Fast 90.000 Tote in sechs Wochen
41 Tage lagen zwischen dem 29. März 1945, als die Rote Armee die Grenzen des heutigen Österreichs überschritt, und der Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai. So nah das Kriegsende in diesen Tagen war, so greifbar wurde noch einmal der Terror der Nazi-Herrschaft. In den sechs Frühlingswochen kamen in Österreich beinahe 90.000 Menschen ums Leben.
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Dass es nichts mehr zu gewinnen gab, musste im Frühjahr 1945 auch die Nazi-Führung längst gewusst haben. Umso mehr schien die Überzeugung zu herrschen, möglichst viele mit in den Untergang zu reißen. Ihre grausigsten und grausamsten Ausformungen erreichte diese Einstellung dort, wo das NS-Regime schon in den Jahren zuvor die Menschlichkeit mit Füßen getreten hatte.
Während die sowjetischen Truppen von Osten vorrückten zwangen SS-Truppen rund 28.000 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter zum Rückzug von der Baustelle des sogenannten Südostwalls. „Man hat die Menschen zuerst nach Graz in Sammellager gebracht“, so der Grazer Zeithistoriker Helmut Konrad in der Ö1-Sendung „Journal-Panorama“. Viele wurden bereits dort hingerichtet, die meisten aber zu Fuß Richtung Konzentrationslager Mauthausen geschickt. 23.000 starben bei dem Gewaltmarsch über die Eisenerzer Alpen - mehr dazu in science.ORF.at.
„Endphaseverbrechen“ als Machtdemonstration
„Das ist eines der schlimmsten Verbrechen, die der Zweite Weltkrieg auf österreichischem Boden gesehen hat“, so der Historiker. Und es war für das NS-Regime doch nur Routine. Ähnliche Zwangsräumungen führte die SS in zahlreichen Konzentrationslagern durch. „Evakuierungsmärsche“ nannte die NS-Führung das Vorgehen zynisch. Als „Todesmärsche“ gingen sie später in das historische Bewusstsein ein. Nach Schätzungen kamen im gesamten Deutschen Reich von Dezember 1944 bis Mai 1945 mindestens 240.000 Häftlinge ums Leben. Sie starben an Hunger und Erschöpfung oder wurden von den Wachtruppen erschossen.
All jene, die bereits zu Beginn der Märsche zu schwach waren, wurden noch in den Lagern getötet. In Österreich sollen das in den letzten Kriegstagen rund 7.000 Häftlinge gewesen sein. Genaue Zahlen fehlen. Zu den Gräueltaten der Nazis am Ende des Krieges gebe es in der Literatur nur Schätzungen, so die Historikerin Heidemarie Uhl im „Journal-Panorama“. „Endphaseverbrechen“ nennt sie die kumulierte Gewalt am Ende des Krieges. Das NS-Regime habe damit versucht, noch einmal seine Macht zu demonstrieren.
Das traf vor allem die Gefangenen und Zwangsarbeiter des Regimes. Doch der Furor der sterbenden Diktatur richtete sich auch nach innen. Wer sich dem Wahnsinn des nationalsozialistischen Endkampfes nicht anschließen wollte, rückte ins Visier der NS-Führung. Das traf Wehrmachtsdeserteure ebenso wie all jene, die sich für eine Kapitulation mit möglichst wenigen weiteren Opfern einsetzten.
Gescheiterte „Operation Radetzky“
In Wien arbeitete eine Gruppe österreichischer Gegner des Nazi-Regimes an einer friedlichen Übergabe der Stadt an die Sowjet-Truppen und bezahlten dafür mit dem Leben. Die „Operation Radetzky“ wurde verraten, die Verantwortlichen am 8. April in Floridsdorf auf Laternenmasten öffentlich gehängt.
