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Koketterie mit Großalbanien

22 Tote, darunter acht Polizisten, 14 bewaffnete Albaner und Dutzende Verletzte: Das ist die Bilanz der blutigen Auseinandersetzungen zwischen der mazedonischen Polizei und „albanischen Terroristen“ im mazedonischen Kumanovo am Wochenende. Am Montag blieb es ruhig. Doch in der gesamten Region ist die Nervosität groß. Erinnerungen an 2001 werden wach.

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Damals eskalierte der Konflikt zwischen Mazedoniern und ethnischen Albanern. Das Land stand an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Unter EU-Vermittlung konnte der Konflikt zwischen mit dem Ohrid-Friedensabkommen beigelegt werden, das den Albanern mehr Rechte einräumte. Für einige offenbar zu wenig: Eine Splittergruppe der UCK bekannte sich zu dem Angriff von Kumanovo und begründete ihn mit dem „Terror gegen die albanische Zivilbevölkerung“.

Einige Mitglieder dieser gut bewaffneten „terroristischen Gruppe“ seien aus „einem Nachbarland“ gekommen, so die mazedonische Regierung mit Blick auf das Kosovo. Offiziell wies Prishtina diesen indirekten Vorwurf zurück. Doch entsandte das Kosovo noch in der Nacht auf Montag eine Sonderpolizeieinheit an die Grenze zu Mazedonien. Auch serbisches Militär wurde an der Grenze zu Mazedonien zusammengezogen. Nach Darstellung der mazedonischen Regierung hätten albanische Terroristen einen Krieg beginnen wollen.

„Destabilisierender Faktor“

Am Montag kehrten die Hunderten geflüchteten Bewohner in die Stadt zurück. Doch die Frage nach dem Warum bleibt. „Es handelte sich allem Anschein nach um eine Gruppe an albanischen Extremisten“, sagte der Südosteuropa-Experte Dusan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP Berlin) gegenüber ORF.at. Wahrscheinlich handle es sich um eine der zahlreichen Splittergruppen der UCK.

Zerstörte Häuser in Kumanovo

APA/EPA/Valdrin Xhemaj

Geflüchtete Bewohner kehrten am Montag in ihre zerstörten Häuser zurück

Deren Gewaltaktion in Kumanovo stelle einen „destabilisierenden Faktor“ dar, so Reljic: „Es ist ein Signal, der Politik zu zeigen, dass Massengewalt nach wie vor möglich sei.“ Einen größeren Flächenbrand wie die bürgerkriegsähnlichen Zustände von 2001 erwartet Reljic nicht. „Die etablierten Parteien stehen diesmal nicht dahinter.“ Vielmehr habe der albanischen Partei in der mazedonischen Regierung (DUI) und auch den Parteien in Albanien und im Kosovo dieser Vorfall in Mazedonien eher geschadet.

Denn sowohl in Albanien vor der für Juni geplanten Wahl als auch im Kosovo werde immer wieder mit der albanischen Frage, der klassischen Vereinigung der Albaner zu einem Großalbanien, kokettiert, erklärt Reljic. Für viele Albaner hat dieses Bild nun wohl Schaden genommen. Denn selbst wenn mehr Rechte für Albaner nur schleppend umgesetzt werden, sehe auch die Bevölkerung darin keine Rechtfertigung für einen Krieg.

Beteiligung von Kosovaren „denkbar“

Obwohl Prishtina offiziell eine Verwicklung von Kosovaren zurückwies, sei denkbar, dass neben mazedonischen Albanern auch Kosovaren in die Auseinandersetzungen am Wochenende verwickelt gewesen sein könnten", zitierte die deutsche „Welt“ (Montag-Ausgabe) aus kosovarischen Sicherheitskreisen. Kosovarische Clans hätten schon 2001 ihre Hände mit im Spiel gehabt.

Es sei „denkbar“, dass diese Familien nun wieder beteiligt waren. Der Bericht zitiert jedenfalls Warnungen aus dem Kosovo, dass sich der Konflikt ausbreiten werde, wenn „die regionalen Regierungen, aber vor allem auch die USA und die EU“ nicht sofort eingreifen. Die mazedonische Polizei bestätigte am Montag, dass fünf Kosovaren an dem Angreifer beteiligt gewesen seien.

„Regierung tritt Demokratie mit Füßen“

Andere Beobachter führen das jüngste Aufflammen von Gewalt allerdings auch auf die mazedonische Innenpolitik zurück. Denn die Regierung steht seit Monaten vor einem der größten politischen Skandale. Die sozialdemokratische Opposition unter Zoran Zaev wies auf Basis von Abhörprotokollen von Politikern der Regierungspartei VMRO den Machtmissbrauch der Regierung etwa durch die Fälschung von Wahlen und durch illegale Abhörpraktiken von 20.000 Menschen unter Premier Nikola Gruevski nach. Einige Oppositionelle, Journalisten und Diplomaten sehen schlicht die Regierung für den Ausbruch des schwelenden Konflikts verantwortlich, um von den innenpolitischen Skandalen abzulenken.

Reljic hingegen glaubt nicht daran, dass die Regierung den Vorfall als Ablenkungsmanöver steuerte. Dafür habe es zu viel Waffengewalt in dicht besiedeltem Gebiet gegeben. Der Südosteuropa-Experte sieht aber in der sozialdemokratischen Opposition einen weiteren großen Verlierer der erneuten Gewalt. „Die Opposition startete mit Massenprotesten gegen eine Regierung, die die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie mit Füßen getreten hat. Nun gibt es aber eine neue Bedrohungslage. Die Opposition kann in ihrem Kampf gegen die Regierung so nicht gleich weitermachen.“

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