„Ausmaß war ihm nicht bewusst“
Die Hintergründe der Amokfahrt in Graz mit drei Toten und 34 Verletzten sind auch zwei Tage später unklar. Der mutmaßliche Täter wird am Montag dem Haftrichter vorgeführt. Bei einer Befragung Sonntagnachmittag durch Ermittler habe der Mann nur ausweichend geantwortet, so die Staatsanwaltschaft.
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Bei der Festnahme durch die Polizei sei er sich des Ausmaßes der Tat „nicht bewusst“ gewesen, so Christian Kroschl, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Am Samstag waren erste Befragungen gescheitert, da der 26-Jährige auch nicht auf die Fragen der behandelnden Ärztin antwortete - sein psychischer Zustand war dafür offenbar zu schlecht.
„Angeblich hat er bei seiner Festnahme von einer Messerstecherei gesprochen. Dass er auf dem Weg in die Schmiedgasse (zur Polizei, Anm.) mit dem Auto jemanden angefahren habe, hielt er für möglich. Das Ausmaß war ihm aber anscheinend nicht bewusst“, sagte Kroschl. Die Festnahme verlief ohne Gegenwehr des Lenkers, er fuhr bereits langsam, als ihn die Beamten vor der Polizeiinspektion anhielten.
Einvernahmen schwierig
ORF-Korrespondentin Ulrike Enzinger berichtet von den Erkenntnissen rund um die Einvernahme des Amokfahrers in Graz.
Fest steht mittlerweile, dass der Mann nicht betrunken war - ein Alkoholtest ergab 0,0 Promille. Das Ergebnis eines Bluttests, der Aufschluss über einen möglichen Drogenkonsum geben könnte, steht noch aus - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Täter stellte sich nicht von sich aus
Im Zuge eines Besuchs von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in Graz wurde bekannt, dass die Festnahme anders ablief als zunächst berichtet. Entgegen einigen Darstellungen vom Samstagnachmittag stellte sich der Mann nicht freiwillig der Polizei. Tatsächlich war das Fahrzeug offenbar vor der Polizeistation zum Stillstand gekommen, es habe mehrere Schreie gegeben: „Raus aus dem Auto!“ Der Fahrer sei „unter Aufsicht von drei Beamten mit erhobenen Händen langsam aus dem Auto ausgestiegen und wurde von zwei Beamten noch am Fahrzeug durchsucht und verhaftet“, hieß es von einem Augenzeugen.
Frau verließ mit Kindern das Land
Bei dem Mann handelt es sich um einen Berufskraftfahrer aus dem Bezirk Graz-Umgebung, der bereits zuvor „als gewaltbereit in Erscheinung getreten“ sei, wie es am Samstag hieß. Der Mann ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er wurde nach häuslicher Gewalt am 28. Mai von seinem Wohnsitz weggewiesen. Es handle sich um einen Einzeltäter, hieß es von der Polizei. Es wurde vermutet, dass die familiären Konflikte eine akute Psychose bei dem Mann auslösten. Seine Frau hatte nach der Wegweisung mit den Kindern das Land verlassen.
Unter den drei Todesopfern der Amokfahrt ist ein vierjähriger Bub, der in der Herrengasse angefahren wurde, teilte die Polizei am Samstagabend mit. Bei den beiden erwachsenen Toten handelt es sich um einen 28-Jährigen, der bei der Synagoge vom Tatfahrzeug gerammt wurde, sowie eine 25-jährige Frau, die wie der Bub in der Herrengasse niedergefahren wurde. Das Alter der 34 Verletzten liegt im Bereich von vier bis 75 Jahren. Eine von ihnen hatte am Samstag ihren 21. Geburtstag.
„Grazer Innenstadt ist wie eine offene Wunde“
Unterdessen sitzt der Schock in Graz am Tag danach tief. „Die Grazer Innenstadt ist wie eine offene Wunde“, sagte Innenministerin Mikl-Leitner sichtlich bewegt. „Es ist einfach unfassbar, was hier passiert ist. Es ist nicht entschuldbar.“ Die Ministerin verharrte in Begleitung der steirischen und Grazer Polizeispitzen vor der Stadtpfarrkirche und der Bank in der Herrengasse, wo ein Kind und ein Frau ihr Leben verloren hatten, und legte zwei weiße Rosen nieder.

