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Varitsi – Niederösterreich und retour

Die 26-jährige niederösterreichische Autorin Vea Kaiser hat mit „Makarionissi oder Die Insel der Seligen“ nach ihrem vielbesprochenen Debüt „Blasmusikpop“ nun ihr zweites Buch vorgelegt. Wie im Erstling fabuliert sie in verspielt-manieriertem Stil schräg-unwahrscheinliche Erlebnisse vor sich hin und beschreibt dabei die Glückssuche einer Familie über mehrere Generationen hinweg.

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Ausgehend vom kleinen Bergdorf Varitsi an der griechisch-albanischen Grenze und einigen geografischen Umwegen schildert Kaiser die Geschicke einer weit verzweigten griechischen Familie von den 50er Jahren bis ins Jahr 2014. Die Niederösterreicherin, die 2014 zur österreichischen Autorin des Jahres gewählt wurde, verknüpft in ihrem Buch, das in neun Gesänge gegliedert ist, das Leben ihrer Protagonisten zu einer ausufernden Familienchronik.

„Ich lese selber keine Rezensionen“

Was die Länge des Romans betrifft, so die Autorin im Gespräch mit der APA, sei sie katastrophal gescheitert. Die angehende Germanistin und Altphilologin wollte dieses Mal unter 300 Seiten bleiben, doch auch das zweite Werk geriet zum Wälzer, der es in Sachen Umfang mit den von ihr gern zitierten Heldenepen aufnehmen kann. Fans ihrer detail- und erzählverliebten Schreibweise dürfen sich freuen.

Die Autorin Vea Kaiser mit ihrem Debütroman "Blasmusik-Pop"

APA/Herbert Pfarrhofer

Vea Kaiser 2012 bei der Präsentation ihres Romanerstlings „Blasmusikpop“

Aufgrund von Lesereisen, über 250 gegebenen Interviews und Auslandsaufenthalten blieb Kaiser keine Zeit, sich Sorgen über den oft schwierigen Anschluss an ein erfolgreiches Debüt zu machen. Ein betrunkener Literaturkritiker habe ihr in einer Bar prophezeit, dass man nun darauf warte, sie fertigzumachen. „Aber so schlecht will ich gar nicht von Menschen denken. Außerdem lese ich selber keine Rezensionen, weil ich gemerkt habe, dass es mir nicht guttut – weder die Verrisse, noch die Lobeshymnen“, sagte sie.

Starke Frauen und ein herzensguter Langeweiler

Die eindeutige Heldin ihres neuen Buches, Eleni Stefanidis, nimmt in der generationenübergreifenden Familiensaga ebenso wie ihre abergläubische Großmutter Yiayia Maria immer wieder Bezug auf die heroische Vergangenheit. Als Vorbild wählt Eleni schon als Kind die starken Amazonen und stößt mit ihrer Aussage, niemals heiraten zu wollen, die eigene Familie und jene des zukünftigen Bräutigams vor den Kopf.

Lefti Zifkos - der anfangs Verschmähte - und Eleni sind seit Kindertagen beste Freunde, entfernen sich im Laufe der Erzählung jedoch immer weiter voneinander. Als Lefti, den Eleni für einen Langeweiler hält, die im Gefängnis gemarterte Eleni mit einer Lüge herausboxt, darf er dennoch nicht auf Dankbarkeit hoffen. Geheiratet wird trotzdem, weil Situation und Familien es verlangen und der verhasste Ringetausch für die frischgebackene Ehefrau das Ticket hinaus aus dem ungeliebten Dorf bedeutet.

Jeder Topf findet seinen Deckel

Die Reise führt ins heilsversprechende deutsche Hildesheim, wo die beiden die jeweils wirklich große Liebe finden. Die Ehe wird nicht vollzogen, was angesichts der immer wieder als begehrenswerte Schönheit beschriebenen Eleni überrascht. Das gereicht dem Gentleman Lefti zur Ehre, und man vergönnt es dem heimlichen und gutherzigen Helden des Romans, als dieser endlich in seiner österreichischen Sprachlehrerin Trudi seinen Augenstern findet.

Screwball auf Österreichisch

Schuld am Unglück des ungleichen Paares trägt Großmutter Yiayia Maria, die die Zeichen in ihren Träumen falsch deutet. Denn dass „Sonnenblumen die Blumen der unglücklichen, hoffnungslosen Liebe waren“, fällt der alten Frau erst ein, als es schon zu spät ist. Die rebellische und politisch engagierte Eleni lehnt sich gegen alle und alles auf und merkt erst nach und nach, dass sie sich im Laufe ihres Lebens immer mehr in ein Abbild der tyrannischen Großmutter verwandelt.

