Kontroversen am Parteitag
Die ÖVP hat am Dienstagvormittag ihren „Reformparteitag“ gestartet, bei dem die Delegierten ein neues Grundsatzprogramm und ein neues Statut beschließen werden. „Wir müssen uns verändern, weil sich die Welt verändert hat“, sagte Parteiobmann Reinhold Mitterlehner in seiner Begrüßung.
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Die ÖVP habe vor wenigen Tagen ihren 70. Jahrestag gefeiert, und in diesen 70 Jahren habe man eine „Erfolgsgeschichte“ geschrieben. Nun wolle man nicht nur zurückblicken, sondern einen Ausblick in die Zukunft wagen, so Mitterlehner in Bezug auf das neue Programm. „Wir sorgen für Bewegung“, laute das Motto des Parteitages: „Die Zukunft wartet nicht.“

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ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner nachdenklich vor seiner Begrüßungsrede
Veränderungen seien notwendig, ohne das Alte „über Bord“ zu werfen. „Das Alte hat uns zum Erfolg geführt“, so Mitterlehner weiter. Das neue Programm ist aus seiner Sicht jedenfalls „weitgehend“. Vor allem im Vergleich mit den anderen Parteien sei die ÖVP „durchaus revolutionär“, meinte der Vizekanzler.
„Schauen, wie sich das entwickelt“
Die ÖVP wolle nicht bevormunden, aber etwa zu einem gesunden Lebensstil animieren, so Mitterlehner mit Blick auf den Antrag für einen Selbstbehalt im Gesundheits- und Sozialbereich. Zu Familien bekenne man sich im traditionellen Sinn, akzeptiere aber auch andere Lebensentwürfe. Die ÖVP wolle keine „geschlossene Veranstaltung“ sein, die nur eine Gruppe vertrete oder hauptsächlich Männer in ihren Funktionen habe. Die ÖVP sage hingegen Ja zur Einbindung, zur Mitbestimmung, zu Vorzugsstimmen und zu E-Voting - das sei zeitgemäße Partizipation.

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Auch die ehemaligen ÖVP-Chefs Josef Taus, Josef Riegler, Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer (v. l. n. r.) waren gekommen
Aktuell zur Steuerreform sagte der Vizekanzler, dass man bei der Grunderwerbssteuer darauf schauen werde, dass die Bürokratie „klein bleibt“. Er meinte, es könne über diese Themen „selbstverständlich“ diskutiert werde, es werde aber „leider nicht hier drin entschieden“. Das geschehe in der Bundesregierung. Er zeigte sich aber überzeugt, dass das ÖVP-Team „stark genug“ sei. Nun solle man „schauen, wie sich das entwickelt“. Beim Bundesparteitag werde „breit diskutiert“ über die unterschiedlichen Punkte. „Es gibt keinen Streit“, hielt Mitterlehner schon zuvor fest, denn „inhaltliche Auseinandersetzung kann uns nur weiterbringen.“
Schlagabtausch Jung gegen Alt
Und von denen gab es am Dienstag auch gleich welche. JVP vs. Seniorenbund, diese Match wurde beim Punkt Änderung des Wahlrechts ausgetragen. Das verbale Duell lieferten einander Seniorenbund-Obmann Andreas Khol und JVP-Obmann Sebastian Kurz im Vorfeld der Abstimmung über das von der Jungen ÖVP vorgeschlagene Mehrheitswahlrecht, wonach die stimmenstärkste Partei die Hälfte der Mandate minus eines bekommen soll.
Khol kritisierte das Modell der Parteijugend als „heißen Eislutscher“ bzw. unzulässigen Kunstgriff. Er sei dafür, „dass wir die Mehrheit an den Wahlurnen erringen und nicht durch juristische Tricks“, so Khol. Kurz wiederum begründete den Vorstoß damit, dass das derzeitige System „Frust und Blockaden“ verursache.
Der Abänderungsantrag der JVP - es war eine Zweidrittelmehrheit nötig - wurde von den Delegierten schließlich denkbar knapp abgelehnt: Statt der notwendigen 66,66 gab es für den Abänderungsantrag nur 66,58 Prozent Zustimmung der insgesamt 389 abgegebenen Stimmen. Damit wurde die im Programm festgeschriebene Umstellung des derzeitigen Verhältniswahlrechts auf ein mehrheitsförderndes Wahlrecht ohne konkretes Modell angenommen.
