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Es geht um Platz eins

Schon die Koalition aus Torys und Liberaldemokraten bei der vergangenen Wahl ist ein Kulturbruch in Großbritannien gewesen, wo es doch bisher fast nur Alleinregierungen gegeben hat. Nach der der Wahl am Donnerstag scheint eine Koalitionsregierung fast unvermeidlich - und zumindest theoretisch könnte auch der Zweitplatzierte in der Downing Street landen. Doch dieses Katastrophenszenario wollen Premier David Cameron und sein Labour-Widersacher Ed Miliband möglichst vermeiden.

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Im Ringen um Platz eins versprachen der konservative Regierungschef Cameron wie auch Miliband Wahlkampf bis zuletzt. Cameron startete eine 36-Stunden-Wahlkampftour, bei der er auch nachts keine Pausen machen wollte. Und auch Miliband will sich nicht schonen und vor allem noch einmal bei den Gewerkschaften mobilisieren. Vor allem für ihn steht viel auf dem Spiel: Nach einem recht überzeugenden Wahlkampf könnte er am Ende doch mit leeren Händen dastehen.

Camerons Frontalattacke auf Schotten

Denn Cameron galt im Wahlkampf zunächst als harmlos, auch das eine oder andere Fettnäpfchen ließ er nicht aus. Doch seine Strategie ging voll auf: Als die Schottische Nationalpartei (SNP) in Umfragen zum Höhenflug ansetzte und deren neue Chefin Nicola Sturgeon ankündigte, Labour zu unterstützen, um Cameron auf jeden Fall stürzen zu wollen, setzte der Premier auf englischen Nationalismus.

Cameron posiert mit Anhängern für ein Selfie

Reuters/Peter Nicholls

Selfie mit Cameron

Schottische Parlamentsabgeordnete sollten bei „englischen Fragen“ nicht mitstimmen dürfen, so eine Forderung. Doch die zentrale Botschaft lautete, Miliband werde zum Handlanger der schottischen Separatisten, und das Land steuere mit einer Labour-Führung auf eine Teilung zu - mehr dazu in fm4.ORF.at.

Camerons Plan

Und die Strategie traf Miliband gleich auf zwei Ebenen: Die SNP wurde durch die Tory-Kampfansage immer stärker und könnte mit dem Mehrheitswahlrecht in Schottland nun alle Mandate holen - nur auf Kosten von Labour, die Konservativen haben dort ohnehin nichts zu verlieren. Gleichzeitig könnte er damit die Sozialdemokraten auch in umkämpften englischen Wahlkreisen schwächen. Miliband gelang es auch mehr schlecht als recht, sich aus der schwierigen Liebeserklärung der Schotten zu befreien - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Mehrheit als Zweiter wertlos?

Dabei hatte alles gut ausgesehen: ein solider Wahlkampf und die sehr wahrscheinliche Aussicht auf eine Koalitionsmehrheit mit der SNP, den walisischen Nationalisten Plaid Cymru und den Grünen.

Miliband posiert mit Anhängern für ein Selfie

Reuters/Stefan Wermuth

Selfie mit Miliband

Allerdings gibt es einen großen Schönheitsfehler - genau der, auf den es die Torys abgesehen hatten: Wird Labour hinter den Konservativen nur zweitstärkste Partei, wäre für Miliband eine Regierungsbildung trotz komfortabler Koalitionsmehrheit ein kaum zu überlebender Hasardritt. Denn Cameron werde sich zum Wahlsieger erklären und damit das Dogma untermauern, dass nur der Stärkste die Legitimität für das Amt des Premiers habe, heißt es etwa im „New Statesman“.

Horrorszenario für Miliband

Die englischen Medien würden sich dem anschließen und die SNP weiter verteufeln, heißt es in dem Szenario weiter. Und die britischen Finanzmärkte würden angesichts der „unsicheren Lage“ nachgeben, und selbst Parteikollegen würden sich wohl abwenden. So ein Horrorszenario würde Miliband nur schwer politisch überleben.

