Kein Film über den Mord
Wer’s spannend mag, hat Pech: Hinter der spektakulären Fassade des True-Crime-Dramas zum Mordfall Amanda Knox versteckt Regisseur Michael Winterbottom eine eher langweilige Befindlichkeitsstudie um die eigene Person. Wer durchhält, wird gegen Ende dennoch belohnt: Im letzten Drittel feuert Model Cara Delevigne in ihrer ersten großen Leinwandrolle ein regelrechtes Energiefeuerwerk ab.
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Winterbottom gehört zu den wenigen britischen Autorenfilmern mit internationalem Renommee: Während seine älteren Kollegen Ken Loach und Mike Leigh auf Sozialdramen bzw. Arbeiterklassekomödien abonniert sind, ist sein Metier die wandelbare Popkultur. Über 20 Kinofilme und unzählige Fernsehformate hat der 54-Jährige gedreht, darunter die Musik-Mockumentary „24 Hour Party People“. Dreimal widerfuhr ihm die Ehre, in den Wettbewerb um die Goldene Palme in Cannes eingeladen zu werden. Genau deshalb darf man sich über „The Face of an Angel“, der diese Woche in den österreichischen Kinos startet, wundern.

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Daniel Brühl und Cara Delevingne
Denn Winterbottoms vorletzte Arbeit (in Großbritannien ist inzwischen schon seine heuer fertiggestellte Dokumentation mit dem Komiker Russell Brand gestartet) ist ein merkwürdig planloser Film. Einer, der aussieht, als hätte ihn ein Erstlingsregisseur mit geringen Mitteln fürs Fernsehen gedreht. Die Qualität des Videomaterials wirkt räudig, die Farben ausgewaschen, so als wäre am Ende kein Geld mehr für die Farbkorrektur übrig geblieben.
Daniel Brühl als zögerlicher Regisseur
Im besten Fall kann man mutmaßen, die Mängel hätten System, ja sie würden den Produktionsprozess auf gewitzte Weise im Produkt selbst spiegeln: Denn „The Face of an Angel“ erzählt schließlich auch von einem Filmemacher, gespielt von Daniel Brühl, der an der Größe seines Vorhabens scheitert.
Die Rede ist vom Fall Amanda Knox. Winterbottoms Film ist lose inspiriert vom Tatsachenroman “Angel Face: Sex, Murder and the Inside Story of Amanda Knox” der US-Journalistin Barbie Latza Nadeau, der die Geschichte des Mordfalls im internationalen Studentenmilieu von Perugia aufrollt. Winterbottom selbst reiste im Jahr 2010 mehrmals nach Italien, um beim Prozess gegen die Amerikanerin Amanda Knox im Gerichtssaal dabei zu sein. Die damals 21-jährige wurde beschuldigt, gemeinsam mit ihrem Liebhaber, Raffaele Sollecito, ihre Mitbewohnerin getötet zu haben. Ein Lustmord, raunten die Medien.
Die Legende von der schönen Mörderin
Diese Vorstellung, gepaart mit Knox’ unschuldigem, sommersprossigem Gesicht, lieferte der Klatschpresse, die Knox mit dem sexistischen Beinamen „Foxy Knoxy“ versah, acht Jahre lang Stoff für Spekulationen. In einem 2011 schnell abgedrehten True-Crime-Drama („Amanda Knox: Murder on Trial in Italy“) spielte Hayden Panettiere die schöne Angeklagte.

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Auf der Jagd nach einer Story
Winterbottoms Film dagegen interessiert sich nicht wirklich für Amanda und ihre Geschichte. Stattdessen konzentriert er sich auf die Wahrheitssuche des fiktiven Regisseurs, seines offensichtlichen Alter-Egos, die eigentlich eine Suche nach sich selbst ist. Eine Suche nach den verlorenen Jahren, denn hinter Thomas Lang, dem Regisseur im Film, wie auch hinter Winterbottom selbst liegen eine teilweise öffentlich ausgetragene Trennung und ein gewisser Knick in der Karriere.
Deshalb und wohl nur deshalb nimmt Lang das Angebot einer TV-Station an, den Fall Amanda Knox zu verfilmen. Ohne allzu großen Enthusiasmus reist er nach Rom, trinkt Espresso mit der italienischen Buchautorin (Kate Beckinsale), die ihm Informationen liefert und ihn anschließend verführt. Den Schauplatz von Mord und Prozess verlegt „The Face of an Angel“ dabei von Perugia ins ebenso malerische Siena.
Deutscher Langeweiler trifft sexy Italienerin
Die handelnden Personen bleiben trotz realer Vorbilder stereotyp: Thomas Lang, der intellektuelle Zauderer. Und Simone Ford, die schmetterlingshafte Reporterin und erfolgreiche Bestsellerautorin, die ein Auge auf den trübsinnigen Deutschen geworfen hat. Warum, das weiß wohl nur Winterbottoms langjähriger Drehbuchautor Paul Viragh.
Der Schnitt jedenfalls nimmt dem gedrehten Material noch das letzte Geheimnis, wenn er während der Dialoge zwischen den Gesprächspartnern hin und her springt, stumpfsinnig, wie bei einer Vorabendserie: Schuss – Gegenschuss – Schuss. „Ich gebe dir einen Rat“, sagt die Bestsellerautorin. „Wenn du der Geschichte wirklich gerecht werden willst, dann erzähle sie als Spielfilm.“ Als Kinofilm, möchte man hinzufügen. Nicht als Vorabendformat.
Lichtblick: Cara Delevingne als Schauspielerin
Im letzten Drittel wartet dieser, man kann es leider nicht anders sagen, sterbenslangweilige Film dann doch noch mit einer Überraschung auf. Denn „Face of an Angel“ markiert auch die erste große Leinwandrolle von Cara Delevingne, Model und derzeit berühmteste Augenbrauenträgerin der Welt. Delevingne leuchtet förmlich heraus aus diesem leblosen, gräulichen Werk. Kaum taucht sie auf, löst sich die Szenerie aus ihrer Erstarrung.
Und das, obwohl ihre Rolle mindestens ebenso stereotyp angelegt ist wie alle anderen: Als eine Art Gegenentwurf zur Femme Fatale Simone spielt sie die unkomplizierte und lebenshungrige Studentin Melanie, die Thomas Lang helfen will. Beide Frauenfiguren sind dazu entworfen, den männlichen Helden zu definieren: hier die elegante Geliebte, dort der kumpelhafte Wildfang. Für wen oder welches Leben wird er sich entscheiden?
Wenn Melanie und Thomas einmal betrunken und bekokst durch Sienas Altstadt hüpfen, trägt Delevingne Doc Martens und einen Parka mit fellgefütterter Kapuze und sieht, wie es sich für ein It-Girl gehört, verrückt gut aus. Vor allem aber lächelt sie auf diese schiefe Art, die in keinem Drehbuch stehen kann. Schelmisch und unglaublich dreist. Ihre rauchige Stimme füllt jeden noch so lieblos ausgeleuchteten Raum mit Körper. Eines zumindest ist klar: Diese Frau hat das Potenzial, demnächst in vielen, hoffentlich besseren Filmen zu spielen.
Maya McKechneay, ORF.at
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