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In Anteilnahme legten viele Passanten Blumen nieder und entzündeten Kerzen
Auch das Straßenbild in Graz täuscht nicht über die Ereignisse hinweg. Die ganze Nacht über brannten in der Innenstadt Kerzen, Blumen wurden an jenen Orten aufgestellt, an denen der Täter Menschen niedergefahren hatte. In den Grazer Kliniken kämpfen die Ärzte noch um das Leben von drei der insgesamt 34 Verletzten.
„Graz trauert“
„Graz trauert“ stand auf der großen Anzeigentafel auf dem Jakominiplatz. Am Sonntag waren nur wenige Menschen in der Herrengasse unterwegs, an den Geschäften und einigen Lokalen fanden sich noch die Zettel, die von den hastigen Schließungen am Vortag kündeten: „Wegen aktueller Vorkommnisse sofort geschlossen“ oder „Das Geschäft ist heute durch Polizeieinsatz geschlossen“ war da zu lesen.
Am Vorabend trauerten Angehörige der Opfer an den Tatorten. Eine Frau zeigte das zwei Wochen alte Hochzeitsbild ihres Verwandten, der beim Spaziergang mit seiner frischangetrauten Frau vom Amokfahrer getötet wurde. Der Mann starb noch an der Unfallstelle, seine Frau liegt im Koma.
Amokfahrt dauerte fünf Minuten
Laut Stadtpolizeikommandant Kurt Kemeter begann die Amokfahrt gegen 12.15 Uhr in der Zweiglgasse: „Er beschleunigte bis zur Kreuzung mit der Lagergasse, fuhr auf den Gehsteig und rammte zwei Personen, wobei eine davon getötet wurde.“ Anschließend fuhr der Täter Richtung Augartenbrücke und wollte auf Höhe der dortigen Synagoge einen weiteren Fußgänger anfahren. Dieser konnte sich hinter einer Säule in Sicherheit bringen und wurde nur leicht verletzt.

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In der Zweiglgasse begann die Amokfahrt des 26-Jährigen
Danach raste der Lenker weiter in die Grazbachgasse, wo ein Paar aus einem Geschäft bei einer Grünanlage kam. Er sprang aus dem Auto und attackierte beide mit einem Messer. Dabei wurde der Mann schwer, seine Freundin leicht verletzt. Nach weiteren Attacken lenkte er in die Herrengasse ein, fuhr diese „mit hohem Tempo“ hindurch und erfasste dabei mehrere Personen, wobei zwei getötet wurden. Zudem krachte der Lenker in einen Schanigarten, wo er acht Menschen verletzte. Die Amokfahrt habe etwa fünf Minuten gedauert, hieß es von der Polizei später.
Mit 100 km/h auf Passanten losgefahren
Der Täter raste laut Augenzeugen mit rund 100 km/h durch die Herrengasse auf der Höhe des Hauptplatzes, wo sich mehrere Cafes befinden. Unter den Passanten herrschte Panik, die Menschen versuchten, sich in die Gebäude zu retten. Nach der Tat wurden Rettungskräfte aus der gesamten Region in Graz zusammengezogen. 83 Rettungswagen, 110 Sanitäter und vier Rettungshubschrauber waren im Einsatz.
Aufregung im Internet wegen Strache-Reaktion
Aufregung herrschte unterdessen in Sozialen Netzwerken wegen eines - mittlerweile geänderten - Facebook-Postings von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Ihm wurde von zahlreichen Usern vorgeworfen, die Amokfahrt für politische Zwecke missbraucht zu haben. „Wahnsinnstat in Graz! Der Täter ist aus Bosnien. Ein religiös begründetes Attentat wird nicht ausgeschlossen!“, soll Strache laut im Netz kursierenden Screenshots gepostet haben. Tatsächlich kam der Täter im Alter von vier Jahren nach Österreich und ist österreichischer Staatsbürger.
Heftige Diskussionen zwischen Strache-Fans und -Kritikern auf dessen Facebook-Seite waren die Folge. Strache selbst rechtfertigte sich damit, lediglich Medienberichte wiedergegeben zu haben. Die Polizei hatte bereits Samstagnachmittag betont, dass bei der Tat „kein Zusammenhang mit Fanatismen“ bestehe und es sich um „eine Psychose mit Ausgang im Familienleben“ handle.
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