Größter Anteil entfällt auf Deutschland
Als Konsequenz aus der Flüchtlingskrise im Mittelmeer hat die EU-Kommission vergangene Woche die Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik beschlossen. Im Rahmen einer EU-weiten Umsiedlung (Resettlement-Programm) sollen laut dem Plan der Kommission in den kommenden zwei Jahren 20.000 Flüchtlinge aus Krisenregionen neu aufgenommen und auf die EU-Staaten verteilt werden.
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„Wir wollen die Worte der Solidarität in Taten umwandeln“, sagte Kommissionsvize Frans Timmermans bei der Präsentation der EU-Migrationsagenda in Brüssel. Die Vorschläge der EU-Kommission können nur mit Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der EU-Staaten - 15 Mitgliedsstaaten, mindestens 65 Prozent der Bevölkerung - Gesetz werden. Beim nächsten Gipfel Ende Juni steht das Thema wieder auf der Tagesordnung. „Europa kann dem Sterben im Mittelmeer nicht tatenlos zusehen“, sagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.
Kriterien wie die Wirtschaftsleistung, die Bevölkerungszahl zu jeweils 40 Prozent sowie die Arbeitslosenrate und die bisher aufgenommenen Asylwerber zu jeweils zehn Prozent sollen über die Verteilung entscheiden. Brüssel will dafür heuer und im kommenden Jahr 50 Mio. Euro investieren. Auf Deutschland entfallen in diesem System mit 18,42 Prozent die meisten Flüchtlinge, gefolgt von Frankreich und Italien.
444 Flüchtlinge für Österreich
Österreich soll nach diesem System 444 bereits von der UNO anerkannte Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms aufnehmen. Bei akut Schutzsuchenden aus Krisenherden sieht die EU einen Prozentsatz von 2,62 Prozent der ankommenden Migranten vor. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sieht darin nun eine „massive“ Entlastung für Österreich: „Derzeit versorgen wir rund fünf Prozent“ der ankommenden Flüchtlinge.
Notfallmechanismus aktivieren
Bei einem „plötzlichen Zustrom“ von Flüchtlingen will die EU-Kommission den Artikel 78(3) im EU-Vertrag aktivieren. Die EU-Kommission will bereits Ende Mai vorschlagen, diesen Notfallmechanismus in Gang zu setzen. Der Rat kann auf Vorschlag der EU-Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedsstaaten erlassen, wenn sich „ein oder mehrere Mitgliedsstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage befinden“.
Dafür will die EU-Kommission einen „temporären Verteilungsschlüssel“ für Schutzbedürftige vorschlagen. Bis Ende des Jahres soll ein permanentes System zur Aufteilung von Flüchtlingen im Notfall vorliegen. Ziel der neuen Strategie ist „eine faire und ausgewogene Teilhabe aller EU-Staaten“.
Opt-out für Großbritannien
Bis Jahresende will die EU-Kommission schließlich einen Vorschlag für eine „verpflichtende und automatisch ausgelöste Verteilung“ von Schutzbedürftigen im Falle einer Massenzuwanderung machen. Damit soll ein permanenter Verteilungsschlüssel eingeführt werden - für „krisenbedingte Umsiedlungen infolge eines Massenzustroms von Migranten“.
Eine Ausnahmeregelung ist den Angaben zufolge für Großbritannien und Irland vorgesehen. Beiden Ländern werde die Option eingeräumt, bei Themen, die Justiz und innere Angelegenheiten betreffen, binnen drei Monaten zu entscheiden, ob sie teilnehmen wollen oder nicht. Dänemark sei überhaupt von dem Bereich ausgenommen. Großbritannien und vor allem ostmitteleuropäische Staaten wie Tschechien, Ungarn und die Slowakei hatten dennoch schon im Vorfeld Widerstand gegen die EU-Pläne angekündigt.
Auch Spanien zeigte sich gegenüber der Quotenregelung skeptisch. Der spanische Außenminister Jose Manuel Garcia Margallo sagte in Brüssel, Spanien habe seinen Anteil an der Hilfe für Asylsuchende bereits mehr als erfüllt. Die EU-Kommission solle die von ihr vorgeschlagene Quotenregelung überdenken. Die von ihr geforderte „solidarische Anstrengung“ müsse „verhältnismäßig, gerecht und realistisch“ erfolgen, fügte der Minister hinzu.
„18 Länder tun gar nichts“
Bereits vor der offizieller Vorstellung der EU-Pläne waren die Reaktionen in den Mitgliedsländern weit auseinandergegangen. Für Mikl-Leitner ist das Quotensystem eine „Überlebensfrage für die Europäische Union“. Auch Deutschland, Schweden und Italien stehen hinter dem Vorschlag. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), kann sich auch eine offene Kraftprobe mit Großbritannien vorstellen. Im EU-Ministerrat könne „Großbritannien auch überstimmt werden“.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) verteidigte ebenfalls das Quotensystem und übte Kritik an den Ländern, die die Regelung ablehnen. Derzeit seien es vier Länder, die die Hauptlast der ankommenden Flüchtlinge tragen: „Ich glaube, 90 Prozent aller Flüchtlinge werden in zehn Ländern aufgenommen. 18 weitere Länder tun gar nichts.“ Auch Kanzler Werner Faymann (SPÖ) warb für Solidarität in Europa und übte dezidiert Kritik an Großbritannien. Das sofortige Nein der Briten sei „typisch für die Regierung in Großbritannien“.
Dublin-Verfahren evaluieren
Die derzeit gültige Dublin-II-Verordnung sieht vor, dass jener Mitgliedsstaat für die Betreuung eines Asylwerbers zuständig ist, in dem dieser erstmals EU-Boden betrag. „Dieses funktioniert nicht, wie es soll“, deshalb will die EU-Kommission das System 2016 evaluieren - unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Quotenregelung. „2014 haben nur fünf Mitgliedsstaaten 72 Prozent aller Asylgesuche in der gesamten EU bearbeitet, das ist doch unhaltbar. Es steht außer Zweifel, dass wir das System überarbeiten müssen“, sagte Timmermans. Italien, das stark von der Flüchtlingskrise betroffen ist, hatte schon gehofft, dass mit der neuen EU-Strategie die „Dublin-Mauer“ falle.
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