Mehr Zusammenarbeit als erlaubt
Eine neue Spionageaffäre sorgt in Berlin für Wirbel. Bei den jüngsten Enthüllungen geht es um die fragwürdige Rolle des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) bei Spähaktionen des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA).
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Seit am Donnerstagnachmittag bekanntwurde, dass der BND für die NSA gezielt die Kommunikation europäischer Unternehmen und Politiker ausgehorcht hat, hagelt es Kritik. Betroffen sein sollen etwa der Rüstungskonzern EADS, der Hubschrauberhersteller Eurocopter und französische Behörden.
Im Rahmen der gemeinsamen Spionagetätigkeit habe der BND seit mehr als zehn Jahren IP-Adressen und Mobiltelefonnummern (Selektoren) von der NSA erhalten, um sie in die eigenen Systeme zur Überwachung verschiedener Weltregionen einzuspeisen, berichtete der „Spiegel“ (Onlineausgabe) am Donnerstag.
Keine Ermittlungen, aber „Prüfvorgang“
Die deutsche Regierung forderte vom BND volle Aufklärung. Bei dem Dienst seien „technische und organisatorische Defizite“ ausgemacht worden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Das Bundeskanzleramt hat unverzüglich Weisung erteilt, diese zu beheben.“ Die deutsche Bundesanwaltschaft dementierte unterdessen, dass sie wegen der neuen Spionageaffäre Ermittlungen eingeleitet habe. Das hatte zuvor der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), im ARD-„Morgenmagazin“ gesagt.
Die Behörde habe aufgrund von Medienberichten über Aktivitäten britischer und US-Nachrichtendienste in Deutschland im Juni 2013 einen „Prüfvorgang“ angelegt, so eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. „Mit Blick auf eine umfassende Sachverhaltsaufklärung beabsichtigt sie, im Rahmen dieses Prüfvorgangs auch die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages einzubeziehen.“ Die Sprecherin betonte zugleich: „Ein Zusammenhang zu den aktuell gegen den Bundesnachrichtendienst erhobenen Vorwürfen besteht nicht.“
SPD: „Skandal der Sonderklasse“
Politiker drängten auf rasche Aufklärung. Dem Kanzleramt scheine die Aufsicht über den BND völlig entglitten zu sein, sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi der „Berliner Zeitung“ (Wochenendausgabe). Das könne nicht ohne Folgen bleiben. „Ich schließe personelle Konsequenzen ausdrücklich nicht aus.“
Erst einmal brauche es aber eine gründliche Aufklärung. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sagte, wenn sich der BND zum Werkzeug der amerikanischen Geheimdienste gemacht habe, sei das ein „Skandal der Sonderklasse“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der „Bild“-Zeitung (Samstag-Ausgabe) auf, BND-Chef Gerhard Schindler „sofort zu entlassen“.
Harte Kritik der Linken
Linke-Parteichef Bernd Riexinger forderte Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wegen Landesverrats. „Der BND war offenbar jahrelang eine Art Zweigstelle des US-Geheimdienstes“, so Riexinger. Schindler müsse dafür die volle Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi warf dem Kanzleramt massives Versagen vor.
„Das Kanzleramt ist das Kontrollgremium. Entweder sie haben nichts gewusst, dann funktioniert die Kontrolle nicht“, so Gysi am Freitag im Deutschlandfunk. „Oder sie haben es gewusst, dann hätten sie sich an rechtswidrigen Handlungen beteiligt.“ Gysi forderte eine Umstrukturierung des BND, um solche Vorgänge in Zukunft zu verhindern. Zudem müsse geklärt werden, wer zu welchem Zeitpunkt über die Angelegenheit informiert gewesen sei.
CDU warnt vor vorschnellen Schlüssen
Dagegen warnte Sensburg davor, „dass man vorschnell den Stab über BND-Chef Schindler bricht“. „Die Verantwortung muss nicht zwingend bei der Amtsleitung liegen“, so der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses gegenüber dem „Spiegel“. Sensburg fügte hinzu, grundsätzlich glaube er nicht, „dass der BND Steigbügelhalter für die amerikanischen Geheimdienste war“. Der CDU-Politiker sprach sich aber zugleich für eine genaue Prüfung des Falls aus.
Auch Politiker sollen ausgespäht worden sein
Für den BND gelten strenge Regeln, wer überwacht werden darf und wer nicht. Laut „Spiegel“ fiel BND-Mitarbeitern seit 2008 wiederholt auf, dass einige der Suchbegriffe aus den USA dem Aufgabenprofil des BND zuwiderliefen und auch nicht von einer Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA aus dem Jahr 2002 zum gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus gedeckt waren. Stattdessen habe die NSA gezielt nach Informationen etwa über den Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS, dessen Hubschraubersparte Eurocopter und französische Behörden gesucht.
Der BND habe das offenbar nicht zum Anlass genommen, die Selektorenliste systematisch zu überprüfen. Erst im Zuge der NSA-Affäre im Sommer 2013 habe sich eine BND-Abteilung gezielt mit den NSA-Suchbegriffen befasst. Sie sei im Oktober 2013 zu dem Ergebnis gekommen, dass rund 2.000 der Selektoren eindeutig gegen westeuropäische und deutsche Interessen verstießen. Intern sei die Rede davon, dass auch Politiker gezielt und unrechtmäßig ausgespäht worden seien.
Kanzleramt erst unlängst informiert
Auch diesen Fund habe der BND jedoch nicht an das Kanzleramt als seine Aufsichtsbehörde gemeldet, berichtete das Magazin. Stattdessen habe der zuständige Unterabteilungsleiter die NSA gebeten, derartige Verstöße zu unterlassen. Das wahre Ausmaß der Affäre sei nun erst nach einem Beweisantrag der Grünen für den NSA-Untersuchungsausschuss bekanntgeworden. Bei einer erneuten Überprüfung der Selektoren sei der BND zu dem Ergebnis gekommen, dass sich bis zu 40.000 gegen westeuropäische und deutsche Interessen richteten. Darüber sei das Kanzleramt im März unterrichtet worden.
Laut „Spiegel“ informierte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU)am Mittwochabend die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste und des NSA-Ausschusses über den Fall. BND-Chef Schindler sei von der Sitzung ausgeschlossen worden. Der BND äußerte sich nicht zu dem Bericht.
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