Juncker verbreitet Stimmung
„Hallo, Diktator“: Mit diesen Worten hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker den ungarischen Regierungschef Viktor Orban zu Beginn des zweiten Tages des EU-Gipfels zur Ostpartnerschaft in Riga begrüßt. Bester Laune empfing Juncker die Teilnehmer des Treffens am Freitag in der lettischen Hauptstadt und erlaubte sich dabei die launige Bemerkung gegenüber dem rechtskonservativen Orban, wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete.
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Orban wiederum wahrte sein Lächeln; ob und was er antwortete, konnten die Journalisten allerdings nicht hören. Der Sprecher Orbans teilte später mit, Orban habe mit „Hallo, Großherzog“ geantwortet - eine Anspielung auf Junckers Heimat Luxemburg. „Orban begrüßt Juncker in der Regel so. Das ist schon seit Jahren so“, so der Sprecher.
Orban hat die EU in den vergangenen Jahren immer wieder provoziert. Jüngst sorgte er bei einer Debatte im Europaparlament für Wirbel, als er ein Quotensystem für die Verteilung von Flüchtlingen als „Wahnsinn“ kritisierte. Zugleich beharrte er darauf, in Ungarn eine Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe führen zu dürfen. Das brachte ihm harsche Kritik aus allen maßgeblichen Fraktionen ein.

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Nicht geärgert, dafür geherzt wurde der belgische Ministerpräsident Charles Michel
Stimmungsmache auf dem Politgipfel
Juncker schien am Gipfel überhaupt bester Laune gewesen zu sein. Auf Bildern ist zu sehen, wie er etwa breit grinsend mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Frankreichs Präsident Francois Hollande scherzt. Dem griechischen Premier Alexis Tsipras - in gewohnt legerer Aufmachung - bot er seine Krawatte an, und den österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn zog er sogar an dessen Krawatte zu sich.

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EU-Kommissar Johannes Hahn hingegen wurde an der Krawatte gezogen, was auch die lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma ziemlich lustig fand
Ostpartnerschaft sucht neue Wege
Eigentlich stand aber beim zweitägigen Gipfel in Riga die Östliche Partnerschaft der EU im Mittelpunkt. Die Ostgipfeltreffen wurden 2009 ins Leben gerufen und sollen die früheren Sowjetrepubliken politisch und wirtschaftlich an Europa heranführen. Mitglieder der Partnerschaft sind Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, die Ukraine und Weißrussland.
Nach hartem Ringen konnten sich die Teilnehmer am Freitag auf eine Abschlusserklärung einigen, wie ein EU-Diplomat mitteilte. In der Erklärung wird unter anderem betont, dass die territoriale Einheit jedes Landes geschützt werden müsse. Das bezog sich auf die russische Politik im Ukraine-Konflikt. Weißrussland und Armenien hatten sich zuvor dagegen ausgesprochen, dass Russlands Einmischung in der Ukraine und Georgien kritisiert werde.
Moskau warnt vor „zerstörerischer Komponente“
Noch bevor das Abschlussdokument an die Öffentlichkeit ging, warnte Moskau die EU davor, die Mitglieder der EU-Partnerschaft vor eine Wahl „Brüssel oder Moskau“ zu stellen. Das Treffen könne nur dann erfolgreich sein, wenn die sechs Ex-Sowjetrepubliken nicht zu einer „falschen Wahl“ gezwungen würden, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow am Freitag in Moskau. „Wir werden an den Ergebnissen des Gipfels erkennen, ob der Westen in seinen Aussagen realistisch ist“, meinte Rjabkow der Agentur Interfax zufolge.
Der Chef des Auswärtigen Ausschusses des russischen Föderationsrats, Konstantin Kossatschjow, äußerte die Hoffnung, der Gipfel in Riga werde „mehr aufbauen als zerstören“. „Es bleibt abzuwarten, ob das Treffen ganz Europa etwas bringt - oder nur der EU“, sagte der einflussreiche Außenpolitiker. Nach dem EU-Partnerschaftsgipfel in Vilnius im November 2013 sei der Ukraine-Konflikt voll entbrannt. „Das zeigt, dass das EU-Programm der Östlichen Partnerschaft eine gewisse zerstörerische Komponente in sich trägt“, so Kossatschjow.
Georgien und Ukraine dürfen auf Visafreiheit hoffen
Als Ergebnis des Gipfels gibt die EU Ukrainern und Georgiern erstmals die Hoffnung, ab 2016 visafrei in die EU einreisen zu können. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und mehrere andere Regierungschefs sagten, dass eine Überprüfung Ende des Jahres anstehe. Die gemeinsame Gipfelerklärung gibt der EU-Kommission den Auftrag, bis dahin zu prüfen, ob beide Länder ausreichende Reformen erfüllt haben. Merkel sprach von einer klaren Perspektive für die Visafreiheit.
Das Thema gilt als politisch wichtig: Die ukrainische und die georgische Regierung argumentieren, dass die Visafreiheit entscheidend für die Zustimmung ihrer Bevölkerungen zu einem EU-Kurs ist. Seit Moldawien 2014 die EU-Visafreiheit erhielt, beantragen auch Bewohner der von Russland unterstützten, abtrünnigen Provinz Transnistrien wieder moldawische Pässe. Russland wiederum wurde Visafreiheit bisher verweigert.
Österreich und Deutschland bremsen
Allerdings bremste die EU in Riga Beitrittsambitionen ehemaliger Sowjetrepubliken. Auf ihrem Gipfeltreffen einigten sich die 28 EU-Regierungen mit den sechs Partnerländern lediglich darauf, die Zusammenarbeit zu verstärken und die Ambitionen der Länder zur Kenntnis zu nehmen. Hintergrund sind Differenzen zwischen den EU-Staaten, ob man etwa der Ukraine einen Beitritt anbieten sollte oder nicht. Merkel bremste hier ebenso wie Bundeskanzler Werner Faymann. Dagegen pochten mehrere osteuropäische Regierungschefs auf ein klares Signal für eine Beitrittsmöglichkeit.
Faymann: Nicht „irgendwelche“ Daten versprechen
Faymann zog eine positive Bilanz des Gipfels. Er messe dem Gipfel „viel Bedeutung zu, auch wenn wir jetzt keine Geschenkkörbe mithaben“, sagte er. Der Gipfel habe klargemacht, dass eine Annäherung an die EU auch bedeute, dass eine Annäherung in Werten wie Rechtstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung stattfinden müsse. „Mir persönlich ist schon auch wichtig zu sagen, man verspricht hier nicht irgendwelche Beitritts- und andere Daten, wenn man nicht davon überzeugt ist. Eine gewisse Ehrlichkeit im Umgang gehört auch dazu“, sagte der Kanzler. Ein EU-Beitritt stehe weder für die Ukraine noch für ein anderes Partnerland auf der Tagesordnung.
Faymann erzählte auch von seinem Vieraugengespräch mit dem ukrainischen Poroschenko am Rande des Gipfels. Fragen des Rechtsstaates, der Korruptionsbekämpfung und der Oligarchen in der Ukraine seien offen auf den Tisch zu legen. Zur Visafreiheit werde die EU-Kommission bis Jahresende eine Evaluierung durchführen. „Man kann nicht etwas versprechen, bevor ein Bericht vorgelegt wird.“
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