Die Wiederbelebung des Paartanzes
Ob Texas Tommy, Tacky Annie oder Suzie Q: Immer mehr Leute wissen nicht nur, was sich hinter diesen klingenden Namen verbirgt, sondern können sich auch flott dazu bewegen. Es handelt sich um Schritte und Figuren aus dem Lindy Hop. Der akrobatische Swingtanzstil aus den 1930er Jahren erfreut sich in Österreich seit einigen Jahren großer Beliebtheit.
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In Wien kann man mehrmals pro Woche auf „Socials“ zu Count Basie, Ella Fitzgerald und Duke Ellington das Tanzbein schwingen, etwa beim „Fruity Hop“ im Volksgarten Pavillon und beim „Swing Sunday“ im Cafe Leopold. Sandra Krulis, Tanztrainerin bei Österreichs größtem Swingtanzverein Some Like It Hot, freut sich über den immer größer werdenden Andrang: „Als das erste Mal 70 Leute in unserem Kurs waren, haben wir gedacht, jetzt haben wir den Zenit erreicht. Aber das Semester darauf waren es 140 Leute. Und es werden mehr“, sagt Krulis im Gespräch mit ORF.at.

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Sandra Krulis unterrichtet und legt als DJ The Beam auf
Sie selbst begann sich vor 15 Jahren für Lindy Hop zu interessieren, zum damaligen Zeitpunkt noch ein recht exklusives und mühsames Hobby. Die Schritte schaute man sich bei alten Schwarz-Weiß-Filmen aus den 1940er Jahren ab, die man dafür extra auf Videokassetten aus Amerika bestellen musste. „Hellzapoppin“, „Blondie Meets The Boss“ und „Buck Privates“ sind skurrile Komödien mit rasanten Tanzszenen und gehören heute zu den Klassikern in der Swingtanzszene: „Bei den Tanzsequenzen haben wir dann 80-mal zurückgespult.“
Auftritt der Lindy-Hop-Legenden
Die Schweden sorgten in den 1980er Jahren in Europa für das Revival des Tanzes, indem sie etwa den damals schon recht betagten Begründer des Lindy Hops - Frankie Manning - aufspürten und zum Unterricht animierten. Workshops wurden abgehalten, und ganze Pilgerströme zu den letzten lebenden Tanzlegenden waren zu verzeichnen. Mittlerweile gibt es ein international vereinheitlichtes Vokabular und ein Repertoire an Schritten, das sich großteils am Stil Mannings orientiert.

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Anfängerkurs beim Verein Some Like It Hot
Der Tanz als Jamsession
„Lindy Hop kooperiert viel stärker als andere Tänze mit der Musik“, erläutert Krulis ihre Faszination am Hoppen. „Prinzipiell gibt es drei Grundschritte, aber man kann beim Tanzen auch nur die Posaune betonen, wenn man Lust auf die Posaune hat.“ Es sei ein sehr offener und kommunikativer Tanz, der viel Platz für Improvisation lasse, meint auch Tobias Roschger, künstlerischer Leiter des Vereins IG Hop. Sich zu Jazz zu bewegen sei vergleichbar mit einer Jamsession, spielerisch und sehr lustvoll, allerdings fehle in Wien in dieser Hinsicht die Tradition. „Man sieht Jazz hier eher als Sitzmusik oder sogar als Fahrstuhlmusik“, so Roschger.

