„Pilgerreisen“ nach Gallipoli
Die Landung der Truppen der Entente-Mächte auf der Halbinsel Gallipoli hat eigentlich erst am 25. April 1915 begonnen. In der Türkei fanden die Feiern anlässlich des 100. Jahrestages trotzdem schon am Freitag statt - kein gänzlicher Zufall, wie es in Pressekommentaren dazu heißt. Am 24. April 1915 begann im damaligen Osmanischen Reich die Deportation und Ermordung Hunderttausender Armenier.
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Die Türkei weigert sich seit jeher, den Genozid als solchen anzuerkennen. Lieber erinnert man sich an Gallipoli und hält den Mythos lebendig. Bei der Schlacht besiegten die Osmanen das britisch-französisch-russische Bündnis. Die Entente-Mächte hatten die Halbinsel besetzen und von ihr aus zur Eroberung Konstantinopels (heute Istanbul) ansetzen wollen. Der Plan war gescheitert, auf beiden Seiten hatte es rund 100.000 Tote gegeben. Der Kommandierende auf osmanischer Seite war Mustafa Kemal Pasa, der spätere Republiksgründer Atatürk.
Umdeutung eines Mythos
Lange wurde in Zusammenhang mit Gallipoli die Rolle Atatürks und für das „Türkentum“ betont. In den letzten Jahren unter der islamisch-konservativen AKP-Regierung würden sich nun „die Koordinaten verschieben“, kommentierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“). Die AKP wolle das „Gedenken an die Dardanellen-Schlacht popularisieren und auch islamisieren“.
Immer mehr Schüler und Erwachsene besuchten den historischen Ort - und dabei würde ihnen „das tendenziöse Bild von einer ‚osmanisch-islamischen Abwehrschlacht gegen die Ungläubigen‘“ eingetrichtert, kritisierte der türkische Soziologe Ayhan Aktar via „FAZ“. Die kemalistische Lesart von der „glorreichen türkischen Armee“ werde damit für obsolet erklärt. Die Besichtigungen glichen, so Aktar, immer mehr religiösen Pilgerreisen.
Datumskollision „kaum zufällig“
Die Feiern zum Gallipoli-Jahrestag sollten „aber offensichtlich auch vom gleichzeitig stattfindenden Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern ablenken“, schrieb die „FAZ“. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, „der Einladungen an mehr als 70 Staatschefs schickte, besaß sogar die Dreistigkeit, seinen armenischen Amtskollegen einzuladen“.
Erdogan lehnt - und das ist auch offizielle türkische Position - den Begriff „Genozid“ oder „Völkermord“ für die Verfolgung und Ermordung von bis zu 1,5 Mio. christlichen Armenieren zwischen 1915 und 1917 ab. „Dass die Feier auf den Jahrestag zum Gedenken an den Armenier-Genozid fällt, ist kaum zufällig“, schrieb kürzlich die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“).
Doch vorsichtige Signale
Immerhin: Am Freitag sprach Erdogan den Nachfahren der Opfer der Massaker sein Beileid aus. „An diesem Tag, der für unsere armenischen Bürger eine besondere Bedeutung hat, gedenke ich aller osmanischen Armenier mit Respekt, die unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges ihr Leben verloren haben“, sagte er. „Ich spreche ihren Kindern und Enkeln mein Beileid aus.“
Der Staatspräsident sprach in Zusammenhang mit den Massakern von „traurigen Ereignissen“. Als erster türkischer Regierungsvertreter nahm EU-Minister Volkan Bozkir an einem Gedenkgottesdienst im armenischen Patriarchat in Istanbul teil. „Wir respektieren das Leid, das unsere armenischen Brüder erlebt haben“, sagte er anschließend vor Journalisten.
Dutzende Staatsgäste eingeladen
Schon am Donnerstag hatten Gedenkfeiern stattgefunden. „Alle an dieser Schlacht beteiligten Soldaten verdienen es, wegen ihres Muts mit Respekt behandelt zu werden“, sagte Erdogan dabei in Istanbul. „Die Soldaten kämpften an den Dardanellen mit Heldenmut und sie fielen mit dem gleichen Heldenmut“, sagte Regierungschef Ahmet Davutoglu. „Wir haben vor 100 Jahren Krieg geführt, aber jetzt sind wir hier versammelt, um gemeinsam den Frieden aufzubauen“, so Davutoglu weiter.

Reuters/Osman Orsal
Prinz Charles salutiert vor dem Gallipoli-Denkmal
Laut türkischen Medienberichten waren zu den Feiern in der Stadt Canakkale in der Region Marmara rund 70 internationale Staatsgäste geladen - darunter der britische Thronfolger Prinz Charles und die Regierungschefs von Australien und Neuseeland. Bei dem Angriff auf die Halbinsel 1915 waren zahlreiche australische und neuseeländische Soldaten beteiligt. Der Vatikan sagte seine Teilnahme ab - mehr dazu in religion.ORF.at.
In Australien Nationalfeiertag
Mit der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg wollten die Alliierten den Seeweg zum Schwarzen Meer kontrollieren und das Osmanische Reich entscheidend schwächen. Nach gescheiterten Seeangriffen landeten ab April 1915 mehr als 250.000 Briten, Australier, Neuseeländer und Franzosen auf der Halbinsel Gallipoli nördlich der Dardanellen. Doch die taktisch überlegene osmanische Armee schlug die Angreifer zurück. Es dürfte nach den Kämpfen über 100.000 Tote und rund eine Viertel Million Verwundete gegeben haben.
In Australien ist der Gallipoli-Jahrestag mit dem Eintritt australischer und neuseeländischer (ANZAC-)Truppen in den Ersten Weltkrieg der Nationalfeiertag. Allein am 25. April 1915 sollen mehr als 10.000 Australier und Neuseeländer gefallen sein.
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