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Mehr Platz für „brave“ Comedy

In der Nacht auf Donnerstag hat David Letterman ein letztes Mal seine „Late Show“ moderiert. Nach über 33 Jahren als Talkshowgastgeber neigt sich damit eine ganze Ära im US-Fernsehen dem Ende zu. Letterman galt als revolutionär - doch ist sein „Vermächtnis“ für die neue Generation überhaupt von Bedeutung?

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In den USA der frühen Achtziger war Late Night synonym mit einem Namen: Johnny Carson. Der routinierte Talkshowmoderator legte nicht nur den Grundstein für das Format in seiner heutigen Form, sondern prägte zahlreiche Karrieren nachhaltig. So ist Carson auch nicht aus Lettermans Laufbahn wegzudenken: Nach einigen erfolgreichen Gastauftritten in dessen „Tonight Show“ bekam Letterman 1982 schließlich seine eigene Sendung im Spätprogramm - gleich im Anschluss an Carsons Show.

Bissiger Stil, der Gästen Angst macht

Lettermans „Late Night“ wurde erst nach Mitternacht ausgestrahlt und bot somit Platz für neue Ideen, ohne zu sehr auf die Quote abzielen zu müssen. Seine Show galt bald als Kontrapunkt zu Carsons jahrzehntelanger Talkroutine und konnte vor allem das jüngere Publikum im Studentenalter begeistern. Letterman warf Gegenstände vom Dach eines Hauses, zeigte „Dumme Tier-Kunststücke“ und war das Gegenstück zum bisherigen Wohlfühlfernsehen, das über amerikanische Röhren flimmerte - mit Erfolg.

David Letterman und Johnny Carson, 1991

AP/Bob Galbraith

Zusammenkunft der Late-Night-Größen: David Letterman (links) zu Gast bei Johnny Carson

Auch seine Gäste waren plötzlich vor nichts sicher: Lettermans bissiger Stil machte ihn nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt. Die Beschreibungen seines Charakters reichten von einschüchternd bis angsteinflößend, die Reaktionen der Prominenten waren mitunter ebenso heftig. Cher nannte Letterman einst „Arschloch“ on air, Drew Barrymore tanzte oben ohne auf seinem Tisch. Letterman provozierte, hakte nach und stellte sicher, dass er aus jedem Gast das absolute Maximum „rauskitzelte“. Auch vor sich selbst machte er nicht halt - nicht selten endete ein Witz auf seine Kosten und legitimierte so seine raue Gangart.

Harald Schmidt als deutscher Letterman

In den Neunzigern wechselte der Moderator nicht nur die Sendezeit, sondern auch den Sender selbst. Letterman war mit seiner Show auf dem „seriösen“ Sendeplatz um halb zwölf längst nicht mehr der Rebell, der laufend mit Genrekonventionen bricht, stattdessen wurde sein Beitrag im Late-Night-Format zum Vorbild für Showmaster im In- und Ausland. So wird zum Beispiel die deutsche Talklegende Harald Schmidt in den USA gerne als „Letterman-Kopie“ bezeichnet. Aber es ist nicht nur er - die meisten Late-Night-Shows übernehmen zumindest das ein oder andere Element aus Lettermans Erfolgsrezept.

Mit dem neuen Sendeplatz war Lettermans Experimentierphase vorbei - das Publikum erwartete sich die zum Markenzeichen gewordenen Top-Ten-Listen, die Tierkunststücke und all die Sketche, die nicht aus urheberrechtlichen Gründen bei seinem alten Sender verbleiben mussten. Letterman war nicht mehr nur Moderator, Letterman stand für ein ganzes Format, das sich jetzt auch noch gegen Konkurrent Jay Leno in den Quoten durchsetzen musste. Es entwickelte sich ein Kopf-an-Kopf Rennen, das bis zum Ende von Lenos „Tonight Show“ im Vorjahr andauerte.

Platz für die neue Generation

Mit der Routine kam die kreative Stagnation, die letztendlich den bevorstehenden Generationenwechsel im Late-Night-Geschäft einläutete. Letterman, Leno und auch der deutlich jüngere „Daily Show“-Moderator Jon Stewart kündigten ihren Rücktritt an, spätestens zum Herbstbeginn ist die Neuausrichtung der US-Late-Night komplett. Die Nachfolger der ehemaligen Aushängeschilder sind nicht nur jünger, sondern vor allem viel „internettauglicher“ als ihre Vorgänger.

Denn Late Night heißt schon längst nicht mehr, dass sich die USA um 23.30 Uhr kollektiv vor dem Fernseher versammeln, und dort - wenn überhaupt - die Wahl zwischen zwei verschiedenen Moderatoren haben. Late Night ist dank YouTube und Co. rund um die Uhr weltweit verfügbar, und vor allem im Überfluss vorhanden. Jede der drei großen Sendeanstalten in den USA hat nicht nur ein, sondern mindestens zwei Late-Night-Angebote, und spätestens im Kabelfernsehen geht der Überblick schnell verloren.

Barack Obama und David Letterman

AP/Pablo Martinez Monsivais

Erst Anfang Mai besuchte US-Präsident Obama Lettermans Show zum wiederholten Mal

Klicks, nicht Quote

Im Hinblick auf diese Gegebenheiten, mit denen natürlich nicht nur das Late-Night-Fernsehen umzugehen lernen muss, liegt der Fokus nicht mehr nur auf der Quote, sondern vor allem auf den heiß begehrten Klicks auf Videoplattformen. Vorreiter ist dabei zweifellos Jimmy Fallon, der Leno in der „Tonight Show“ nachfolgte: Seine Videos kommen im Internet besonders gut an. Das Erfolgsrezept klingt denkbar einfach: kurze Clips, die möglichst nicht anecken - Feel-Good-Fernsehen für die Generation YouTube.

Für Lettermans Nachfolger Stephen Colbert heißt das aber nicht automatisch, dass er sich ebenfalls der braven, internetgeeigneten Comedy beugen muss. Dass YouTube auch als Plattform für starke Beiträge dienen kann, zeigt etwa der Brite John Oliver (der - wie auch Colbert - ursprünglich in der „Daily Show“ auftrat), dessen Sendung eigentlich im amerikanischen Pay-TV läuft. Er widmet sich aktuellen Themen aus den Nachrichten und nimmt sich dafür auch gerne mehr als 20 Minuten Zeit. Online sind die Beiträge gratis abrufbar und finden wöchentlich ein Millionenpublikum.

Die große Chance für Colbert

Wenn Letterman in der Nacht auf Donnerstag seine letzten Gäste in der „Late Show“ empfängt - in den vergangenen Wochen waren bereits Größen wie US-Präsident Barack Obama und Ex-Präsident Bill Clinton zu Gast -, braucht er sich keine allzu großen Gedanken über die Zukunft des Late-Night-Formats zu machen. Wie schon einmal vor etwas mehr als 30 Jahren wird sich vieles grundlegend ändern. Letterman mag diesmal nicht direkt dazu beigetragen haben, aber durch sein Repertoire, das praktisch zum Standard wurde, bietet sich für seinen Nachfolger erneut die Möglichkeit, mit der Tradition zu brechen.

Florian Bock, ORF.at

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