Machtambitionen und Inszenierung
Die türkische Parlamentswahl im Juni wird auch eine Entscheidung über die Person Recep Tayyip Erdogan. Der ehemalige Premierminister ist zwar seit Sommer „nur“ noch Staatspräsident, arbeitet aber daran, das Amt nach seinen persönlichen Vorstellungen aufzuwerten. Falls ihm dafür nach der Wahl im Juni noch immer die nötige Mehrheit fehlt, hat er sich das auch selbst zuzuschreiben.
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Geht es nach Erdogan, dann soll der Staatspräsident in Zukunft die Macht im Land auf sich vereinen. Um den Umbau zu einem Präsidialsystem voranzutreiben, braucht Erdogans AKP allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Selbst nach dem Erdrutschsieg von 2011 war die Regierungspartei von diesem Ziel noch 40 Mandate entfernt.
Jüngsten Umfragen zufolge wird es für die AKP aber am 7. Juni keine Zugewinne geben. Vielmehr werden der Regierungspartei im Moment Verluste von mehr als zehn Prozent prognostiziert. Damit bliebe sie zwar stärkste Kraft im Parlament, Erdogans hochgesteckte Pläne rückten aber weiter in die Ferne. Dafür dürfte der Staatspräsident auch selbst verantwortlich sein. Erdogans autoritäres Gehabe nerve zunehmend mehr Wähler, spitzte es die Berliner „taz“ zu.
Parteizügel weiter fest in der Hand
Erdogan hatte zwar das Parteiszepter nach seiner Wahl zum Präsidenten offiziell an seinen Nachfolger als Premier, Ahmet Davutoglu, übergeben. Auf der vor wenigen Wochen veröffentlichten Wahlliste der Partei finden sich dennoch alle engen Berater Erdogans wieder - inklusive seines Schwiegersohns Berat Albayrak. Es bestehen kaum Zweifel, wer in der AKP die Zügel in Händen hält - auch wenn laut türkischer Verfassung der Staatspräsident sich nicht in Angelegenheiten der eigenen Partei einmischen dürfte.
„Letzter Ring in der goldenen Kette“
Seine Machtambitionen lädt Erdogan nicht selten ideologisch auf - oder lässt sie von anderen aufladen. So wurde der türkische Präsident Mitte April bei einer Feier in Ankara von einer osmanischen Militärkapelle willkommen geheißen - mit einer eigens komponierten „Neuen Türkei“-Hymne. Während der feierlichen Einweihung eines „Strategischen Forschungszentrums“ erklang im Beisein Erdogans das vom Ex-Politiker Hasan Celal Güzel geschriebene Lied.
Erdogan wird darin als „unser Anführer“ („Liderimiz“) gepriesen. Dann werden historische Figuren wie Attila der Hunnenkönig, Reichsgründer Osman, Mehmed II. (der Eroberer Konstantinopels), Selim I. (der die Aleviten verfolgte), Süleyman der Prächtige (er belagerte 1529 Wien) und Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk genannt sowie weitere türkische Staatsmänner - wohl ganz im Sinne des türkischen Präsidenten.
In seiner anschließenden Rede sagte Erdogan: „Der Kampf für die Neue Türkei ist unser Roter Apfel.“ Der „Rote Apfel“ („Kizil Elma“) galt im Osmanischen Reich als Symbol imperialer Bestrebungen und später als Sinnbild von auf Zentralasien ausgerichteten pantürkischen Ambitionen (Turanismus). „Die türkische Nation steht loyal zu Dir, Erdogan, dem letzten Ring in der goldenen Kette“, verspricht der Hymnentext dementsprechend - und gelobt, das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem voll zu unterstützen, „immer mit der Kraft Allahs“.
