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Opposition glaubt an Inszenierung

Mazedonien ist von schweren Kämpfen an der Grenze zum Kosovo erschüttert worden: Bei Feuergefechten zwischen Polizisten und einer „terroristischen Gruppe“ in Kumanovo wurden am Wochenende laut offiziellen Angaben acht Polizisten und 14 Kämpfer getötet. 37 Beamte seien teils lebensgefährlich verletzt worden, so das Innenministerium. Premier Nikola Gruevski sprach von verhinderten „Massenmorden“.

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Die Zusammenstöße hatten Samstagfrüh mit einer Razzia in einem mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnten Viertel der rund 40 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Skopje gelegenen mazedonischen Stadt Kumanovo begonnen. Die Polizei verdächtigte eine bewaffnete Gruppe, einen „Terroranschlag“ auf staatliche Einrichtungen zu planen. Laut Gruevski waren Angriffe auf Einkaufszentren und Sportveranstaltungen geplant, was zum Tod von bis zu 8.000 Personen führen hätte können.

Gruppe aus dem Ausland?

Beim Polizeieinsatz wurden Ein- und Ausfahrten mit gepanzerten Fahrzeugen blockiert. Über der Stadt kreisten Hubschrauber und Drohnen. Die Polizei brachte Teile der Bevölkerung fort und durchkämmte Haus für Haus in dem Viertel. Über einigen Hausdächern stieg dichter Rauch auf. Laut der Polizei war die Gruppe schwer bewaffnet und hatte in Kumanovo Unterstützer. Das Innenministerium bezifferte die Zahl der Bewaffneten auf bis zu 70, Gruevski sprach von 40 Bewaffneten.

Polizisten stehen vor einem Auto mit Einschusslöchern

APA/AP/Radovan Vujovic

Polizisten in Kumanovo

Bei der Razzia wurde die Polizei von Heckenschützen beschossen und mit Granaten und automatischen Waffen angegriffen. Laut Polizei stammten die Angreifer vor allem aus Mazedonien. Zudem seien mutmaßlich fünf Kosovo-Albaner und ein Albaner beteiligt gewesen. Innenministeriumssprecher Ivo Kotevski hatte zuvor davon gesprochen, dass die Gruppe aus einem Nachbarland nach Mazedonien eingedrungen sei. Medien schrieben vom Kosovo als Herkunftsland. Das Kosovo entsandte in der Nacht auf Montag eine Sonderpolizeieinheit an die Grenze zu Mazedonien.

Regierungsskandale nun kein Thema mehr

30 Männer wurden laut dem Innenministerium verhaftet. Unter den „Terroristen“ seien Kämpfer gewesen, die Kriegserfahrungen im Nahen und Mittleren Osten gesammelt hätten, sagte Regierungschef Gruevski. Sie seien auch für den Überfall auf eine mazedonische Grenzstation vor zwei Wochen verantwortlich. Die Kämpfe in Kumanovo seien aber keinesfalls ein Konflikt zwischen der slawischen Mehrheitsbevölkerung des Landes und der albanischen Minderheit.

Grafische Darstellung der geografischen Lage von Kumanovo

APA/ORF.at

Aus der mazedonischen Opposition wurde die Regierung in Skopje allerdings beschuldigt, den Konflikt inmitten einer politischen Dauerkrise gezielt angeheizt zu haben, um von sich selbst abzulenken. Die Regierung ist mit einem Korruptionsskandal konfrontiert und sieht sich Vorwürfen der Opposition ausgesetzt, illegal 20.000 Menschen abgehört zu haben. Spekuliert wird darüber, dass die Regierung die angebliche terroristische Bedrohung selbst inszeniert haben könnte.

Hunderte nach Serbien geflohen

Der frühere mazedonische General Ilija Nikolovski sah Söldner hinter den Kämpfen in der drittgrößten Stadt des Balkan-Landes: „Ich weiß nicht, wer der Organisator ist und wer die Krise kontrolliert, aber ich habe den Eindruck, dass ihm die Ereignisse außer Kontrolle geraten sind.“ Kumanovo hat einen hohen albanischen Bevölkerungsanteil. Die Albaner stellen insgesamt schätzungsweise bis zu 30 Prozent der zwei Millionen Einwohner Mazedoniens.

Mazedonien: Gefechte zwischen Polizei und Albanern

Der blutige Einsatz nährt die Angst vor neuen ethnischen Auseinandersetzungen in dem Land, die Hintergründe sind allerdings recht vielfältig.

Hunderte Menschen flohen aus Kumanovo ins benachbarten Serbien. Auch dort lebt eine albanische Minderheit, die oft auf Konfrontationskurs mit der Regierung in Belgrad geht. Serbien entsandte Spezialpolizei an die Grenze. Die mazedonische Regierung kam am Sonntag in Skopje zu einer Sondersitzung zusammen und rief eine zweitägige Staatstrauer aus. Der geplante Skopje-Marathon wurde abgesagt. Albanien und das Kosovo verurteilten die Gewalt in Kumanovo.

Drohen wieder Konflikte wie 2001?

EU-Kommissar Johannes Hahn äußerte sich nicht nur „zutiefst besorgt“ über die Gewalt in Mazedonien, sondern forderte dazu auf, jede weitere Eskalation zu vermeiden. Hahn rief die Behörden und die politischen Anführer zur Kooperation auf, um die Ruhe wiederherzustellen und eine vollständige und transparente Untersuchung der Ereignisse einzuleiten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte am Sonntag alle Beteiligten „im Interesse des Landes und der ganzen Region“ zur Zurückhaltung auf.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich am Montag ebenfalls „besorgt“ über die jüngste Eskalation in Mazedonien: „Alle Seiten müssen nun äußerste Zurückhaltung an den Tag legen.“ Der Vorfall sollte „als Weckruf dienen“. Zügige Fortschritte in der innenpolitischen Krise seien „zwingend erforderlich“.

Viele sehen das Land bereits wieder in der Lage des Jahres 2001, als es bei einem Aufstand ethnischer Albaner im Norden Mazedoniens zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam. Er endete mit einem Abkommen, das den Albanern mehr Rechte zusagte. Die Beziehungen zwischen den Volksgruppen in Mazedonien blieben aber angespannt. Die Gewalt in Kumanovo droht die ohnehin angespannte politische Situation im Land weiter zu verschärfen.

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