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Baustellen in Gerichtssäle verlagert

Der Ministerrat wird am Dienstag neben der Steuerreform auch das lange diskutierte neue Strafrecht beschließen. Die SPÖ stimmte in der Koordinierungssitzung zu, also legt Justizminister Wolfgang Brandstetter für die ÖVP seinen Entwurf der gesamten Regierung vor. Von der Öffentlichkeit quasi unbemerkt ändert sich die heimische Rechtsordnung damit grundlegend.

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Die Reform des Strafgesetzbuches (StGB) soll noch vor der Sommerpause im Parlament finalisiert werden, in Kraft treten soll sie Anfang 2016. Jene Normen, um die bis zuletzt in der Koalition gerungen wurde, dürften ein „salomonisches“ Schicksal erfahren: Die umstrittenen Paragrafen werden nun so weit gefasst, dass in vielen Fällen erst durch die Entscheidung der Gerichte von Fall zu Fall feststehen wird, wer für das heimische Strafrecht ein Verbrecher ist und wer nicht.

Vermögensdelikte an heutige Werte angepasst

Die nun umgesetzten Änderungen des Strafrechts wurden seit Jahren diskutiert. Das Strafmaß für Delikte gegen Leib und Leben auf der einen und Wirtschaftsdelikte auf der anderen Seite soll etwa angeglichen werden. Dafür wird die Wertgrenze - also der Schaden, ab dem für Vermögensdelikte zehn Jahren Haft drohen - von 50.000 auf 300.000 Euro angehoben. Ursprünglich waren 500.000 Euro vorgesehen, aber das wurde angesichts der Kritik von Richtern und Staatsanwälten geändert.

Die neue Gewichtung der Strafen für Gewalttaten einerseits und Vermögensdelikte andererseits ist im Wesentlichen unbestritten. Zum Teil handelt es sich bei den neuen Wertgrenzen auch nur um Anpassungen: Das StGB stammt aus dem Jahr 1974. Rechnet man die Inflation 40 Jahre zurück, wurden Vermögensdelikte über die Jahre aufgrund zögerlicher Wertanpassungen immer „billiger“. Weitaus heikler sind aber neue oder reformierte Paragrafen, die dem gesellschaftlichen Wandel seit 1974 Rechnung tragen sollen.

Richten sollen es die Richter

Auch bei diesen Neufassungen von Strafparagrafen waren sich Experten über den Reformbedarf einig. Dabei geht es um Sexualdelikte (Stichwort „Pograpschen“) ebenso wie um Verhetzung, um Bilanzbetrug ebenso wie um Landfriedensbruch, ein Paragraf, der etwa bei den Verfahren nach Demonstrationen gegen den rechten „Akademikerball“ angewendet wurde. Dabei, wie die erwünschte Strafrechtsreform in ein Gesetz fließt, gab es in weiten Teilen bis zuletzt keine Einigkeit. Richten sollen es nun die Richter.

Nach einigen Bedenken in der Begutachtung neu formuliert wurde etwa der Tatbestand zur sexuellen Belästigung. Künftig wird nicht nur die Belästigung durch eine „geschlechtliche Handlung“ mit bis zu sechs Monaten Haft strafbar sein, sondern jegliche „entwürdigende“ und „intensive“ Berührung einer Körperstelle, die der Geschlechtssphäre zuordenbar ist. Beides muss vorsätzlich geschehen. Ob das so war, wird künftig ein Richter entscheiden müssen.

Was ist absichtlich „schwerwiegend“?

Ein ähnliches Dilemma der freien Beweiswürdigung ergibt sich bei der neuen Strafbarkeit von Cybermobbing: Eine „schwerwiegende Verletzung der Intimsphäre“ im Internet ist mit bis zu einem Jahr Haft bedroht. Wiederum gilt: Es gibt wohl niemanden, der den „Cybermobbenden“ schützen will - aber es wird schwierig werden, Tätern die absichtliche „schwerwiegende Verletzung der Intimsphäre“ nachzuweisen. Übrig bleiben könnten viele Verdächtige und wenige Verurteilte - und viele, die sich zu Unrecht verurteilt fühlen.

Neu gefasst wird auch die Definition von „Berufsverbrechern“: Bisher musste es, vereinfacht gesagt, so aussehen, als begehe der Täter seine Delikte „gewerbsmäßig“. Vor Gericht muss die Absicht, sich durch wiederholte Taten ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, nachgewiesen werden. Eingang in das Strafrecht finden auch neue Normen zu Sozialbetrug: „Betrügerische“ Anmeldungen und auch deren Vermittlung sind nun strafbar. Die subjektive Tatseite, also das „Innenleben“ des Täters, wird generell wichtiger.

Heikles Terrain auch bei Wiedergutmachung

Es geht aber nicht immer nur um Strafverschärfung: Diversion, die „Wiedergutmachung“ einer Tat ohne Geld- oder Haftstrafe, wird ausgedehnt, auch auf schwere Delikte. Sosehr sich Experten einig sind, dass Diversion bei dafür empfänglichen Tätern viel mehr Einsicht und Reue bewirkt und die Rückfallgefahr mindert, so schwierig ist die Entscheidung, für wen diese Möglichkeit die richtige ist. Auch mit dieser Entscheidung - und den Konsequenzen daraus - müssen sich künftig Richter allein auseinandersetzen.

Im Justizausschuss wird der Entwurf am 24. Juni mit Experten in einem Hearing beraten, dann wird endredigiert, und am 30. Juni tritt der Ausschuss noch einmal zusammen, zeitgerecht für die Plenarsitzung im Juli. Der Ausschuss hat auch abseits der neuen offenen Paragrafen einiges zu tun: SPÖ und ÖVP sind noch nicht ganz einig über die Definition von Untreue. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim will die enthaltene „Meinl-Klausel“ - wonach keine Untreue vorliegt, wenn der Verantwortliche zugestimmt hat - wieder streichen, ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker ist davon nicht sehr angetan.

SPÖ sieht frauenpolitischen Erfolg

Die SPÖ strich in Reaktionen auf den Ministerratsbeschluss die Neuerungen im Sexualstrafrecht hervor. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek sagte, die Neuerungen seien ein bedeutender Schritt hin zum Schutz der sexuellen Integrität von Frauen und Mädchen. Von einem großen frauenpolitischen Erfolg sprachen auch die SPÖ-Frauenvertreterinnen Andrea Brunner und Gisela Wurm und verwiesen dabei vor allem darauf, dass nun auch sexuelle Handlungen gegen den Willen des Opfers auch ohne Gewaltanwendung und Drohung strafbar würden.

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