Opposition im Aufwind
Das mag der Wählerbasis der AKP gefallen. Auf Türken, die mit einem „Anführer“ Erdogan nur wenig anfangen können, wirken die Auftritte befremdlich. Für eine Polarisierung der Gesellschaft sorgten Erdogan und seine Politik schon seit Jahren. In jüngster Zeit scheinen die politischen Gegner der AKP nun auch Kapital daraus schlagen zu können.
So steht die türkische Opposition im Moment auch wegen Auswüchsen wie der Erdogan-Hymne so gut wie schon lange nicht mehr da. Darüber hinaus gelang es den beiden größten Oppositionsparteien sich in den vergangenen Monaten neu aufzustellen. Sowohl die sozialdemokratisch-kemalistische CHP als auch die nationalistische MHP hoffen im Juni auf merkliche Zugewinne.
Als größter Sieger könnte jedoch die kurdische HDP aus der Wahl gehen. Die Partei tritt dieses Jahr das erste Mal nicht mit unabhängigen Kandidaten, sondern als Partei an. Sollte ihr der Sprung über die Zehnprozenthürde ins Parlament gelingen - wie aktuelle Umfragen derzeit vorhersagen - wäre sogar die absolute Parlamentsmehrheit der AKP in Gefahr. Die Regierungspartei müsste sich dann zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder einen Koalitionspartner suchen.
Soziale Medien gesperrt
Ein solches Szenario versucht die AKP um jeden Preis zu verhindern - unter Einsatz ihres medialen und politischen Gewichts. Da kann es auch vorkommen, dass die Behörden unter einem vorgegebenen Vorwand vorübergehend die Zugänge zu Twitter, YouTube und Facebook sperren. Bei der letzten Sperre ging es etwa offiziell um Fotos der am Ende blutigen Geiselnahme eines Staatsanwalts Ende März. Die Opposition mutmaßt allerdings, dass es der Regierung vor allem darum geht, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Gänzlich aus der Luft gegriffen sind die Vorwürfe nicht. Prozesse gegen Journalisten sind nicht ungewöhnlich in der Türkei. Und nicht immer werden die Angeklagten - wie vor Kurzem die niederländische Journalistin Frederike Geerdink - freigesprochen. Nach einer Zählung des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) in New York waren 2012 und 2013 in der Türkei mehr Journalisten inhaftiert als in jedem anderen Land der Welt.
Zu kritische Wahlwerbung
Der AKP wird darüber hinaus vorgeworfen, auf die öffentlich-rechtlichen Sender des Landes einzuwirken. So weigert sich der Fernsehsender TRT, einen Wahlwerbespot der Oppositionspartei CHP zu senden. Weil die CHP die Regierungspartei AKP kritisiere, sei dieser nicht ins Programm aufgenommen worden, berichteten türkische Medien.
Der stellvertretende Vorsitzende der CHP, Enis Berberoglu, teilte über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, dass TRT der Partei eine schriftliche Stellungnahme diesbezüglich zugeschickt habe. „Die Begründung ist ein Beispiel für politische Satire. Wie kann eine Oppositionspartei Politik machen, ohne die Regierung zu kritisieren? Ich bin offen für Vorschläge“, twitterte Berberoglu.
Katze als Ausschlussgrund
In dem CHP-Wahlwerbespot schleicht eine Katze um einen Stromkasten herum. Die größte Oppositionspartei des Landes spielte damit auf die Kommunalwahlen im März 2014 an. An dem Tag gab es landesweite Stromausfälle. Energieminister Taner Yildiz hatte daraufhin erklärt, eine Katze sei in einen Verteilerkasten eingedrungen und hätte damit den Stromausfall ausgelöst.
In der Folge mussten unzählige Stimmzettel im Kerzenlicht ausgezählt werden - die Opposition warf der AKP Wahlmanipulation vor. Zumindest fehlende Energie dürfte im Juni kein Problem mehr sein: Energieminister Taner Yeldiz versprach vergangene Woche, dass für die Parlamentswahl Generatoren bereitstünden.
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