„An Aussöhnung arbeiten“
Nachdem die Regierung der Türkei am Mittwoch gegen die Erklärung des Nationalrats zum Völkermord an den Armeniern 1915 protestiert hatte, hat Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) nun einen Appell an Ankara gerichtet.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Die Erklärung des österreichischen Parlaments ist zu respektieren“, so Kurz am Donnerstag in einem Statement. „Jetzt gilt es in die Zukunft zu schauen und an einer Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern zu arbeiten.“ Die sechs Parlamentsparteien hatten den vor hundert Jahren verbrochenen Massenmord an Armeniern im Osmanischen Reich als Genozid verurteilt.
Die Regierung in Ankara sah daraufhin die Beziehung zu Wien „dauerhaft beschädigt“, wie es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Ankara hieß: „Wir lehnen diese voreingenommene Haltung des österreichischen Parlaments ab.“ So ein Versuch, „anderen einen Vortrag zu halten“, habe „in der heutigen Welt keinen Platz“. Der türkische Botschafter wurde aus Wien zurückberufen.
Auswirkungen noch unklar
Nach Angaben eines Sprechers telefonierte Kurz am Donnerstag mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Dabei informierte er diesen, dass die Erklärung zu den Armeniern von allen Nationalratsparteien getragen worden sei. Zudem habe sich die Erklärung auch kritisch mit der Rolle des mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg verbündeten Österreich-Ungarn und somit auch mit der österreichischen Geschichte auseinandergesetzt. Wie aus dem Außenministerium verlautet, wurde von türkischer Seite bekräftigt, dass die Armenier-Erklärung Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen haben werde. Vorerst war aber nicht bekannt, welche Auswirkungen zu erwarten sind.
ORF-Reporter Winter zum Türkei-Eklat
Der türkische Parlamentspräsident sprach am Donnerstag von Parlamenten, die sich von feindlichen Kräften leiten ließen. Diesen Kräften gehe es um die Vernichtung der Türkei, berichtete ORF-Korrespondent Jörg Winter.
„Historische Verantwortung“
Nach Darstellung der Armenier starben 1915 bis zu 1,5 Millionen Armenier im Zuge einer gezielten Vernichtungskampagne der Regierung des Osmanischen Reiches. Die Türkei bestreitet dagegen, dass es sich um einen Völkermord handelte, und spricht von einigen hunderttausend Toten infolge von Kämpfen und Hungersnöten während des Krieges. Das Europaparlament bezeichnet die Ereignisse schon seit 1987 offiziell als Völkermord. Die EU-Kommission vermeidet dagegen den Begriff Völkermord.
In dem Text der Klubobleute Andreas Schieder (SPÖ), Reinhold Lopatka (ÖVP), Heinz-Christian Strache (FPÖ), Eva Glawischnig (Grüne), Waltraud Dietrich (Team Stronach) und Matthias Strolz (NEOS) heißt es: „Aufgrund der historischen Verantwortung - die österreich-ungarische Monarchie war im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet - ist es unsere Pflicht, die schrecklichen Geschehnisse als Genozid anzuerkennen und zu verurteilen.“ Und weiter: „Ebenso ist es die Pflicht der Türkei, sich der ehrlichen Aufarbeitung dunkler und schmerzhafter Kapitel ihrer Vergangenheit zu stellen und die im Osmanischen Reich begangenen Verbrechen an den Armeniern als Genozid anzuerkennen.“
„Diskriminierung aus religiösen Gründen “
„Es scheint, dass Österreich, mit dem wir auf der gleichen Seite im Ersten Weltkrieg gekämpft haben und das in der besten Lage sein sollte zu erkennen, dass diese große Tragödie nicht als ‚Völkermord‘ definiert werden kann, sich den Bemühungen gewisser Kreise gebeugt hat, die erpicht sind, die Wahrnehmung zu manipulieren, in völliger Missachtung von humanitären und konkreten Initiativen der Türkei“, heißt es in einer Stellungnahme des türkischen Außenministeriums, die am Donnerstag veröffentlicht und von der APA aus der englischen Version ins Deutsche übersetzt wurde.
„Die Tatsache, dass es die gemeinsame Erklärung nicht einmal für nötig erachtet, die Muslime zu erwähnen, die ihr Leben während des ganzen gleichen Zeitraums verloren, während sie die Leiden mit allen christlichen Gruppen teilten, ist ein trauriger und klarer Hinweis auf Diskriminierung aus religiösen Gründen durch Menschen, die behaupten, ihre Taten auf humanitärer Basis zu setzen“, so die türkische Stellungnahme. Abschließend heißt es, dass es „offensichtlich“ sei, „dass die Erklärung des österreichischen Parlaments bleibende Flecken auf der türkisch-österreichischen Freundschaft“ hinterlassen werde.
Protest auch von türkischen Verbänden
Die türkischen Verbände in Österreich sprachen bereits zuvor in Inseraten in mehreren Tageszeitungen von Kränkung und Enttäuschung wegen der Erklärung. Der Tenor der Parlamentsparteien war, man habe niemanden - auch die Türkei nicht - kränken wollen, aber die Wahrheit müsse ausgesprochen werden. Anfang des Monats hatte der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRKÖ) an Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) appelliert, die Republik Österreich möge endlich den Völkermord am armenischen Volk anerkennen und „damit dem Beispiel vieler anderer Staaten folgen“.
Mehr als 20 nationale Parlamente haben den Völkermord bisher anerkannt. Auch für einen Großteil der Historiker ist der Fall klar. Ein Argument Österreichs, die Gräueltaten nicht als Völkermord anzuerkennen, war bisher, dass die Massaker vor der UNO-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes 1948 verübt wurden. Freilich fand auch der Holocaust davor statt.
Experte sieht „Routinemaßnahme“
Die Abberufung des türkischen Botschafters aus Wien sei eine Routinemaßnahme gewesen, sagt der in Istanbul lebende Autor Jürgen Gottschlich. „Verglichen mit dem Aufruhr, den ähnliche Entscheidungen des französischen Parlaments vor mehr als zehn Jahren in der Türkei nach sich gezogen haben, ist die jetzige Reaktion nicht viel mehr als Routine“, sagte Gottschlich der APA am Donnerstag.
„Recep Tayyip Erdogan spielt zurzeit aus wahltaktischen Gründen die nationalistische Karte, tatsächlich war die AKP-Regierung ja schon 2009 bereit, zu einem Kompromiss mit Armenien zu kommen. Sie werden den Botschafter deshalb nach einigen Wochen still und leise wieder nach Wien zurückbeordern“, sagte der Autor, der als Korrespondent für deutschsprachige Medien in der Türkei arbeitet.
Links: