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Komfortzone vs. Bierdose

Mit Rock in Vienna und Nova Rock gehen innerhalb von zehn Tagen zwei groß dimensionierte Rockfestivals mit austauschbaren Line-ups über die Bühne. Die Meinung, dass im Einzugsgebiet die dafür nötige Zielgruppe fehlt, wurde bereits Ende letzten Jahres laut. Wenn kommenden Donnerstag Rock in Vienna startet, werden tatsächlich weitaus weniger Menschen auf der Donauinsel stehen als erhofft.

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Es waren die dem Rockgeschäft eigenen sprachlichen Superlative, die Ende letzten Jahres das neue Rock-in-Vienna-Festival ankündigten. Ein Megaspektakel wurde für die drei Tage auf der Wiener Donauinsel prophezeit - ein Festival im städtischen Umfeld, das entsprechenden Komfort bietet. Für den großen Fanansturm sollen die ganz großen Namen des Livegeschäfts garantieren.

Bühne

APA/Helmut Fohringer

Das Gelände von Rock in Vienna mit den beiden Bühnen (Mind- und Soul-Stage)

Die an und für sich außerordentlich zugkräftigen Kapazunder Kiss, Metallica und Muse wurden als Headliner präsentiert. Man rechne mit 50.000 Menschen pro Festivaltag, hieß es letzten November. Man werde die Insel rocken, und es werde heiß, so der PR-Sprech.

Zwei Festivals mit wenig Abstand

Dabei zeigte sich auch ein anderer Superlativ: Mit knapp 200 Euro für drei Festivaltage gab sich die preisliche Seite von ungekannter Dimension. Wer auf der Donauinsel campen möchte, muss nochmals 30 Euro drauflegen. Angesichts der in den vergangenen zehn Jahren stetig wachsenden Ticketpreise war das jedoch keine wirklich große Überraschung.

Was Veranstalter wie Fans viel mehr irritierte: Nur wenige Tage nach Rock in Vienna startet in Nickelsdorf das alteingesessene Nova-Rock-Festival, das heuer zum elften Mal stattfindet und für gewöhnlich um die 120.000 Musikfans an drei Tagen ins Burgenland lockt. Die beiden Festivalgelände liegen knapp 75 Kilometer und eine knappe Autostunde voneinander entfernt.

Vernünftige und bedachte Marktteilnehmer?

Zwei so große Festivals innerhalb kürzester Zeit werde der Markt nicht verkraften, verkündete Ewald Tatar, der Initiator und langjährige Macher des Nova Rock, im letzten November in einem emotionalen Statement, und ließ wissen, dass Rock in Vienna bei ihm zwecks einer Kooperation anfragte: „Ich habe klar deponiert, dass sich zwei Großveranstaltungen in zehn Tagen nicht ausgehen können. Rock in Vienna ist ein Marktverdrängungsversuch, der die Ausrichtung des Nova Rock inhaltlich kopiert. Man wollte mein jahrelang erarbeitetes Know-how“, sagt Tatar gegenüber ORF.at.

Festivalgelände in Nickelsdorf

APA/Herbert P. Oczeret

Das Festivalgelände des Nova Rock in Nickelsdorf

Das Line-up von Rock in Vienna liest sich tatsächlich sehr austauschbar. Kaum ein Künstler, der nicht in der Vergangenheit am Programm des Nova Rock zu finden war. Die Parallelen sind nicht zu leugnen. Dennoch sprechen die Macher von Rock in Vienna von sich ergänzenden und nicht ausschließenden Festivals. Rock-in-Vienna-Projektleiter Werner Stockinger: „Ja, wir haben als vernünftige und bedachte Marktteilnehmer eine Kooperation der beiden Festivals angedacht. Das Interesse dafür war aber wohl nicht da.“

Importierter Konzertreigen

Dabei ist der Grund für die enge terminliche Abfolge der Großevents im Produktionsgebaren des deutschen Veranstalters von Rock in Vienna - der Deutschen Entertainment Aktiengesellschaft (DEAG) - zu finden. Das Line-up von Rock in Vienna bespielt von 29. bis 31. Mai die beiden deutschen Großfestivals Rock im Revier in Gelsenkirchen und Rockavaria im Münchner Olympiapark, um am Donnerstag nach Wien überzusetzen und so Synergien zu nutzen. Das macht den Termin Anfang Juni zu einem unumstößlichen Fixtermin, der vollkommen ungeachtet der österreichischen Festivalsituation über die Bühne geht.

Schlagabtausch seit Monaten

Auch in Deutschland wurde vorab Kritik am Festivalreigen laut. Als die DEAG den ursprünglich angedachten Austragungsort auf dem Nürburgring nach Gelsenkirchen verlegte, löste sie Unmut bei den Ticketkäufern aus. Die deutsche „WirtschaftsWoche“ berichtete im Frühjahr von vermeintlichen wirtschaftlichen Turbulenzen bei der DEAG, einem verschleppten Geschäftsbericht für das Jahr 2014 sowie zäh anlaufenden Ticketverkäufen bei den Rockfestivals.

Und die deutsche Veranstalterlegende Marek Lieberberg richtete der DEAG via „Rolling Stone“ aus, der Umzug nach Gelsenkirchen, dem ein Streit mit den Nürburgring-Betreibern vorausging, sei ein „geschickter Propagandaschachzug, mit dem die DEAG von ihrem ureigenen Debakel ablenken und auf Schalke retten will, was nicht mehr zu retten ist“. Lieberberg sprach im „Rolling Stone“ auch von Selbstüberschätzung der DEAG, die bisher im Rockfestival-Geschäft keine großen Aktivitäten zeigte. Eine Form der Kommunikation, wie sie im höchst kompetitiven Veranstaltungsgeschäft keine Seltenheit ist - vor allem seit die Künstler kaum mehr Umsätze mit Tonträgerverkäufen machen.

Überschaubarer als veranschlagt

Die DEAG konterte, Lieberbergs Kommentar sei hämisch. Mit den Ticketverkäufen sei man sehr zufrieden, äußerte ein DEAG-Sprecher ebenso via „Rolling Stone“ - auch mit jenen für Rock in Vienna. Das war im April. Wenige Tage vor Rock in Vienna gibt man sich nun bescheidener. Anstatt der ursprünglich kolportierten 150.000 Besucher an drei Tagen rechnet Werner Stockinger nun mit 30.000 Besuchern, die „die Insel rocken werden!“. Ob das kostendeckend ist, darüber wolle man keine konkrete Auskunft geben, sagt der PR-Verantwortliche für Rock in Vienna, Josef Schartner.

Ein Festival sei noch nie vom Himmel gefallen, argumentiert Schartner. Eine solche Veranstaltung müsse sich etablieren, und die erste Austragung sei als eine Investition in die Zukunft zu betrachten. Schartner verweist darauf, dass sich andere Großfestivals im ersten Jahr auch schwergetan haben. Und es werde Rock in Vienna auch im nächsten Jahr geben.

0,8 Liter pro Spülung

Und auch wenn sich die Festivals musikalisch kaum voneinander unterscheiden, so sucht man die Abgrenzung anderswo. Rock in Vienna wirbt mit guter, weil stadtnaher Infrastruktur und wassergespülten Toiletten. Man möchte ein Komfortfestival sein. Stockinger verweist auf die Frage nach Alleinstellungsmerkmalen von Rock in Vienna, auf 0,8 Liter Wasser pro Klospülung und dem damit verbundenen „grünen Fingerprint“, den Besucher bei Rock in Vienna hinterlassen. Rock ’n’ Roll klang schon einmal wilder.

Tatar macht keinen Hehl daraus, dass Nova Rock die Konkurrenz zu spüren bekam: „Es gab sehr wohl eine Phase vor ein paar Monaten, wo man klar gemerkt hat, dass die potenziellen Besucher nun in der Entscheidungsphase sind.“ Er rechne jedoch mit ähnlichen Besucherzahlen wie in den Jahren zuvor. Schließlich bekomme man bei ihm ein Rockfestival nach klassischen Parametern geboten. Und er profitiert dabei wohl auch von der wertkonservativen Gesinnung und einer Veränderungsresistenz, die dem Rockzirkus längst innewohnt, wie kaum einem anderen Genre.

Johannes Luxner, ORF.at

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