APA/ORF.at
Der Krieg endete in Österreich nicht überall zur gleichen Zeit
„Ich habe mit den Bolschewiken paktiert“, stand auf den Schildern, die ihnen ihre Henker umgehängt hatten - fünf Tage bevor Wien schließlich zu einem hohen Preis von der sowjetischen Armee befreit wurde: 19.000 deutsche und 18.000 sowjetische Soldaten fielen laut Historikern bei der Schlacht um Wien. Insgesamt kamen in den letzten Kriegstagen auf österreichischem Gebiet rund 47.000 Soldaten und 10.000 Zivilisten ums Leben.
Propaganda bis zum Ende
Als am 13. April in Wien bereits die rote Fahne mit Sichel und Hammer wehte, erschossen SS-Männer in St. Pölten 13 Menschen - sie sollen mit den Sowjets Kontakt gehabt haben. Überhaupt hing in diesen letzten Tagen viel davon ab, wo man sich befand. Der Vormarsch der Alliierten geschah Schritt für Schritt. „Während in Wien schon die erste Zeitung erscheint, während die SPÖ schon ein paar Tage konstituiert ist, ist Mauthausen noch immer ein funktionierendes Konzentrationslager“, so Konrad. Dort, wo die Nazis noch die Macht hatten, nutzten sie diese. „Bis in die letzten Tage findet man noch Meldungen des NS-Propagandaapparats“, sagte Uhl.
41 Tage langes Kriegsende
Die Schau zu den letzten Kriegstagen in Österreich wurde am 16. April auf dem Heldenplatz in Wien eröffnet. Dort wird sie bis 3. Juli zu sehen sein. Von 12. Oktober bis 6. November gastiert sie in Graz.
Für die Ausstellung „41 Tage. Kriegsende 1945 - Verdichtung der Gewalt“ arbeitete die Historikerin gemeinsam mit ihrer Kollegin Monika Sommer und dem Zeithistoriker Konrad die Gräueltaten der letzten Kriegstage auf. Das Ziel war, die Ereignisse aus den „verschwiegenen, nicht erzählten Geschichten“ zu lösen und bewusst zu machen, sagte Uhl am Donnerstag vor der Eröffnung der Schau.
Schautafeln neben umstrittenem Denkmal
In Wien entschieden sich die Kuratoren für eine Zweiteilung des Schau. In der denkmalgeschützten Krypta des Äußeren Burgtors werden die letzten Kriegstage in Wien beleuchtet. Die Verantwortlichen haben sich dafür einen ideologisch nicht unbelasteten Ort ausgesucht.
APA/Herbert Neubauer
Ein erklärender Text soll helfen, das Denkmal des toten Soldaten einzuordnen
In der Krypta befindet sich das umstrittene Denkmal des toten Soldaten, das deutschnationalen Burschenschaften über Jahrzehnte hinweg als Pilgerstätte diente. Vor drei Jahren wurde im Sockel der Marmorskulptur ein nationalsozialistisches Huldigungsschreiben des Bildhauers Wilhelm Frass aus dem Jahr 1935 entdeckt. Ein erklärender Text soll nun für eine Kontextualisierung sorgen. An den Wänden der Krypta geben 41 ausgewählte Erinnerungssplitter bekannter Persönlichkeiten Einblick in die vielfältige Wahrnehmung der letzten Kriegstage.
Orte der Verbrechen
50 Meter weiter rücken im zweiten Teil der Ausstellung die Nazi-Gräuel der letzten Kriegstage in den Fokus. Zwölf Litfaßsäulen vor dem Weltmuseum Wien zeigen Orte, an denen die nationalsozialistische Menschenverachtung mörderische Gestalt annahm. Die zwölf thematisierten Verbrechensorte sind dabei nur ein kleiner Ausschnitt - insgesamt konnten rund 100 verschiedene solcher Orte identifiziert werden.
Auf Deutsch und Englisch werden die historischen Ereignisse beschrieben und in Beziehung zu großen Farbfotos von Stefan Olah gesetzt. „Die Aufgabe war, die Aufgeladenheit der Orte im Bild zu transportieren“, so Olah. Neben ihrer Geschichte verbindet die zwölf gezeigten Orte dabei noch ein weiterer Punkt: An keinem von ihnen wird an die dort begangenen Verbrechen erinnert.
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