Mit Bast und Jute auf dem Laufsteg
Der lässige, schlapfenähnliche Leinenschuh mit der spröden Bastsohle erinnert unweigerlich an die Strandurlaube der 1980er Jahre. Er ist eine Lifestyle-Ikone, die langsam in Vergessenheit geriet. Doch seit wenigen Jahren ist sie wieder da, die Espadrille. Ihr Image als schlampigen Juteschuh hat sie weitgehend verloren. Die diesjährigen Modelle der Labels sind schrill, edel und vor allem teuer.
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Noch vor wenigen Jahrzehnten gingen Espadrilles an den Marktständen von Bibione und Lignano für wenige Lire über den Ladentisch. Nach einer Espadrilles-Abstinenz in den 1990er und 2000er Jahren - als sich der gemeine Urlauber der Vorliebe für bunte Flip-Flops hingab – kehrten sie langsam wieder zurück. Doch diesmal hat es die Espadrille in die Schaufenster der noblen Boutiquen geschafft. Die prominenten Modehäuser haben sich dem traditionellen Strandschuh angenommen und ihn ordentlich aufgemotzt.

Everett Collection/picturedesk.com
Grace Kelly trug schon in den 1950er Jahren die traditionsreichen Espadrilles
Glanz und Extravaganz
Immer extravagantere Versionen schlurfen über die Laufstege von Paris und Mailand. In exotischen Materialien aus knallig bunten Farben startete die Espadrille ihr pompöses Comeback. Schon längst ist sie mehr als ein gewöhnliches Accessoire für Strand und Freibad. Die sündteuren Modelle der Modelabels können problemlos zum Abendessen im Haubenrestaurant getragen werden.
Das italienische Modehaus Valentino bietet etwa aus feiner Spitze gefertigte Espadrilles um stattliche 390 Euro. Von Aquazzura kann man bestickte Espadrilles aus Veloursleder um 400 Euro erstehen. Dolce & Gabbana setzt auf auffällige Blumenmuster-Prints, Gucci auf edles, schwarzes Leder, Chanel auf sein altbewährtes, protziges Logo auf dem Leinen, und Gaultier interpretiert sie als Plateauschuhe. Die Haute-Couture-Espadrilles bewegen sich auf dem Preisniveau eines durchschnittlichen Kurzurlaubs.
Doch auch günstigere Modeketten wie Humanic und H&M sind auf den Trend aufgesprungen. Sie vertreiben sie in den unterschiedlichsten Varianten: gestreift, mit fotorealistischen Palmenaufdrucken, als Schlapfen, mit und ohne Schuhbänder oder im Leopardenmuster. Hier schwanken die Preise der verschiedenen Modelle zwischen zehn und 60 Euro.
In alter Tradition
Das spanische Label Lika Mimika lässt seit einigen Jahren mondäne Espadrilles nach alter Tradition in den Manufakturen Spaniens produzieren. Laut Website verwenden sie in allen Produktionsschritten die althergebrachten, umweltfreundlichen Materialen - vom Gerben hin zum Färben und der Herstellung der Sohlen.
Denn die klassischen Espadrilles haben eine lange Geschichte. Schon vor Jahrhunderten wurden Hanfschnüre gerollt und in gepresster Form zu Schuhsolen verarbeitet. Wann und wo der Schlupfschuh genau entstanden ist, lässt sich heute nicht mehr eruieren. Wahrscheinlich im 14. Jahrhundert in der Provence oder in Katalonien. In Spanien wurden die Leinenschuhe von der gewöhnlichen Bevölkerung in zwei unterschiedlichen Farben getragen. Die schwarzen Espadrilles waren für den Alltag, während die Weißen den festlichen Tagen vorbehalten blieben.
Das Wort Espadrilles kommt aus dem Provenzalischen. Es ist auf das früher für die Sohle verwendete Espartogras (Steppengras) zurückzuführen. In seiner vermutlich ursprünglich spanischen Heimat werden diese Schuhmodelle dementsprechend espardenyes (auf Katalanisch) oder alpargatas (auf Spanisch) genannt.
Symbol der Lässigkeit
Nachdem sie über Jahrhunderte die Schuhe der spanischen Arbeiter, Fischer und Bauern waren, avancierten sie in den 1950er Jahren zu einem Symbol der Lässigkeit. Grace Kelly trug sie im Musical „Die oberen Zehntausend“. Auch John F. Kennedy und Sophia Loren outeten sich als Träger der leichten Sommerschuhe. Salvador Dali und Pablo Picasso nutzten sie ebenfalls, malten in den luftigen Bastschuhen und gingen in ihnen aus. Sogar Don Johnson jagte in „Miami Vice“ in Espadrilles mutmaßliche Drogenhändler und Waffenschmuggler.

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In den 1980er Jahren trug sie quasi jeder, sogar Don Johnson in „Miami Vice“
In den 1960er Jahren entwarf Yves Saint Laurent die erste Espadrille mit Plateauabsatz. Später eroberten sie endgültig den Mainstream und die Strände der Welt. Als der Markt von asiatischen Billigimporten überschwemmt wurde, sank auch die Nachfrage und ihr Siegeszug ging zu Ende. In den späten 1990er Jahren verschwanden sie und gerieten in Vergessenheit. Bis vor wenigen Jahren die ersten Füße wieder auf Bastsolen durch die Straßen schlenderten. Spätestens seit heuer ist das Revival auf pompöse Art und Weise gelungen.
Matthias Winterer, ORF.at
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