„Der Zuschauer ist ja nicht doof“
Ein Gespräch mit Patrick Vollrath, Regisseur des Kurzfilms „Alles Wird Gut“, der es in die Auswahl der Semaine de la Critique nach Cannes geschafft hat. Vollrath studiert an der Wiener Filmakademie in der Klasse von Michael Haneke.
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Vollraths Filme merkt man sich, auch wenn man bei einem Festival täglich Dutzende sieht. So wie das kurze Drama „Die Jacke“, in dem eine Barbekanntschaft zwischen einem jungen Mann und einer Frau gefriert, als sie ihm bei einer Pöbelei zu Hilfe eilen muss. Wo Flirt war, herrscht plötzlich Peinlichkeit. Die Frau versteht gar nicht, was sie falsch gemacht hat.
Genau beobachtet ist auch Vollraths neuester Kurzfilm mit dem trügerischen Titel „Alles Wird Gut“. Das eigentliche Drama zwischen einem Vater und seiner Tochter spielt sich in diesem Halbstünder zwischen den Dialogzeilen ab. Wo zu Beginn des Films noch lächelndes Vertrauen des Kindes in seinen Papa herrscht, wird am Ende ungläubige Panik sein.
Simon Schwarz als nervöser Vater
Simon Schwarz spielt den Vater als stets nervösen Mann, der sich Mühe gibt. Mühe, dass ihn die Beamtin im Magistrat mag und als kompetenten Vater ernst nimmt. Und Mühe, dass seine Tochter ihn liebt. Und wenn es im Spielzeug-Megadiscounter das große Piratenschiff mit Motor und die zugehörige Insel sein muss, dann auch das. Schwarz’ Figur ist zu Großem entschlossen und wird, das ahnt man schnell, groß scheitern, denn die Liebe eines Kindes kann man nicht erzwingen.
„Alles Wird Gut“ feiert seine internationale Premiere beim 68. Filmfestival in Cannes und wird anschließend beim VIS-Kurzfilmfestival in Wien zu sehen sein: Am 26. Mai läuft er im Rahmen der Eröffnung um 19.30 Uhr im Gartenbaukino. „Die Jacke“ ist ebenfalls bei VIS am 27. Mai um 21.30 Uhr im Stadtkino zu sehen. ORF.at traf den Regisseur kurz vor Cannes in einem Wiener Kaffeehaus zum Gespräch.
ORF.at: Herr Vollrath, herzlichen Glückwunsch - Ihr Kurzfilm „Alles Wird Gut“ ist dieses Jahr der einzige deutsche – und wenn man so will der einzige österreichische - Beitrag in Cannes. Wie war das, als Sie die gute Nachricht bekommen haben?

ORF.at/Maya McKechneay
Regisseur Patrick Vollrath während des Gesprächs im Cafe Westend
Patrick Vollrath: Zu Ostern habe ich eine E-Mail aus Cannes bekommen. Ich habe erfahren, dass die Semaine de la Critique generell interessiert an dem Film ist. Danach ging es noch darum, zu klären, ob es eine überwiegend deutsch oder österreichisch finanzierte Produktion ist. Das war wichtig, weil „Alles wird gut“ in Deutschland schon im Max-Ophüls-Wettbewerb in Saarbrücken gelaufen war und vor Cannes nur eine nationale Premiere erlaubt ist. Ich habe dann ehrlich die Produktionsverhältnisse offengelegt, und als Antwort darauf kam die offizielle Einladung aus Cannes.
ORF.at: Sie selbst kommen aus Deutschland, studieren aber hier an der Wiener Filmakademie in der Klasse von Michael Haneke. In Österreich sieht man „Alles Wird Gut“ jetzt natürlich mit Handkuss als heimischen Film.
Vollrath: Es haben beide Länder ihren Anteil daran. Es ist einfach eine deutsch-österreichische Koproduktion. Ich bin Deutscher, aber als Filmemacher in Österreich aufgewachsen. Hier habe ich das Handwerk gelernt. Ich persönlich freue mich, beide Länder irgendwie vertreten zu dürfen.
ORF.at: Sprechen wir über den Inhalt, ohne allzu viel vorwegzunehmen. Es geht um einen getrennt lebenden Vater, der seine Tochter für ein gemeinsames Wochenende abholt. Die Erzählung des Films ist doppelbödig: Man merkt, er hat Pläne mit ihr, von denen weder das Mädchen noch die Mutter etwas ahnt. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Vollrath: Das war eine lange Entwicklung, angefangen bei Medienberichten über solche Ereignisse. Mich hat interessiert: Warum macht ein Vater so etwas? Wie geht’s dem Kind dabei? Die erste Idee, die ich aufgeschrieben habe, war noch wahnsinnig spektakulär. Das Drehbuch hat sich dann immer weiter entwickelt, und all die Dialoge sind am Set improvisiert worden.
