Themenüberblick

Drei Menschen ringen noch mit dem Tod

Am Tag nach der rund fünfminütigen Amokfahrt eines 26-Jährigen herrscht in Graz weiter Bestürzung und Trauer. Die ganze Nacht über war das Straßenbild in der Innenstadt von brennenden Kerzen gezeichnet, auch Blumen waren an jenen Orten aufgestellt, an denen der Täter Menschen niedergefahren hatte. Drei Menschen sind noch in Lebensgefahr.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Mit unzähligen Lichtern drückten die Teilnehmer Trauer und Beileid aus. Auch Angehörige von Opfern nahmen an den Gedenken teil. Eine Frau zeigte das zwei Wochen alte Hochzeitsbild ihres Verwandten, der vom Amokfahrer getötet wurde. Es handelt sich um den 28-jährigen Adis D., der zusammen mit seiner frisch angetrauten Frau Adisa durch die Innenstadt spazierte - beide wurden vom Täter niedergefahren. Der Mann starb noch an der Unfallstelle, seine Frau liegt im Koma. „So endet das junge Glück“, sagte eine der Angehörigen zu Journalisten. Der Mann war einer von drei Toten.

Trauernde

APA/EPA/Elmar Gubisch

Angehörige eines Todesopfers, dessen Ehefrau nach der Amokfahrt im Koma liegt, zeigen ein Hochzeitsfoto des Paares

„Wie eine offene Wunde“

In den Grazer Kliniken kämpften die Ärzte in der Nacht immer noch um das Leben von sechs von insgesamt 34 Verletzten. Der Zustand von drei Menschen, darunter zwei Kinder, sei mittlerweile stabil, drei ringen weiterhin mit dem Tod, hieß es am Vormittag. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) traf am Sonntag in Graz ein, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Grazer Innenstadt wirke „wie eine offene Wunde“, sagte Mikl-Leitner.

Die Ministerin verharrte in Begleitung der steirischen und Grazer Polizeispitzen vor der Stadtpfarrkirche und der Bank in der Herrengasse, wo ein Kind und ein Frau ihr Leben verloren hatten, und legte zwei weiße Rosen nieder. Dann sprach die Ministerin mit Augenzeugen und einem Arzt, der wie viele andere in der Innenstadt unmittelbar nach der Amokfahrt den Opfern Erste Hilfe geleistet hatte.

„Graz trauert“

„Graz trauert“ stand auf der großen Anzeigentafel auf dem Jakominiplatz, das beschrieb die Stimmung an diesem Sonntag. Wenige Menschen waren in der Herrengasse unterwegs, auf den Geschäften und einigen Lokalen fanden sich noch die Zettel, die von den hastigen Schließungen am Vortag künden: „Wegen aktueller Vorkommnisse sofort geschlossen“ oder „Das Geschäft ist heute durch Polizeieinsatz geschlossen“ war da zu lesen.

Schwere Psychose festgestellt

Die Polizeiärztin stellte beim Täter eine schwere Psychose fest. Er dürfte die Tragweite der Tat zumindest unmittelbar danach nicht erkannt haben, eine Einvernahme steht noch aus.

Stilles Gedenken

Die großräumigen Absperrungen der Innenstadt wurden am Samstagabend aufgehoben, und das Großaufgebot der Exekutive rückte ab. In der Grazer Herrengasse, wo die Raserei des Täters zu Mittag einen vierjährigen Buben und einen weiteren Menschen das Leben kostete, standen am Abend viele Trauernde in Gruppen und gedachten der Toten und Verletzten. Die meisten Teilnehmer stellten sich schweigend um die Kerzen auf - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Die Stadt Graz richtete ein digitales Kondolenzbuch auf ihrer Website ein. In der Spät-ZIB am Samstagabend rief Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) über die Stadt hinaus zum Zusammenhalt auf. Er zog Parallelen zum Germanwings-Absturz und meinte, es brauche besseres Zuhören der Menschen untereinander, um derartigen Tragödien vorzubeugen.

Trauernde

APA/EPA/Elmar Gubisch

Graz trauert

Eine grüne Markierung für jedes Opfer

In der Schmiedgasse vor der Polizeiinspektion, wo sich der Täter schließlich gestellt hatte, wurde dessen grüner Geländewagen noch am Abend weggebracht. Neongrüne Markierungen der Polizei an jenen Stellen in der Herrengasse, auf dem Hauptplatz und in der Schmiedgasse, wo Menschen verletzt und getötet wurden, kündeten von den Erhebungen der Kriminalisten und der Spurensicherer.

Bei dem 26-Jährigen, der sich nach seiner Tat in einer Polizeistation stellte, handelt es sich um einen Berufskraftfahrer aus dem Bezirk Graz-Umgebung, der bereits zuvor „als gewaltbereit in Erscheinung getreten“ sei, wie Landespolizeidirektor Josef Klamminger bei einer Pressekonferenz am späten Samstagnachmittag sagte. Der Mann ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er wurde nach häuslicher Gewalt am 28. Mai von seinem Wohnsitz weggewiesen.

