Massaker klar als Völkermord bezeichnet
Die Äußerungen des deutschen Präsidenten Joachim Gauck zum Völkermord an den Armeniern haben eine diplomatische Krise mit der Türkei ausgelöst. „Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen“, erklärte das Außenministerium in Ankara am späten Freitagabend.
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Gauck hatte die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Ersten Weltkrieg am Donnerstagabend erstmals klar als Völkermord bezeichnet. Das Staatsoberhaupt setzte sich damit über Bedenken hinweg, dass die Einordnung des damaligen Geschehens als Völkermord die Beziehungen zur Türkei beschädigen könnte.
„Langfristige negative Auswirkungen“
Und tatsächlich reagierte die Regierung in Ankara entsprechend scharf: Gauck habe keine Befugnis, der türkischen Nation eine Schuld anzulasten, die den rechtlichen und historischen Fakten widerspreche, hieß es in der Mitteilung des Außenministeriums. Die Regierung warnte vor „langfristigen negativen Auswirkungen“ auf das deutsch-türkische Verhältnis.
Am Freitag hatte sich der deutsche Bundestag Gaucks Bewertung angeschlossen. „Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord“, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Redner aller Fraktionen teilten diese Einschätzung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) meldeten sich nicht selbst zu Wort.
Mit der Debatte verabschiedete sich die deutsche Politik von der weitgehenden Praxis, den Begriff Völkermord aus Rücksicht auf die Türkei zu vermeiden. Noch vor der Sommerpause will der Bundestag eine Erklärung zu den Gräueltaten verabschieden.
„Nichts ist vergessen“
Am Freitag wurde mit einer Schweigeminute und Ansprachen nahe der armenischen Hauptstadt Eriwan der Opfer des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich gedacht. Der armenische Präsident Sersch Sargsjan legte am Mahnmal für die Opfer der Gräuel Blumen nieder. „Nichts ist vergessen, nach 100 Jahren erinnern wir uns“, sagte er. Delegationen aus rund 60 Ländern kamen zu der Zeremonie an der zentralen Gedenkstätte.
Auch der russische Präsident Wladimir Putin und der französische Präsident Francois Hollande waren anwesend. Die Staatsgäste schritten einzeln zur ewigen Flamme und steckten eine gelbe Rose in einen Kranz in der Form einer Vergissmeinnicht-Blüte. Die violette Blume mit gelbem Kern ist ein armenisches Symbol für das Gedenken an den Genozid.
Hollande sagte, er verneige sich vor den Opfern. „Wir werden die Tragödie, die Ihr Volk erduldet hat, niemals vergessen“, versicherte er. Putin sagte, Massenmorde seien durch nichts zu rechtfertigen. „Die internationale Gemeinschaft muss alles tun, damit sich die tragischen Ereignisse von einst nicht wiederholen“, forderte er einen weltweiten Kampf gegen Völkermord.
Erdogan: „Teile den Schmerz der Armenier“
Die Türkei lehnt es strikt ab, die Gräueltaten trotz klarer dahingehender historischer Evidenz einen Genozid zu nennen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach den Nachfahren der Opfer sein Beileid aus. „An diesem Tag, der für unsere armenischen Bürger eine besondere Bedeutung hat, gedenke ich aller osmanischen Armenier mit Respekt, die unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges ihr Leben verloren haben.“
„Ich spreche ihren Kindern und Enkeln mein Beileid aus.“ Der türkische Staatspräsident sprach am Freitag in Zusammenhang mit den Massakern von „traurigen Ereignissen“. Erdogans Erklärung wurde anlässlich eines Gedenkgottesdienstes im armenischen Patriarchat in Istanbul veröffentlicht.
Beileid gilt „allen osmanischen Bürgern“
„Ich möchte noch einmal zum Ausdruck bringen, dass ich Euren Schmerz aufrichtig teile“, hieß es in der Mitteilung weiter. „Ich möchte auch, dass Ihr wisst, dass die Tore unserer Herzen den Enkeln der osmanischen Armenier auf der ganzen Welt weit offen stehen.“ Erdogan machte deutlich, dass sein Beileid nicht nur Armeniern gelte. „Mit Erbarmen und Respekt gedenke ich aller osmanischen Bürger gleich welcher ethnischen und religiösen Identität, die während dieses Krieges unter ähnlichen Bedingungen ihr Leben verloren haben.“
Fischer durch Botschafter vertreten
Der armenische Präsident Sargsjan dankte den Staaten, die die Massaker an bis zu 1,5 Millionen seiner Landsleute als Genozid anerkennen, darunter seit Kurzem auch Österreich. Bundespräsident Heinz Fischer, der nach Eriwan eingeladen war, ließ sich „aus Termingründen“ von einem Botschafter vertreten. Aus Österreich kam auch der SPÖ-Nationalratsabgeordnete Hannes Weninger: „Wir gedenken jener rund 1,5 Millionen Armenier, die in den Jahren 1915 und 1916 einem der ersten Genozide des 20. Jahrhunderts zum Opfer fielen“, erklärte er per Aussendung.
Weninger sprach auch die historische Verantwortung für den Völkermord an. Die österreich-ungarische Monarchie war im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet, wusste von dem Völkermord, schritt aber nicht dagegen ein.
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