Vorerst nur Aufklärung
Die EU-Außen- und Verteidigungsminister haben am Montag die geplante Militärmission gegen Schlepperbanden beschlossen und grünes Licht für die Vorbereitung eines EU-Marineeinsatzes gegeben. Ein entsprechendes Konzept wurde bei dem EU-Ministerrat am Montag in Brüssel gebilligt.
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Mit dem Beschluss startet nun die Planungsphase. Für die Militärmission bemüht sich die EU noch um ein UNO-Mandat, das etwa für Österreich die Voraussetzung für eine Beteiligung an der Mission ist. Zudem ist vorgesehen, das Einverständnis der libyschen Behörden einzuholen. „Ich habe zumindest keinen größeren politischen Widerstand gesehen“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag zu ihren jüngsten Gesprächen mit Vertretern des UNO-Sicherheitsrats.
Eigene Mission mit Hauptquartier in Rom
Nach Angaben von Diplomaten soll der EU-Einsatz „EUNAFOR Mittelmeer“ heißen und völlig getrennt von der EU-Grenzschutzmission „Triton“ ablaufen. Zum Leiter der Mission wurde der italienische Admiral Enrico Credendino ernannt. Er hatte bereits das Kommando über die Anti-Piraterie-Mission „Atalanta“ vor Somalia und soll in den kommenden Wochen in Rom ein Hauptquartier aufbauen. Aus dem gemeinsamen EU-Etat sollen für die zweimonatige Startphase knapp zwölf Millionen Euro bereitgestellt werden.
Dreistufiges Konzept
Das beschlossene Konzept gliedert sich in drei Stufen. In einer ersten Phase werde die EU-Marinemission mit Kriegsschiffen nur Patrouillen auf hoher See fahren und dort auch Rettungs- und Suchaufgaben leisten, auch wenn dies das Mandat nicht explizit vorsehe. Dabei sollen alle verfügbaren Aufklärungsinstrumente wie Satelliten und Drohnen genutzt werden, um die Aktivitäten der Menschenschmuggler möglichst genau nachzuvollziehen.
Danach will die EU damit beginnen, auf See Schlepperschiffe zu durchsuchen und zu beschlagnahmen. Zum Schluss könnte es Militäreinsätze in libyschen Häfen oder an Land geben, wie nach Angaben von Diplomaten vom Montag aus einem Beschluss der europäischen Außen- und Verteidigungsminister hervorgeht. Um Stufe zwei und drei zu beginnen, sind noch einmal Extrabeschlüsse nötig. Der Beschluss zeige, dass die EU rasch reagieren könne, wenn es den politischen Willen dazu gebe, sagte Mogherini. Ziel des Marineeinsatzes im Mittelmeer sei es, „das Geschäftsmodell der Schmuggler- und Schlepperringe zu zerstören“, so Mogherini über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Kurz: „Entscheidung ist getroffen“
Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) hatten zuvor vor Journalisten versucht, den Fokus der Mission mehr auf Aufklärung und Rettung zu legen denn auf die umstrittene Zerstörung von Schlepperbooten. Der Verteidigungsminister wiederholte einmal mehr, dass ein Mandat des UNO-Sicherheitsrats Grundvoraussetzung für eine österreichische Beteiligung - Klug denkt etwa an Logistiker oder Finanzexperten - an der Marinemission sei. Zudem bedürfe es eines Beschlusses im Parlament.
In den Wochen bis zum operationellen Startschuss für die Mission im Juni würden nun „Vorbereitungsarbeiten“ durchgeführt, so Klug. Seine „politische Zustimmung“ will Österreich jedenfalls nicht mehr zurückziehen: „Die Entscheidung für diese Mission ist getroffen“, betonte Außenminister Kurz.
„Kriegserklärung an Schlepper“
Kurz verteidigte den Beschluss des EU-Gipfels am Montagabend auch im Interview mit der ZIB2. Der EU-Plan sei nicht - wie von den Grünen im Europaparlament kritisiert - eine Kriegserklärung an die Flüchtlinge, sondern „eine Kriegerklärung an die Schlepper“, so Klug. Die Rettung der Flüchtlinge habe zwar Priorität, doch es brauche daneben noch viele weitere Facetten.
Interview mit Außenminister Kurz
Kurz verteidigt den in Brüssel beschlossenen Einsatz als ein Element zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise im Mittelmeer. Er erwartet sich davon ähnliche Erfolge wie beim EU-Kampf gegen die Piraterie.
Auf die Kritik von NGOs an dem geplanten EU-Militäreinsatz im Mittelmeer hatte Kurz noch vor dem Treffen erwidert, die verstärkte Beobachtung diene auch der Rettung von Flüchtlingen. Der Außenminister betonte, für die dritte Phase der Mission - die Zerstörung von Schlepperbooten - brauche es ein UNO-Mandat. Er glaube, dass es auch gelinge, Russland davon zu überzeugen. Er habe darüber bereits mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow gesprochen. Dieser habe für den EU-Einsatz viel Verständnis, erwarte aber für eine Zustimmung noch mehr Details.
NATO begrüßt Militärmission
Die NATO ist nach Worten ihres Generalsekretärs Jens Stoltenberg zur Unterstützung einer EU-Militärmission gegen Schlepper im Mittelmeer bereit. Bisher gebe es keine Anfrage, sagte Stoltenberg vor Beratungen mit den EU-Verteidigungsministern am Montag in Brüssel. „Wir sind bereit zu helfen, wenn es eine solche Anfrage gibt.“
Die NATO begrüße, dass die EU eine umfassende Antwort auf die Flüchtlingstragödie geben wolle, sagte Stoltenberg. Diese sei zuerst eine menschliche Tragödie, „es ist wichtig, dass die Europäer jetzt handeln“. Es gehe um kriminelle Netzwerke, Grenzsicherung und Migration. Ein mögliches Problem sei, dass sich „ausländische Kämpfer“ und Terroristen unter die Bootsflüchtlinge mischen könnten.
Deutschland sieht noch viele Fragen offen
Die NATO wolle die Länder im Nahen Osten und in Nordafrika auch bei der Stabilisierung unterstützen. So sei die Allianz auch bereit, Libyen mit Kapazitäten zu helfen, wenn die Bedingungen dort dafür bereit seien. In Libyen ringen derzeit jedoch noch zwei Regierungen um die Macht. Falls nicht doch noch eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden könne, müsse die EU von beiden eine Zustimmung anstreben, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, es gebe „keinen Automatismus“ für eine deutsche Beteiligung über die erste Phase hinaus. „Bevor Phase zwei oder potenziell drei ausgerufen werden, bedarf es immer wieder eines gemeinsamen Beschlusses.“ Bis es dahin komme, gebe es „noch viele Fragen, die beantwortet werden müssen“.
Überfahrt für Flüchtlinge lebensgefährlich
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, warnte im Südwestrundfunk davor, dass Flüchtlinge bei dem EU-Militäreinsatz „zwischen die Linien geraten“ und getötet werden könnten. Pro Asyl sprach angesichts der EU-Pläne von einer „unkontrollierbarer Gefahr“ für die Flüchtlinge. Der richtige Weg, Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen, sei es, legale Wege nach Europa zu öffnen, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Human Rights Watch bezeichnete die EU-Pläne als „schlicht verrückt“.
Über Libyen werden Schätzungen zufolge 80 Prozent des illegalen Menschenschmuggels über das Mittelmeer abgewickelt. Auf Bootsfahrten von Libyen in Richtung Europa starben in den vergangenen Jahren Tausende Menschen. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge 1.780 Flüchtlinge ums Leben. Die meisten kommen in Italien an.
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