136 Jahre nach dem Verlust
Boliviens Marine ist stark, 1.800 Mann fasst die „Armada“. Trainieren muss sie allerdings auf einem See, denn Bolivien hat keinen Meereszugang. Das soll sich nun ändern. Die Regierung reicht Klage ein. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag soll entscheiden, ob Chile Land abtreten und seinem Nachbarn einen souveränen Meereszugang gewähren muss.
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Am Montag begann das Verfahren. Außenminister David Choquehuanca fordert von Chile Verhandlungen zu „einer raschen und effektiven Einigung, die einen vollkommen souveränen Zugang zum Pazifischen Ozean gewährt“. Der Konflikt nahm seinen Ursprung vor über 130 Jahren. 1879 stürmte eine übermächtige chilenische Armee den Hafen von Antofagasta. Chile fühlte sich betrogen, da Bolivien - entgegen gültigen Verträgen - Steuern von der chilenischen Salpeterindustrie einzog. Fünf Jahre dauerte der sogenannte Salpeterkrieg. Am Ende hatte Bolivien rund 400 Kilometer Küste und damit den Zugang zum Meer verloren.
Langwierige Bemühungen
Im bolivianisch-chilenischen Vertrag wurde 1904 schließlich die genaue Grenzführung besiegelt. Die bolivianische Regierung um Evo Morales besteht auf einer Aufhebung des damals geschlossenen Vertrags. Er sei vom Kriegsgewinner diktiert und unter Druck unterzeichnet worden. In Chile beharrt man wiederum auf dem Friedensvertrag von damals.

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Morales bei den Feierlichkeiten am „Tag des Meeres“
Seit Jahrzehnten bemüht sich die Regierung in La Paz um einen Meereszugang. Bereits 2011 kündigte Morales eine Klage an. “Bolivien ist kein Staat ohne Meereszugang. Vielmehr ist Bolivien ein Land, das temporär seines Meeres- und Küstenzugangs beraubt wurde”, sagte er der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Man wolle keinesfalls die internationale Ordnung stören, fügte Morales hinzu. „Aber wir wollen, dass Chile verpflichtet wird, Verhandlungen zu führen.“
Zwei Fronten
Während Bolivien über keinen Meereszugang verfügt, hat Chile mehr als 6.000 Kilometer Küste. Trotzdem hat Chile die Forderung Boliviens entschieden zurückgewiesen. Der Zugang sei „für immer geschlossen“, sagte der chilenische Außenminister Heraldo Munoz 2014. Laut Chile ist der Internationale Gerichtshof nicht zuständig, da der „Vertrag über Frieden und Freundschaft“ von 1904 Bolivien ohnehin einen privilegierten Zugang zum Meer und verschiedenste Handelsvorteile in Höhe von 100 Mio. Dollar pro Jahr einräume. Die Bemühungen Boliviens sind trotzdem verständlich. Laut Weltbank kostet es ein Binnenland rund 3.000 Dollar, einen Standardcontainer zu verschiffen, einen Staat mit Meereszugang hingegen nur ein Drittel dieser Summe.

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„Tag des Meeres“
Außerdem ist die Debatte stark ideologisch aufgeheizt. An jedem 23. März trauert ganz Bolivien um seinen verlorenen Ozean. Der „Tag des Meeres“ ist der Todestag des Nationalhelden Eduardo Avaroa. Dieser ist nationaler Mythos. Bis zur letzten Minute soll er im Salpeterkrieg gekämpft haben. Sterbend schleuderte er den siegreichen Chilenen wütend entgegen: „Mich ergeben? Soll sich doch deine Großmutter ergeben. Verdammt!“
Der „Tag des Meeres“ ist Anlass für Tausende Paraden, Feierlichkeiten und Festakte. Die Häuser sind pompös geschmückt, die Gassen feinsäuberlich gekehrt. Der Präsident schwingt eine Rede. Das Militär zieht im Gleichschritt durch die Straßen, von Marschmusik begleitet. Die Menschen putzen sich fein heraus und marschieren stolz an der Urne mit der Asche Avaroas vorbei.

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Marinesoldaten des Binnenstaates mit der Urne Avaroas
Diese Zeremonie am „Tag des Meeres“ will der Anden-Staat Jahr für Jahr wiederholen. Und zwar so lange, bis Bolivien wieder einen Zugang zum Pazifik besitzt. Erst dann will man die Asche des Nationalhelden den Fluten des Ozeans übergeben. Bleibt abzuwarten, ob man diesmal - am Verhandlungstisch - auch ohne große Gesten erfolgreich sein kann. Damit die Marine Boliviens nach über 130 Jahren wieder im Meer trainieren kann.
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