ORF.at: Haben Sie auch Menschen getroffen, die mit Kindesentführung oder Kindsentziehung selbst Erfahrungen gemacht haben?
Vollrath: Ja. Ich habe viel recherchiert – ich habe mit Kinderpsychologen geredet, war im Wiener Frauenhaus, bei einer Jugendanwältin. Habe mich mit Vätern unterhalten, die in so einer verzweifelten Situation stecken. Dann habe ich mich mit einer Mutter getroffen, die eine Kindesentführung mal selbst erlebt hat. Das war ein wirklich spannendes Gespräch über diese Extremsituation. Die Mutter war sehr offen und ehrlich. Dafür bin ich dankbar – ich glaube, diese Begegnung hat dem Film den letzten Anstoß gegeben.
ORF.at: Der Blick des Films ist allerdings nicht bei der Mutter, die sicher ihr eigenes Trauma durchlebt, sondern bei Tochter und Vater.
Vollrath: Viele, die den Film sehen, sagen, dass sie auch für den Vater fühlen. Das finde ich gut, denn ich wollte ja von einem verzweifelten Vater erzählen, der die falschen Entscheidungen trifft. Die Figur, die Simon Schwarz spielt, sollte keine Hassfigur sein. Er glaubt ja, er handelt aus Liebe. Natürlich kann man trotzdem nicht einverstanden sein mit dem, was er tut und wie er es tut. Aber dennoch sollte man mit ihm mitfühlen können. Diese Ambivalenz war mir sehr wichtig.
ORF.at: Simon Schwarz ist durch seine früheren Rollen, zum Beispiel als Berti in den Wolf-Haas-Verfilmungen, eher ein Sympathieträger.
Vollrath: Ja, ich wollte jemanden, der beim Publikum als sympathisch gilt. Jemand, der auch gut mit Kindern kann, damit für den Zuschauer auch das gute Verhältnis, das Lea zu ihrem Papa hat, deutlich wird. Simon hat das großartig verkörpert. Und dann, nach und nach, wollte ich hinter diese sympathische Fassade schauen.
ORF.at: Schwierig war wahrscheinlich das Kindercasting?
Vollrath: Für das haben wir uns viel Zeit genommen. Drehbeginn war Ende April, mit dem Casting haben wir im November begonnen. Wir sind unter anderem durch Schulen gegangen, mit Erlaubnis natürlich, und haben in einigen Klassen das Projekt vorgestellt und Informationszettel ausgeteilt. Nachher haben uns viele Eltern angerufen: „Mein Kind würde gern zum Casting kommen.“ Ich hab dann mit jedem Kind, das zum Casting gekommen ist, ein Gespräch geführt, worum es in dem Film geht, und dann haben wir einfach mal die schwierigste Szene des Films probiert.
ORF.at: Warum die schwierigste?
Vollrath: Das hat mir Haneke beigebracht: Im Casting immer die schwierigste Szene probieren, dann funktionieren die anderen meistens auch. In diesem Fall war das ein heimliches Handygespräch, für das sich die Tochter einmal davonstiehlt. Wir haben rund 80 Kinder gecastet. Julia, die letztendlich die Rolle dann bekommen hat, fand ich schon beim ersten Mal ziemlich gut, und sie wurde dann später und mit jedem Drehtag immer noch besser.
ORF.at: Haben Sie der Kinderdarstellerin eine Hintergrundgeschichte erzählt, damit sie über die Situation mehr weiß als wir Zuschauer?
Vollrath: Eben gerade nicht. Ich wollte ja, dass sie viel sie selbst ist. Wenn sie im Auto von einer Schultheateraufführung erzählt, dann ist das echt. Das ist ihre eigene Geschichte. Ich habe mit ihr nur über die Trennungssituation ihrer Filmeltern geredet. Denn sie selbst kommt aus einem sehr behüteten Elternhaus. Und der Rest hat sich dann im Laufe des Films entwickelt. Da musste sie sich einfach nur in die einzelnen Szenen hineinfühlen. Und das hat sie fantastisch gemacht.

Sebastian Thaler
Szene aus „Alles Wird gut“
ORF.at: Wie war es für Julia Pointner dann plötzlich, mit Simon Schwarz vor der Kamera zu stehen. War er für sie ein Star?
Vollrath: Nö, den kannte sie vorher gar nicht. Das war für sie der mit dem coolen Spiel auf dem Handy. Das hat sie praktisch nur kurz weggelegt, um zu drehen.
ORF.at: In „Alles Wird Gut“ fragt man sich die ganze Zeit, ob der Vater mit seinem Plan durchkommt. Im Grunde ist der Film ein Thriller, der als Alltagsdrama erzählt ist. Warum haben Sie sich entschieden, den Suspense nicht auszuspielen, also die Spannung nicht stärker aufzubauen?