Ähnlich wie in „Blasmusikpop“ verliert sich die Autorin im Erzählen und Ausschmücken - und so manches erinnert in „Makarionissi“ frappant an den Erstling. So finden sich Parallelen zwischen dem verschrobenen Bergdorf Varitsi und St. Peter am Anger ebenso wie zwischen den seltsamen Dorfbewohnern, die noch an allerlei Humbug glauben. Auch die Idee eines Kindes mit falschem Vater hat Wiedererkennungswert. Absurditäten, wie die Autorin sie die Figur Spiroula in deren Hochzeitsnacht mit Yorgos erleben lässt, werden Fans ein Schmunzeln entlocken und vielleicht an den kuriosen Fischbandwurm im Debüt denken lassen.

Helden müssen schön sein

Kaiser lässt ihre Figuren an überraschenden Orten stranden, denn wie viele Romangeschichten machen schon Halt in St. Pölten? Viel Freude werden die Einheimischen dort angesichts der ihnen zugedachten Beschreibung wohl nicht haben. Denn der Grieche Iannis, Elenis Enkelsohn, ist den „rosabäckigen, dicklichen und oft miserabel gekleideten St. Pöltnern, die aussahen, als wären sie gerade erst aus dem Stalldienst entlassen worden“, an Aussehen und Lässigkeit haushoch überlegen.

Buchcover von Vea Kaisers "Kiepenheuer&Witsch"

Kiepenheuer&Witsch

Vea Kaiser: Makarionissi oder Die Insel der Seligen. Kiepenheuer & Witsch, 464 Seiten, 20,60 Euro.

Bei manchen ihrer Gestalten übertreibt es Kaiser mit den ihnen geschenkten Attributen. Besonders augenfällig wird das bei den zueinander findenden Antipoden-Pärchen, deren einzige Gemeinsamkeit das Glücklichsein mit dem jeweils anderen ist. Auch hier haben in Sachen Liebe und Sex Eleni und ihr blonder, blendend aussehender Musiker Otto die Nase vorn. Während der hagere, bald haarlose Lefti, der als „deutscher als die Deutschen“ beschrieben wird, mit seinem „späten Mädchen“ Trudi vermutlich nur die Missionarsstellung kennt.

Doris Day der Belletristik

Das detaillierte Ausmalen von Erlebnissen in der konstruierten Sprache, die dem Leser bildungs- und wissensverliebt vieles erklärt, verliert irgendwann an Reiz. Später nachgereichte Erklärungen helfen manche Unklarheiten zu beseitigen, doch sich im einst reichen, nun armen Bergdörfchen Varitsi Dorfkinder in Seidenkleidern und fette Straßenhunde vorzustellen will dennoch nicht so recht gelingen. Alles bleibt wie bei Doris Day in ihren besten Tagen: sauber, lustig und aufgeräumt.

Veranstaltungshinweis

Die Buchpräsentation samt Lesung von Vea Kaiser und Christian Dolezal findet am 14. Mai 2015 um 20.00 Uhr im Rabenhof Theater in Wien statt.

Details zu Elenis Erlebnissen im Gefängnis liefert das Buch nur vage nebenbei, auch die sich ändernde politische Situation während der Geschichte wird nur gestreift. Wichtiger sind der Autorin die skurrilen Begebenheiten und das Erzählen selbst. Wenngleich manches an der sauber gekehrten Oberfläche bleibt, passt das doch zum unschuldigen Dahinfabulieren Kaisers. Die leichte und harmlose Erzählart unterhält und amüsiert je nach Humor, auf allzu große Ernsthaftigkeit scheinen Autorin und Geschichte nicht abzuzielen.

Finaler Paukenschlag

So mancher dürfte das Gefühl nicht loswerden, dass „Makarionissi“ der begabten Textbaumeisterin als gespenstischer Wiedergänger ihres Erstlings geraten ist. Das neue Buch wirkt wie eine am belletristischen Reißbrett entworfene Geschichte, die viele Leser finden wird, aber im Vergleich zum Vorgänger mit gleicher Sprache und Sprachverliebtheit, anderen Vorzeichen und Figuren sowie ähnlicher Architektur und viel Übertreibung arbeitet.

Der kurze Monolog über die Situation der Menschen im heutigen Griechenland, den Iannis dem Schwiegervater in spe in gebührender Härte an den Kopf wirft, läutet das Finale im familiären Ereignisreigen ein. Erzählt wird am Ende jenes Drama, das Iannis’ Zwillingsbruder Manolis im Heimatdorf widerfährt. Und im „High Noon“-artig gestalteten Schlussakt führt die Autorin wie eine Märchenerzählerin zwei lange getrennte „Paare“ auf wundersame Weise wieder zusammen. Der Weg dorthin war weit.

Carola Leitner, ORF.at

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