Experte zu dem Urnengang

Der Politikwissenschaftler Markus Wagner von der Uni Wien sprach über die Wahlen in Großbritannien und den möglichen Ausgang.

Die BBC erinnert an die erste von Labour geführte Regierung unter Premier Ramsay MacDonald 1924. Der hatte sich als Wahlzweiter von einem Koalitionspartner zum Regierungschef machen lassen. In eingefleischten Parteikreisen werde Ramsey noch immer als Verräter gesehen, so die BBC. Sein Bild hänge in diesen Parteilokalen zwar noch, allerdings verkehrt herum.

Unterstützung und Absagen

Miliband versuchte im Finish noch einmal das Wahlkampfthema Nummer eins, die Gesundheitspolitik, zu forcieren. Erneut brachte er ins Spiel, dass die Torys die Gesundheitsbehörde (NHS) unter anderem mit Privatisierungen zugrunde richten würden. Immerhin: Unterstützung erhielt er von Russell Brand, der vom Komiker ins Volkstribunenfach gewechselt ist und nach einem harten Interview mit dem Labour-Chef jetzt doch eine Empfehlung für ihn aussprach.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Labour von Herausforderer Ed Milliband und die Konservativen von Premier David Cameron liegen praktisch gleichauf - und beide haben keine Chance auf eine absolute Mehrheit.

Umgekehrt empfahl der eigentlich linksliberale „Independent“ - zum Ärger etlicher seiner eigenen Journalisten - eine Fortführung der Koalition von Konservativen und Liberaldemokraten. Damit bleibt der „Guardian“ die einzige große Zeitung auf der Seite Milibands, alle anderen sind im Lager der Torys.

Clegg wirbt mit Stabilität

Auch bei den kleineren Parteien wird versucht, die letzten Asse im Ärmel zu finden. Vizepremier Nick Clegg, mit seinen Liberaldemokraten die Überraschung der letzten Wahl, erlitt das klassische Schicksal des kleinen Koalitionspartners. Im Kampf gegen die Marginalisierung warnte er, wie der „Guardian“ berichtete, nun vor einer drohenden raschen Neuwahl, sollte er als Stabilitätsfaktor nicht auf der Regierungsbank sein. Wählerisch, ob er unter Cameron oder Miliband dient, ist er kaum.

Und der Shootingstar der Wahl, SNP-Chefin Sturgeon, nahm Camerons Fehdehandschuh auf. Sie sprach einer Tory-Regierung ihrerseits die Legitimität für ganz Großbritannien ab, sollte weder ihre SNP noch die walisische Plaid Cymru noch die nordirische SDLP mit in der Regierung sein.

Menschen in Cornwall sthehen vor einer Wahlwerbung

Reuters/Toby Melville

Wahlwerbung einmal anders

Auch Wähler taktisch?

Der Chef der UK Independence Party (UKIP), Nigel Farange, zieht mit seinen Mannen weiter landauf, landab, um Einwanderer und die EU für das Böse in der Welt verantwortlich zu machen. In einigen Wahlkreisen wird er damit ordentlich punkten, das politische Klima hat er bereits vergiftet - einen Überraschungserfolg wie bei der EU-Wahl wird er aber nicht mehr einfahren können. Am Dienstag musste UKIP einen Kandidaten zurückziehen, der gedroht hatte, seinen Tory-Rivalen zu erschießen, sollte dieser je der erste britische Regierungschef asiatischer Abstammung werden.

Bei so viel Wahltaktik sind auch die Wähler gefordert. Mehrere Zeitungen weisen darauf hin, in welchen Wahlkreisen strategisches Wählen einen Sinn ergeben könnte, wenn man ohnehin unentschlossen ist oder ein vermeintlich größeres Übel verhindern will. So hat der „Guardian“ eine interaktive Grafik der umkämpften Sitze online gestellt, der „Independent“ zeigt ebenfalls übersichtlich auf, in welchen Wahlkreisen welche Parteien noch knapp um den ersten Platz rittern.

Christian Körber, ORF.at

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