Vollrath: Ich wollte einen Film machen, der die größtmögliche Glaubwürdigkeit hat. Wenn sich daraus Suspense ergibt, dann nehme ich das gerne an. Aber ich wollte nicht künstlich etwas hinbringen.
ORF.at: Manche Handlungen und Aussagen versteht man aber erst, wenn man den Film zum zweiten Mal sieht und den Masterplan des Vaters kennt.
Vollrath: Das war Absicht. So ist der Film aufgebaut. Natürlich kann man Vorgänge auch anders erzählen: Da nimmt man dann noch eine Großaufnahme rein, um es wirklich klar zu machen. Aber der Zuschauer ist ja nicht doof. Der denkt sich: Okay, ich hab’s eh verstanden. Meine erste Drehbuchfassung hatte zu viele Erklärungsansätze. Dafür schäme ich mich heute noch ...
ORF.at: Und wie merkt man, dass so eine Fassung nicht funktioniert?
Vollrath: (lacht) Na, ganz leicht, wenn dein Professor dir sagt, dass das ein ziemlicher Scheiß ist. Das ist ja das Gute an der Filmakademie. Man hat viele Menschen um sich herum, die einem auf seinem Weg helfen. Die letzte Fassung des Buchs habe ich dann aber gar nicht mehr besprochen mit ihm, da war ich mir sicher, dass sie mir gefällt. Und das war das einzig Wichtige. Ich wollte mich nicht mehr verunsichern lassen, sondern es dann einfach so machen.
ORF.at: Muss man das Drehbuch immer wieder vorlegen?
Vollrath: Man braucht die Freigabe von den Professoren. Sie müssen unterschreiben, dass der Stoff drehbereit ist. Aber Haneke gibt uns auch die Freiheit, Dinge zu drehen, mit denen er nicht ganz zufrieden ist. Man muss für sich selber entdecken, ob es funktioniert, und auch mal daran scheitern.
ORF.at: Wie sieht es beim Dreh oder im Schnitt aus? War Professor Haneke da auch involviert?
Vollrath: Nein, beim Dreh ist kein Professor anwesend. Vielleicht ganz am Anfang ein Kameraprofessor. Das ist auch gut so. Da kann man nicht den Meister neben sich stehen haben, wo man eh das Gefühl hat, dass er es alles besser könnte. Als ich eine Schnittfassung hatte, mit der ich mich wohlgefühlt habe, hab’ ich ihm die gezeigt. Zum Glück war er ziemlich begeistert. Ich wollte damals noch eine kleine Sache nachdrehen, und er hat mich überzeugt, das nicht zu machen. Das Gespräch mit Haneke hat den späteren Arbeitsprozess angetrieben und motiviert.
ORF.at: Wann ist der Titel dazu gekommen?
Vollrath: Der Arbeitstitel war „Rotkäppchen“. Simon war für mich immer der Wolf in Gedanken, der sich hinter einer Maske versteckt. Er wäre halt eher der traurige, verzweifelte Wolf als der böse, gefräßige.
ORF.at: Man hat bei diesem Titel gleich eine Opfer-Täter-Vorstellung ...
Vollrath: Ja, „Rotkäppchen“ verrät zu viel. In der Improvisation hat jeder der Elterndarsteller dann von sich aus diesen Satz – „Alles wird gut!“ – zum Kind gesagt, um es zu beruhigen. Der stand nirgends. Simon und Marion (Rottenhofer, Anm.), die die Mutter spielt, sind ja selbst Eltern. Im Film belügen beide das Kind mit diesem Satz.
ORF.at: Der Satz ist aber auch ein Klassiker aus amerikanischen Katastrophen- oder Horrorfilmen. Da weiß man, jetzt kommt es ganz schlimm ...
Vollrath: Ja, klar. Ich habe eine Rettungssanitäter-Ausbildung gemacht, da wurde uns eingeschärft, den Angehörigen nie zu sagen: „Alles wird gut.“ Man kann das ja nie wissen. Ich habe dann lange überlegt, was der internationale Titel sein soll. Weil ich mir unsicher war, wie man das übersetzt, damit es die gleiche Bedeutung hat. Jetzt ist es: „Everything will be okay“. Das ist quasi Teil eines John Lennon Zitats. Der hat mal gesagt: „Everything will be okay in the end, and if it’s not okay, it’s not the end“.
ORF.at: War auch eine Lüge, wenn man daran denkt, wie sein eigenes Ende ausgesehen hat.
Vollrath: Ja – ist halt ein wunderschöner, poetischer Satz ...
Das Gespräch führte Maya McKechneay, ORF.at
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