Stundenlange Diskussionen
Die anderen Ansinnen der jungen Generation wurden unterstützt, darunter war etwa ein Antrag auf Senkung der Zahl der Untauglichen sowie auf eine Weiterentwicklung des Grundwehrdienstes und auf Ausbau der Digitalisierung. Auch alle anderen Anträge wurden bisher angenommen. Wirtschaftsbund und Bauernbund stellten einen Antrag zum Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP), wonach bei sensiblen landwirtschaftlichen Produkten Importkontingente und Schutzklauseln eingeführt werden sollen.
Auch im Sozialbereich wurden mehrere Anträge eingebracht, unter anderem auf eine Reform der in der ÖVP umstrittenen Mindestsicherung und eine dauerhafte finanzielle Absicherung der Pflege. Beim Thema Pensionen verlangte die Junge ÖVP, dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung angepasst wird, der Pensionsantritt durch ein Bonus-Malus-System flexibilisiert und Frühpensionierungen gebremst werden. Der ÖAAB und der Seniorenbund beantragten Maßnahmen zur Sicherung der staatlichen Pensionssysteme.
Über das gesamte Grundsatzprogramm inklusive der Abänderungsanträge wird am Dienstagabend zum Schluss abgestimmt. Der erste Tag zog sich aufgrund stundenlanger Diskussionen jedenfalls in die Länge.
Steuerreform „ist ein Schas“
Für kurzzeitige Aufmerksamkeit sorgte der Salzburger Unternehmer und Wirtschaftsbündler Nick Kraguljac, der seinem Ärger über die geplante Steuerreform Luft machte: „Die Steuerreform, wie sie derzeit vorliegt, ist ein Schas.“ Die „Evolution“ wiederum sei Veränderung, und darauf hoffe er: „Ich hoffe, die Spezies der Macher verdrängt die Blockierer“, so Kraguljac.
„Garantie“ für Funktionsperiode für ÖVP-Chefs
Über 400 Delegierte waren gekommen. Unter den Teilnehmern waren die Bündeobleute und Landesparteichefs. Zu Besuch war auch eine Schülergruppe aus Wien, die politische Luft schnupperte. Mitterlehner setzte in der Begrüßung auch auf Ironie: Zunächst verwies er darauf, dass der 37. außerordentliche Bundesparteitag der erste seit 2003 sei, den ein Parteiobmann eröffnet und wo keine Personalentscheidungen getroffen werden. Während etwa in Südtirol über eine Beschränkung der Funktionsperiode diskutiert worden sei, sollte es bei ÖVP-Chefs eine „Garantie“ für eine Funktionsperiode geben, immerhin sei er der 16. Obmann, so Mitterlehner.
Er gratulierte Markus Wallner zur kürzlichen Wiederwahl zum Vorarlberger Parteiobmann - dieser sei seit dem Krieg der vierte. Und in Niederösterreich gebe es „gefühlt einen“ in dieser Zeit, fügte er launig hinzu.
Merkel schickt Grüße
Die ÖVP bekam von der deutschen Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel per Videobotschaft „die besten Grüße aus Berlin“. Sie wünschte der Schwesterpartei einen „erfolgreichen Abschluss“ ihrer Erneuerung. Die „Evolution“ der Volkspartei sei eine „wichtige Weichenstellung zur Weiterentwicklung“. „Durch eine starke ÖVP und das freundschaftliche und vertrauensvolle Verhältnis unserer Volksparteien können wir eine solide Europapolitik sicherstellen. Ich freue mich deshalb auf die weitere Zusammenarbeit“, so Merkel.
Kritik von SPÖ und FPÖ
Die politische Konkurrenz zeigte sich am Dienstag wenig beeindruckt vom neuen ÖVP-Programm. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos sah sich an die „Schüssel-Zeit“ erinnert und fand das in einer Aussendung nicht sonderlich innovativ. Laut Darabos lässt Mitterlehner „alte, neoliberale Dogmen einzementieren“. Die ÖVP setze auf „Stillstand und Kientelpolitik für Privilegierte“ inklusive Gesundheitsselbstbehalten, Privatisierungen und weiterhin auf ein „differenziertes Schulsystem“. Erneut warf der SPÖ-Geschäftsführer der Volkspartei auch vor, Erbschafts- und Millionensteuern verhindert zu haben.
FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl ortete einen Rückwärtstrend ins „Mittelalter“. Kickl fand, dass die ÖVP auf die falschen Themen setze, mit denen Österreich mitnichten die Herausforderungen der Zukunft meistern könne. Das ÖVP-Programm sei eine „Involution ins Mittelalter“, schrieb er in Anspielung auf den schwarzen „Evloutionsprozess“. Die Einführung eines Mehrheitswahlrechts lehnt die FPÖ strikt ab.
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