Flächendeckende Winnetou-Mania
Für die deutsche Filmbewertungsstelle war es ein „wenig überzeugendes“ Drehbuch, das von schlechten Schauspielern mit „penetrantem Ernst“ unter „führungsloser“ Regie und mit „durchschnittlicher Kameraführung“ dargestellt worden sei. Für Generationen von anderen war es der Film ihrer Kindheit schlechthin: „Der Schatz im Silbersee“, der am 12. Dezember 1962 im deutschen Stuttgart Premiere feierte.
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Die Filmbewertungsstelle verweigerte dem Film jegliches Prädikat, trotzdem wollten alle Winnetou und Old Shatterhand sehen. Schon die Premiere geriet zum Großereignis, über Wochen waren die Kinovorstellungen ausverkauft, eine regelrechte Wildwesthysterie erfasste den gesamten deutschsprachigen Raum für zumindest die folgenden sechs Jahre, in denen zwölf weitere Karl-May-Western und fünf andere Karl-May-Verfilmungen folgen sollten. Der Erfolg war gewollt und kalkuliert - und ist den Produzenten letztlich doch nur „passiert“.
Am Anfang war die Ratlosigkeit
Am Anfang der Filmpläne stand vor allem Ratlosigkeit: Die deutschen Kinos wurden angesichts immer höherer TV-Dichte immer leerer. Vor allem die eigene Filmindustrie litt. Verfilmte Kammerspiele zogen nicht mehr. Produzent Horst Wendlandt entschloss sich zur gewagten Flucht nach vorne: Etwas Großes und Buntes und Monumentales musste her, in der Machart der Amerikaner - eben etwas, das das kleinformatige und schwarzweiße Fernsehen nicht bieten konnte.

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Old Shatterhand befreit Winnetou
Es sollte etwas typisch Deutsches sein, ohne deutsch zu sein: 17 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft war das Begriffspaar deutsch und Monumentalfilm nur für eindeutig negative Konnotationen gut. Der logische Kandidat: Karl May und dessen Phantastereien über Abenteuer in der Ferne. Die Geschichte, dass Wendlandts eigener Sohn ihn um einen Winnetou-Film angebettelt habe, kann wohl eher ins Reich der PR-Legenden verwiesen werden - „Der Schatz im Silbersee“ war ein am Reißbrett geplanter Kassenerfolg.
Sehr frei nach May
Wendlandt ließ so auch gnadenlos alles aus der Buchvorlage streichen, was dem Publikum missfallen könnte: Unzählige Nebenfiguren und Handlungsstränge des Buches wurden für den Film ausgemistet. Aus den Kindern Fred Engel und Ellen Patterson wurde umgekehrt ein schmachtiges Liebespaar. Old Shatterhand musste außerdem ansehnlich sein - daher fehlen der ins Gesicht gezogene Hut und der Vollbart der Vorlage. Dafür sucht man umgekehrt Sam „Wenn ich mich nicht irre, hihi“ Hawkens im Buch vergeblich.
Gekonntes Marketing von Anfang an
Wendlandt betrieb auch reichlich - gekonntes - Marketing: Schon Monate vor der Premiere wurde das kommende „filmische Großereignis“ eingetrommelt, bis hin zum gezielt platzierten Fotofortsetzungsroman in Illustrierten. Immerhin warteten 3,5 Millionen D-Mark Produktionskosten darauf, eingespielt zu werden. Die Werbeoffensive funktionierte: Schon zur Premiere fanden sich kreischende Mädchen ein, die ihre eigene kleine Winnetou-Mania an dessen Darsteller Pierre Brice abarbeiteten.
Die Winnetou-Mania sollte den deutschsprachigen Raum schließlich flächendeckend überziehen. So gab es in „Bravo“ ganze dreimal einen „Winnetou-Starschnitt“. Keine Beatles, kein Elvis Presley und auch sonst niemand wurde so oft in einer der legendären Postercollagen der Jugendzeitschrift verewigt. Deutschen TV-Shows reichte damals allein die Ankündigung, dass Brice und Old-Shatterhand-Darsteller Lex Barker dabei sein würden, für beinahe 100-prozentige Einschaltquoten.
Wilder Westen a la Europa
Damit das Marketing funktionieren konnte, brauchte es allerdings das entsprechende Produkt. Dass es das am Ende tatsächlich gab, grenzte an ein Wunder. So sehr Wendlandt das Marketing beherrschte, so wenig Ahnung hatten er und Regisseur Harald Reinl von Monumentalfilmen. Der Tross der deutsch-französisch-jugoslawischen Koproduktion, der sich im Sommer 1962 in die Gegend der kroatischen Plitvicer Seen aufmachte, war eher eine Chaostruppe als ein Profifilmteam.
Ohnehin war es gewagt, den an US-Filmkost gewöhnten Kinobesuchern die kroatische Landschaft als USA verkaufen zu wollen. Doch genau das wurde zum Teil des Erfolgs: Das Publikum liebte die europäisierte Version des Wilden Westens, die ihm quasi auf halbem Weg entgegenkam. Das galt auch für die vor allem deutschen Cowboys und die kroatischen Indianer. Brice und Barker waren lediglich als Aufputz dafür da, um dem Ganzen internationalen Anstrich zu geben.

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Pierre Brice und Lex Barker
Mach’s nochmal, Lex
Die Wahl von Barker war geradezu ein Eingeständnis, dass man selbst nichts von Western verstand. Sein Auftrag bestand darin, seine Rolle als Wildtöter aus der damals fünf Jahre alten US-Verfilmung von „Lederstrumpf“ noch einmal abzuspulen - inklusive eines Kostüms, das jenem aus dem amerikanischem Vorbild auf die Franse genau glich. Barker nahm das wenig attraktive Angebot an. Er hatte seine Karriere an zu vielen US-B-Pictures verschlissen und wenig zu verlieren.
Auch ohne Barkers Alkoholprobleme hätte sich die Zusammenarbeit allein wegen der Sprachprobleme schwierig gestaltet. Das zeigte sich nicht nur an ratlosen kroatischen Statisten, die oft genug zum falschen Zeitpunkt losstürmten oder eben nicht, sondern auch an „Winnetou“ Brice. Ohnehin waren die beiden nur als Nebenrolle angelegt. Die Hauptrolle war dem jungen Götz George als Fred Engel zugedacht, wie auch der im Internet zu sehende Originaltrailer belegt.
Erkennen Sie die Melodie
Dass das Publikum entgegen Wendlandts Erwartungen vor allem von Winnetou und Old Shatterhand angetan war, korrigierte der Produzent ab dem ersten der eilig nachgereichten Winnetou-Filme. Einen anderen „Fehler“, der im Originaltrailer noch auffällt, beseitigte Wendlandt quasi in letzter Sekunde vor der Premiere: Er ließ den Soundtrack neu schneiden und machte die bisher im Film versteckte „Old-Shatterhand-Melodie“ zum Leitmotiv: Der größte Instrumentalerfolg der deutschen Hitparade war geboren.
Fixpunkt des 70er-Jahre-Fernsehens
Wendlandt saß, halb aus Berechnung, halb aus Zufall, auf seinem eigenen Schatz und wusste ihn zu nutzen: Dass die Karl-May-Filme für Generationen zum prägenden Filmerlebnis wurden, war auch seiner Vermarktungsstrategie zu verdanken: So ließ er nicht locker, bis die Altersfreigabe von ursprünglich zwölf Jahren auf sechs Jahre gesenkt wurde, und brachte den Film drei Jahre nach der Uraufführung erneut groß in die Kinos - eine zweite Generation von Zusehern war erobert.
Generation Nummer drei war dran, als Wendlandt das Paket der Karl-May-Filme ab 1974 an die Fernsehanstalten verkaufte, wo sie fortan im Dauereinsatz standen. Die deutsche Filmbewertungsstelle hatte ihren eigenen Kampf gegen die Allianz aus Indianern und Publikum zu dem Zeitpunkt schon lange verloren gehabt: Dem einstmals so geschmähten Streifen war schon rund einen Monat nach der Premiere still und heimlich das Prädikat „wertvoll“ verliehen worden.
Lukas Zimmer, ORF.at
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