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Tobias Roschger alias DJ Oreenie Vout, künstlerlischer Leiter bei der IG Hop
Dazu kommt, dass das Erlernen des Tanzes einiges an Ehrgeiz und Ausdauer verlangt. Bis zu drei Jahre muss man üben, um auf dem Parkett eine gute Figur zu machen. Der Schwierigkeitsgrad sei ähnlich wie der beim Tango Argentino, so Krulis, die Zahl an Variationen und Schritten nahezu unerschöpflich. Dass es jemals einen so anspruchsvollen Tanz gab, den nahezu jeder kannte und konnte, mag heutzutage erstaunen. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass sich die letzte große popkulturelle Hervorbringung eines neuen Tanzstils auf das laszive Wackeln mit dem Popo (Twerking) beschränkt.
Lindy Hop als emanzipatorisches Moment
Lindy Hop entstand in den 1930er Jahren in New Yorks großen Ballsälen, die sprühende Energie und den Schwung des Tanzes nutzte man zugleich als gesellschaftspolitisches Drehmoment: Lange vor Aufhebung der Rassentrennung in den USA konnten Schwarze und Weiße die Tanzfläche im berühmten Savoy Ballroom in Harlem gemeinsam betreten. Gleichberechtigung fand aber auch zwischen den Tanzpartnern selbst statt, noch vor jeglichen feministischen Errungenschaften.
Denn während es bei anderen Paartänzen wie Foxtrott, Tango und Salsa eine klare Aufgabenverteilung samt eingeschränktem Schrittmuster gibt - der Herr führt, die Dame folgt -, bietet Lindy Hop beiden Partnern unabhängig von der (frei) gewählten Rolle den gleichen Bewegungsspielraum. Beim Verein IG Hop versuche man auch aktiv in diese Richtung zu arbeiten, sagt Tanztrainerin und Gründungsmitglied Christiane Beinl, indem man etwa gezielt Kurse anbietet, in denen die Rollen getauscht werden.
Dass Frauen in die Rolle des „Leaders“ und Männer in die Rolle des „Followers“ schlüpfen, ist beim Lindy Hop ein durchaus bewährtes Prinzip: Al Minns und Leon James zum Beispiel - bekannt etwa aus dem Marx-Brothers-Film „Ein Tag beim Rennen“ - feierten in den 1930er und 40er Jahren als gleichgeschlechtliches männliches Tanzpaar Erfolge. Frauen wiederum waren es ohnehin gewohnt, miteinander zu tanzen, da sich viele Männer im Krieg befanden.
Tanz als Kampf der Geschlechter
Hierzulande ist vor allem der Walzer Schuld an der rigiden Geschlechtertrennung. Zuvor waren Frauen, wenigstens auf dem Tanzparkett den Männern gleichgestellt, eine Hierarchie gab es weder in den Schreittänzen von Renaissance und Barock noch bei der Contredanse oder Quadrille. Erst das schwungvolle Drehen im Dreivierteltakt verlangte eine klare Rollenverteilung. Nicht alle Nationen kamen damit so gut zurecht wie die Mitteleuropäer.

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Wöchentlicher Tanzabend „Fruity Hop“ im Volksgarten Pavillon
Es heißt, dass der Walzer in Russland auch deshalb schlecht Fuß fassen konnte, weil die darin aufgeforderte Abwertung der weiblichen Rolle nicht zu der stark von Frauen geprägten Gesellschaftsstruktur passte. Die „Gegenrevolution“ auf der Tanzfläche kam im 20. Jahrhundert aus Amerika, mit einem Vorläufer des Lindy Hop: Charleston wurde von Kritikern als Kampfansage zwischen den Geschlechtern interpretiert, die Solotänze der Sixties brachten den endgültigen Bruch mit den Geschlechterkonventionen.
Mit Lindy Hop gegen die Vereinzelung
Die Frage, warum sich heutzutage viele wieder auf den Paartanz besinnen, lässt sich freilich nicht einfach beantworten. Vermutungen gibt es aber: „Ich habe auf Facebook eine Umfrage darüber gestartet“, erzählt Krulis. Viele Antworten fielen ihrer Meinung nach oberflächlich aus, die Leute führten die schöne Kleidung oder die fetzige Musik an. „Ich glaube aber, es liegt an unserer einsamen Gesellschaft. Gemeinsam eine Sache anzugehen, als Team, das ist in unserer Kultur ein bisschen verloren gegangen.“
Ähnlich sieht das auch Roschger, der die Ursachen unter anderem in der konsumorientieren und ichbezogenen Gesellschaft ortet. Lindy Hop als Subkultur sei zu einer Zeit entstanden, in der weder die Konsumierbarkeit des Alltags und der Freizeit noch dieses Ich-Denken sonderlich möglich waren: „Man hat sich damals gemeinsam den Spaß gemacht.“
Claudia Gschweitl, ORF.at
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