Nach dem Krieg ist wie im Krieg
Seit Ende Februar schlagen keine Raketen und Bomben in Kobane (arabisch: Ain al-Arab) mehr ein. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wurde vor Monaten vertrieben, die kurdische Bevölkerung kehrt allmählich zurück. Doch die syrische Stadt wurde völlig zerstört. Unter dem Schutt warten die Sprengfallen des IS, der immer noch versucht, die Rückkehr der Menschen zu verhindern.
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Obwohl der IS Ende Jänner von kurdischen Einheiten und einer internationalen Koalition aus Kobane vertrieben wurde, hat er noch immer starken Einfluss auf das Gebiet. Die Rückkehr der kurdischen Bevölkerung ist den Dschihadisten ein Dorn im Auge. Mit unterschiedlichen Strategien versuchen sie die Stadt und ihre Umgebung noch unbewohnbarer zu machen, als sie nach den monatelangen Kämpfen ohnehin schon ist.
Brennende Felder
In den letzten Wochen brannten immer wieder Felder um die Hauptstadt des Kantons Kobane. Weizen, Gerste und Obstbäume verbrannten im Feuer, gelegt vom IS. Mit schweren Waffen beschießt er das Umland Kobanes - hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte Gebiete, wie die Onlinezeitung Al-Monitor Anfang der Woche berichtete. „Der IS zündet die Felder an, um die Zivilbevölkerung einzuschüchtern“, sagte Anwar Mosallem, Leiter des Exekutivbüros des Kantons. Er appelliert an internationale Organisationen, die Verwaltung der Region zu unterstützen. Denn es fehlt an Feuerwehrautos, um die Brände zu löschen.
Laut Schadensbericht des Kobane-Wiederaufbau-Ausschusses war der Verlust der landwirtschaftlichen Ernte im Jahr 2014 mit 97 Prozent beinahe absolut. Heuer ist mit noch höheren Ausfällen zu rechnen, da die Bauern nicht aussäen konnten und die Felder nun brennen.
Lebensfeindliche Bedingungen
Doch nicht nur im Umland, auch in Kobane selbst herrschen lebensfeindliche Bedingungen. Unter Trümmern und Schutt verbergen sich nicht selten Sprengfallen und Minen. Im Häuserkampf hätten „mehrere Kriegsparteien“ versteckte Sprengfallen zurückgelassen, dokumentierte die Minenräumer-Hilfsorganisation Handicap International, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete.

Reuters/Osman Orsal
Unter Trümmern und Schutt verbergen sich oft Sprengfallen und Munitionsteile
Die Minen finde man in der ganzen Stadt, in Wohnungen, Autos, Traktoren, Wassertanks und Olivenhainen. Auch Leichen seien mit Sprengsätzen präpariert worden. Nachdem mehrere Versuche, Leichen zu bergen, verhängnisvoll geendet hätten, würde man diese nun in den Trümmern liegen lassen. Verwesende Körper stellen wiederum ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar.
Sieben Detonationen pro Woche
Laut Bericht von Handicap International würden in den am stärksten umkämpften Stadtteilen al-Amin und al-Murabba Einwohner Blindgänger aus dem Geröll ziehen und diese auf die Straße legen, damit sie von Minenräumern eingesammelt werden. Kurz nach Ende der Kampfhandlungen im Februar fielen durchschnittlich drei Menschen täglich den Sprengfallen und Blindgängern zum Opfer. Mehr als vierzig wurden getötet, viele weitere verletzt. Derzeit geschehe das noch fünf- bis siebenmal pro Woche.
Doch nicht nur Sprengfallen sind in der ausgebombten Stadt ein Problem. Ganz Kobane sei „extrem kontaminiert“. Vor allem im Stadtkern fänden sich auf einem Quadratmeter durchschnittlich zehn Munitionsteile. Mehr als 700-mal hatten Kampfflugzeuge der US-geführten Anti-IS-Koalition 250 bis 1.000 Kilo schwere Fliegerbomben auf die Kleinstadt abgeworfen. Etwa 40 Autobomben explodierten, und 20 Selbstmordattentäter des IS sprengten sich in östlichen Stadtvierteln in die Luft.
Fast alle zurückgekehrt
Trotz dieser verheerenden Lebensumstände wollen die Geflohenen zurückkehren. „Im Herbst letzten Jahres sind zwischen 150.000 und 200.000 Menschen aus Kobane über die Grenze in die Türkei geflohen“, sagte Martin Glasenapp, Nahost-Referent der Hilfsorganisation Medico International, gegenüber der deutschen Wochenzeitung „Zeit“. Die meisten hätten sich während der Kämpfe in grenznahen kurdischen Städten in der Türkei aufgehalten. Allein in der türkisch-kurdischen Kleinstadt Suruc überwinterten zwischenzeitlich bis zu 60.000 Flüchtlinge. Fast alle kehrten mittlerweile zurück.
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