Frau verließ mit Kindern das Land

Die Motive für die Tat dürften damit im Privaten liegen. Die Opfer dürfte der Mann alle nicht gekannt haben. Laut Polizei wurden bisher politische, religiöse oder extremistische Motive aufgrund seiner Vorgeschichte ausgeschlossen. Es handle sich um einen Einzeltäter, wobei nun ein psychologisches Gutachten eingeholt werde, sagte Klamminger. Es wurde vermutet, dass die familiären Konflikte eine akute Psychose bei dem Mann auslösten. Seine Frau verließ nach der Wegweisung mit den Kindern das Land.

Unter den drei Todesopfern der Amokfahrt ist ein vierjähriger Bub, der in der Herrengasse angefahren wurde, teilte die Polizei am Abend mit. Bei den beiden erwachsenen Toten handelt es sich um einen 28-Jährigen, der bei der Synagoge vom Tatfahrzeug gerammt wurde, sowie eine 25-jährige Frau, die wie der Bub in der Herrengasse niedergefahren wurde. Das Alter der 34 Verletzten liegt im Bereich von vier bis 75 Jahren. Eine von ihnen hatte am Samstag ihren 21. Geburtstag.

Amokfahrt dauerte fünf Minuten

Laut Stadtpolizeikommandant Kurt Kemeter begann die Amokfahrt gegen 12.15 Uhr in der Zweiglgasse: „Er beschleunigte bis zur Kreuzung mit der Lagergasse, fuhr auf den Gehsteig und rammte zwei Personen, wobei eine davon getötet wurde.“ Anschließend fuhr der Täter Richtung Augartenbrücke und wollte auf Höhe der dortigen Synagoge einen weiteren Fußgänger anfahren. Dieser konnte sich hinter einer Säule in Sicherheit bringen und wurde nur leicht verletzt.

Karte zur Amokfahrt in Graz

APA/ORF.at

In der Zweiglgasse begann die Amokfahrt des 26-Jährigen

Danach raste der Lenker weiter in die Grazbachgasse, wo ein Paar aus einem Geschäft bei einer Grünanlage kam. Er sprang aus dem Auto und attackierte beide mit einem Messer. Dabei wurde der Mann schwer, seine Freundin leicht verletzt. Nach weiteren Attacken lenkte er in die Herrengasse ein, fuhr diese „mit hohem Tempo“ hindurch und erfasste dabei mehrere Personen, wobei zwei getötet wurden. Zudem krachte der Lenker in einen Schanigarten, wo er acht Menschen verletzte. Die Amokfahrt habe etwa fünf Minuten gedauert, hieß es von der Polizei später.

Mit 100 km/h auf Passanten losgefahren

Der Täter raste laut Augenzeugen mit rund 100 km/h durch die Herrengasse auf der Höhe des Hauptplatzes, wo sich mehrere Cafes befinden. Unter den Passanten herrschte Panik, die Menschen versuchten, sich in die Gebäude zu retten. Schließlich hielt der Täter nahe der Polizeiinspektion an und erklärte den Beamten dort, er wolle sich wegen einer „Auseinandersetzung mit einem Messer“ stellen. Nach der Tat wurden Rettungskräfte aus der gesamten Region in Graz zusammengezogen. 83 Rettungswagen, 110 Sanitäter und vier Rettungshubschrauber waren im Einsatz.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Grazer Innenstadt nach der Tat gesperrt

Nach der Amokfahrt wurden weite Teile der Grazer Innenstadt abgesperrt, Augenzeugen hatte sich ein Bild des Schreckens geboten.

Nagl wurde selbst zum Augenzeugen der Tat. Nur weil er auf einem Motorroller unterwegs und damit selbst motorisiert gewesen sei, habe er flüchten kommen, sagte er später auf einer Pressekonferenz. „Dieser Täter, der Mörder, hat erst ein Paar niedergemäht, der Mann war offenbar sofort tot, dann dachte ich erst, er bleibt stehen, aber er hat mich und einen anderen Passanten anvisiert“, sagte der Bürgermeister auf der Pressekonferenz - mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) zeigte sich auf der Pressekonferenz an Nagls Seite „geschockt, betroffen und bestürzt“. Seine Gedanken seien bei den Angehörigen der Opfer und bei den Verletzten. Sein Stellvertreter Michael Schickhofer (SPÖ) sagte: „Es tut unendlich weh, für mich als Familienvater nicht zu fassen, was hier passiert ist.“ Die gesamte Staatsspitze und andere Vertreter der Spitzenpolitik wandten sich mit Beileidsbekundungen an die Hinterbliebenen.

Links: