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Drohungen gegen Journalisten

Auf den ersten Blick scheint alles wie immer: Wenn die Türkinnen und Türken am Sonntag ein neues Parlament wählen, haben sie eine mehrwöchige mediale Dauerbeschallung durch den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hinter sich. Egal, wohin man hinschaut und hinhört, das Staatsoberhaupt ist allgegenwärtig.

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Von den meisten Titelseiten winkt Erdogan seinen Anhängern zu und wirft rote Nelken in die ihm zujubelnden Massen. Dass er mit seiner offensiven Werbekampagne als Präsident für die von ihm mitgegründete islamisch-konservative Regierungspartei AKP gegen die Verfassung verstößt, interessiert ihn nicht.

75 TV-Stunden für AKP, 17 Minuten für Opposition

Alleine in der letzten Woche sendete der staatlich kontrollierte Fernsehsender TRT 75 Stunden an AKP-Wahlpropaganda. Für die Oppositionsparteien gab es hingegen lediglich 17 Minuten, wie die Oppositionspartei HDP ausrechnete. Aber dann ist bei der jetzigen Wahl doch etwas anders. Unmittelbar vor dem Urnengang offenbart der Staatspräsident eine beängstigende Paranoia gegenüber regierungskritischen Medien.

Neu ist auch die rasche Abfolge von Drohungen, die Erdogan gegenüber ihm unliebsamen Journalisten äußert. In sein Blickfeld geraten neben den heimischen Medien wie der Tageszeitung „Hürriyet“ oder „Todays Zaman“ auch zunehmend ausländische Medien wie jetzt etwa die US-Tageszeitung „New York Times“.

„Niemals in der Geschichte der Türkei hat es einen solchen Druck auf die Medien gegeben“, schreibt Kolumnist Cafer Solgun in der Tageszeitung „Todays Zaman“, einem Blatt, das das Sprachrohr des islamischen Predigers Fetullah Gülen ist. Der im US-Exil lebende Gülen ist der stärkste Widersacher von Erdogan und wird von diesem beschuldigt, ihn stürzen zu wollen. Erdogan und die AKP-Regierung hätten eine totalitäre Auffassung, schreibt Solgun. „Die Wahl am 7. Juni ist die letzte Chance, eine solche Entwicklung zu verhindern“, warnt Solgun, „das macht sie so historisch.“

„Wollen Sie uns verbannen?“

Aber der Reihe nach: Nachdem am 16. Mai der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi von einem Gericht in Kairo zum Tode verurteilt wurde, schrieb die türkische Tageszeitung „Hürriyet“: „Die Welt ist geschockt: Todesurteil für einen mit 52 Prozent gewählten Präsidenten.“ Eine Schlagzeile, die Erdogan persönlich nahm, auch er wurde im August letzten Jahres mit 52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Er beschuldigte daraufhin, dass die „Hürriyet“ ihm den Tod wünsche. Dann schimpfte er, dass die Dogan-Mediengruppe, zu welcher die „Hürriyet“ gehört, unter einer Decke mit Gülen stecke. Erdogans Anwälte forderten gar die Festnahme des „Hürriyet“-Chefredakteurs Sedat Ergin.

Die Journalisten antworteten mit einem offenen Brief: „Was wollen Sie von uns?“; fragten sie Erdogan, und: „Wollen Sie uns verbannen?“ Weiter hieß es: „Falls Sie beabsichtigen, uns einzuschüchtern, damit wir keinen Gebrauch machen von unserem verfassungsmäßigen Recht auf Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Kritikfreiheit, dann sollten Sie wissen: Wir werden diese Freiheiten furchtlos verteidigen.“

„New York Times“ warnte vor Zensur durch AKP

Die „New York Times“ griff den Brandbrief der „Hürriyet“ in einem Leitartikel auf, und warnte vor der zunehmenden Zensur türkischer Medien durch die AKP. Prompt erwiderte Erdogan daraufhin, der Text sei „ungehörig“. Einer ausländischen Zeitung stehe es nicht zu, sich in die türkische Innenpolitik einzumischen, mit dem Artikel habe das Blatt „die Grenzen der Freiheit überschritten“, und fügte drohend hinzu: „Du solltest erst einmal deine Grenzen kennen. Unterstehe dich. Seit wann legst du von Amerika aus Hand an der Türkei an?“

Letzte Woche dann sagte der US-Journalist Stephen Kinzer, ihm sei auf persönliche Anweisung Erdogans die Ehrenbürgerschaft der südtürkischen Stadt Gaziantep verwehrt worden. Anlass für die geplante Ehrung Kinzers sei seine Berichterstattung in der „New York Times“ vor 15 Jahren gewesen, die zur Rettung römischer Mosaiken in Gaziantep beigetragen habe. Der Journalist war damals Büroleiter der Zeitung in Istanbul.

Wegen anderer regierungskritischer Artikel sei ihm jetzt aber die angekündigte Auszeichnung entzogen worden. In einem Fax aus Erdogans Büro, so Kinzer, sei er als „Feind unserer Regierung und unseres Landes“ bezeichnet worden. Die Bürgermeisterin von Gaziantep, Fatma Sahin, widersprach zwar, dass Erdogans Büro die Anweisung erteilt habe. Aber das AKP-Mitglied Sahin räumte via Twitter ein, dass ihre Entscheidung wegen Kinzers „unfairen Anschuldigungen“ gegen Erdogan gefallen sei.

Rang 149 von 180 bei Pressefreiheit

Kritische Journalisten stehen in der Türkei unter massivem Druck. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen rangiert die Türkei derzeit auf Platz 149 von insgesamt 180 Ländern. Im Jahr 2003, als Erdogan erstmals das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, war die Türkei noch auf Rang 116.

Vergangene Woche gab die Journalistin Asli Aydintasbas bekannt, dass sie bei der Tageszeitung „Milliyet“ aufgehört habe. Das Blatt gilt als AKP-freundlich, und ihre Texte seien zu regierungskritisch gewesen, so Aydintasbas. Wegen ihrer Berichterstattung sei Druck auf sie von der Regierung ausgeübt worden. Die „Milliyet“ gehört seit 2012 der Demirören Holding. Diese ist ein Mischunternehmen, welches mit staatlichen Gasgeschäften Millionen umsetzt.

Cigdem Akyol, APA

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