“ am Montag in der Rückschau fest. Zur Erinnerung: Nachdem Anfang Juni innerhalb der SYRIZA die Rufe nach einer Neuwahl immer lauter wurden, erklärte Tsipras am 5. Juni vor dem Parlament in Athen die damals aktuelle Reformliste aus Brüssel für „absurd“. Athens Bedingungen seien der „einzig realistische“ Vorschlag, ließ Tsipras Griechenlands Gläubiger ebenso wissen wie die Abgeordneten in seinen eigenen Reihen. Ein Auseinanderbrechen der Partei war damit erst einmal abgewandt – und die Position des linken Flügels in der Partei gestärkt.

Risikoreiche Entscheidung

Dass sich Tsipras nun für den Weg eines Referendums entschied, lässt sich auch als ein letzter Versuch verstehen, die eigene Partei und die Regierungskoalition zusammenzuhalten. Der griechische Regierungschef könnte dafür allerdings einen hohen Preis zahlen. Das bezieht sich nicht nur auf die tatsächlichen Kosten der Volksabstimmung, die der griechische Rechnungshof auf etwa 110 Mio. Euro schätzt.

Wenn die Griechen für eine Annahme der Gläubigervorschläge stimmen, könnte das aus derzeitiger Sicht das Ende der Regierung Tsipras’ bedeuten. Zumindest drohte Tsipras selbst am Montagabend im Falle eines Ja mit Rücktritt. Der Leiter des griechischen Thinktanks Eliamep, Thanos Dokos, rechnete am Dienstag in so einem Fall mit einer Neuwahl. Er sprach von einem „politischen Vakuum“, das ein Rückzug von Tsipras’ SYRIZA hinterlasse - denn die Parteien der Mitte seien weit von einer Parlamentsmehrheit entfernt.

Für Griechenland ortet Dokos in der Folge erst einmal Stillstand. „Es würde eine Übergangsregierung geben, die mit den Gläubigern verhandelt.“ Diese hätte aber keine Unterstützung im Parlament - Griechenland bliebe dann zumindest bis zu einer Neuwahl im August handlungsunfähig. Profitieren könnten extremistische Parteien wie die orthodox-kommunistische KKE und die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte. Die Faschisten waren im Übrigen die einzige Oppositionspartei, die in der Nacht auf Sonntag ebenfalls für Tsipras’ Referendum stimmten.

Varoufakis stellt Ja-Empfehlung in Aussicht

Zuletzt stellte Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis nach Angaben von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) eine Ja-Empfehlung für die Abstimmung in Aussicht. Das sollte in dem Fall geschehen, dass die EU-Finanzminister den neuen Vorschlägen Griechenlands zustimmten, sagte Schelling am Dienstagabend in der ZIB2.

Spekulationen über eine Referendumsabsage kommentierte der Minister mit den Worten: „Das würde nicht schaden.“ Die Sorge sei, dass niemand verstehe, worüber überhaupt abgestimmt werde. Er hoffe, dass Vernunft einkehre. „Wenn die griechische Regierung empfiehlt, Ja zu stimmen, wäre es genauso hilfreich, wie wenn es nicht stattfindet.“

Links: