„Wir werden ein größeres Boot brauchen“
Die Chance, von einer Kokosnuss erschlagen zu werden, ist - rein statistisch gesehen - zehnmal so groß wie die, von einem Hai tödlich verletzt zu werden. Trotzdem: Bis heute gehen viele Menschen aus Angst vor den Raubfischen nicht ins Meer. Wesentlichen Anteil an dieser kollektiven Phobie hat Steven Spielberg, der mit seinem Thriller „Der Weiße Hai“ 1975 zum großen Badespaßverderber wurde.
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Der Film basiert auf dem gleichnamigen Bestsellerroman des 2006 verstorbenen Autors Peter Benchley. Anders als Spielberg, der in Interviews immer betont, dass es ihm diebische Freude bereite, zu sehen, wie sein Film funktioniert und die Urängste rührt, hatte Benchley aber schon recht bald nach dem Erscheinen des Films ein schlechtes Gewissen. Nicht wegen der verängstigten Menschen, sondern vielmehr, weil er damit einer ganzen - ohnehin bedrohten - Tierart das Leben schwergemacht hat.

Corbis/Sunset Boulevard
Amity Island - eine fiktive Kleinstadt wird von einem Hai tyrannisiert
Dabei war in seinem Roman der Hai zwar Protagonist, die Story aber weitaus komplexer und mehrdeutiger als im Film. Im Zentrum des Buchs stehen Korruption und mafiöse Verstrickungen in der Kleinstadt Amity an der Küste von Long Island, dazu kommen private amouröse Verstrickungen und gesellschaftskritische Handlungsstränge.
Fidel Castro als Fan
Zu den Fans des Buchs, das sich ab 1974 über 20 Millionen Mal verkaufte, zählt auch Fidel Castro, der in einer Rede erklärte, das Buch sei eine glänzende Metapher für das korrupte kapitalistische System. Aus Spielbergs Film wird er das wohl eher weniger herauslesen können, der konzentriert sich ganz auf die Essenz: den großen, bösen Weißen Hai, der nichts anderes im Sinn hat, als die Badeortidylle zu stören. „Wir werden ein größeres Boot brauchen“, lautet einer der bekanntesten Sätze des Films, in dem Polizeichef Martin Brody (Roy Scheider), Haijäger Quint (Robert Shaw) und Meeresbiologe Hooper (Richard Dreyfuss) das Terrortier von Amity jagen.
Benchley, der auch das Drehbuch schrieb und selbst einen kleinen Auftritt im Film hatte, schien sich aber nicht genau überlegt zu haben, was er damit auslösen sollte. Immerhin dämonisierte „Der Weiße Hai“ gleich eine ganze Tierart, die das so im Wesentlichen nicht verdient hat. Immerhin gibt es ja zahlreiche Haiarten, die - wie Taucher wissen - nicht nur ziemlich harmlos und scheu sind, sondern auch so gar kein Interesse an Menschenfleisch haben.
Und selbst die großen räuberischen Haiarten wie der weiße Hai greifen Menschen selten unprovoziert an, und wenn, dann auch nur, weil sie sie mit Robben oder anderen Tieren verwechseln. Trotzdem: „Der Weiße Hai“ löste eine regelrechte Hetzjagd aus, Haijäger wurden vor allem in den USA zu großen Helden, die sich mit großen erlegten Tieren fotografierten und Haigebisse als Trophäen präsentierten.
Haie haben niemals Appetit auf Fischerboote
Der französische Meeresforscher Jacques Cousteau war einer der ersten, die das Buch Benchleys kritisierten: Haie hätten nur sehr selten Appetit auf amerikanische Badegäste, merkte er an, und niemals auf Fischerboote - anders als im Buch dargestellt. Der Autor zeigte sich bald reuig und versuchte Zeit seines Lebens wiedergutzumachen, was er angerichtet hatte. Er setzte sich in Fernsehsendungen für den Schutz der Haie ein und distanzierte sich von seinem eigenen Buch.

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Steven Spielberg als junger Regisseur am Set von „Der Weiße Hai“
Haie, „die Menschenfleisch bevorzugen und dafür immer wieder töten, existieren nicht“, versicherte er, "trotz allem, was Sie in „Der Weiße Hai" gelesen haben mögen“. Immer wieder wies er darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, am Strand von einem Auto überfahren zu werden, größer sei als die, im Wasser von einem Hai angefallen zu werden. Doch wie er zu seinem Leidwesen feststellen musste: Gegen die Macht einer guten Geschichte kommt man mit trockener Statistik nicht an.
Vom programmierten B-Movie zum Superhit
Dass „Der Weiße Hai“ zu einem derart großen Erfolg wurde, erwartete im Vorfeld aber ohnehin kaum jemand, nicht einmal die Beteiligten selbst. Spielberg nannte den Film explizit ein B-Movie, die Schauspieler Shaw und Dreyfuss sprachen von einem „erbärmlichen Machwerk“ und vom „schlechtesten Film des Jahres.“ Die Kosten während der Dreharbeiten explodierten, weil Spielberg sich weigerte, in einem Wasserbecken zu drehen und mit seinen Attrappen ausschließlich auf hoher See arbeiten wollte.
Gerade diese künstlichen Haie, die der Regisseur nach seinem Anwalt Bruce taufte, waren ein zusätzliches Problem. Einerseits waren sie dauernd kaputt und mussten aufwendig repariert werden, andererseits waren die Bilder alles andere als lebensecht. Spielberg war sich dessen bewusst - und machte aus der Not eine Tugend, die wohl maßgeblich für den durchschlagenden Erfolg des Films verantwortlich war.

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Bruce, Spielbergs Haiattrappe
Im ersten Teil ist die Bestie einfach nicht zu sehen und der Horror entwickelt seine Wirkung im Kopf des Zuschauers. Statt das Meeresmonster zu zeigen, filmte Spielberg die Unterwasserszenen aus der Sicht des Hais - unterlegt mit dem markanten Soundtrack von John Williams. Der Rest ist - mittlerweile 40-jährige - Geschichte. Die Kinovorstellungen im Jahr 1975 waren voll, die Strände leer - und der Begriff Sommerblockbuster war geboren.
Sophia Felbermair, ORF.at
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