Funkpioniere auf Hawaii
1970 hat der Netzwerkpionier Norman Abramson einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er ein Funknetzwerk beschrieb, mit dem verschiedene Standorte der Universität von Hawaii an den Zentralrechner in Honolulu angebunden werden sollten. Er setzte damit einen Entwicklungsprozess in Gang, der auch heute noch wirksam ist.
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Abramson und sein Team von der Universität Hawaii hatten die Arbeit an ALOHAnet bereits im September 1968 aufgenommen. Den entscheidenden Schub erhielt das Projekt jedoch dadurch, dass Bob Taylor, der bis 1969 das Information Processing Techniques Office (IPTO) der US-Forschungsagentur ARPA geleitet hatte, kurz vor seinem Ausscheiden aus der Organisation noch Geld zum Aufbau des Funknetzwerks freigab, wie Katie Hafner und Matthew Lyon in ihrem Buch zur Geschichte des Internets „Where Wizards Stay Up Late“ (1996) schrieben.
Das Forschungsnetzwerk ALOHAnet sollte sieben Standorte der Universität Hawaii auf den Inseln Oahu, Kauai, Maui und Hawaii über Datenfunk im UHF-Band verbinden. Nutzer an den externen Standorten sollten sich am Zentralrechner, einer IBM 360/65 auf dem Hauptcampus der Universität nahe Honolulu auf der Insel Oahu, einloggen können - und zwar von allen externen Terminals gleichzeitig.
Verbindung zwischen Inseln
Daraus ergab sich die sternförmige Netzwerkarchitektur des ursprünglichen ALOHAnet mit dem Campus als Zentrum. Die Terminals konnten mit einer Geschwindigkeit von 9.600 bit/s mit dem Zentralrechner kommunizieren. Zum Vergleich: Schon die heute als vergleichsweise langsam empfundene Datenfunktechnik EDGE schafft bis zu 220 kbit/s.
In seinem Standardwerk „Computer Networks“ beschreibt Andrew S. Tanenbaum die zentrale Innovation des ALOHAnet, die laut Abramson bereits auf einer frühen Projektsitzung 1969 aufgekommen war: Die Terminals hatten keine exklusive Verbindung mit dem Großrechner, und die User konnten über eine gemeinsam genutzte Frequenz ohne Kontrolle der Zentrale ihre Daten senden, wann immer sie wollten, anstatt für jede Verbindung eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation über eine eigene Frequenz einrichten zu müssen.
Kollidierende Datenpakete
Die zu sendenden Daten wurden vor dem Abschicken in Pakete von normierter maximaler Größe zerlegt, die nach dem Abschicken ruhig miteinander kollidieren oder bei der Übertragung zerstört werden konnten. Passierte solch ein Fehler, sendete das System nach einem per Zufallsgenerator ermittelten Zeitraum die betroffenen Daten einfach nochmals - so lange, bis die Übertragung vollständig war.
Die Pakete wurden auf dem zentralen Campus von einem Rechner vom Typ Hewlett-Packard 2115A in Empfang genommen, der dem Zentralcomputer als Router vorgeschaltet war und den Datenverkehr managte. Der HP-Rechner wurde vom ALOHAnet-Team auf den Namen „Menehune“ getauft, „einem Elf aus einer hawaiianischen Legende“, wie Abramson in seinem Aufsatz von 1970 schreibt. Als Vorbild für Menehune dienten die Interface Message Processors (IMPs), die schrankgroßen ersten Router, die den Datenverkehr im Internetvorgänger ARPANET regelten.
Anbindung ans Festland
In den frühen 1970er Jahren begann sich das 1969 gestartete ARPANET auszudehnen. Abramson und sein Team waren natürlich daran interessiert, ihr Netz an den Internetvorläufer anzuschließen und ihre Methoden in der Kommunikation über Satellit auszuprobieren.
Netzwerkpionier Lawrence „Larry“ G. Roberts, Bob Taylors Nachfolger an der Spitze des IPTO, unterstützte das Projekt nicht nur mit eigenen Ideen, sondern auch mit Geld. Abramson schildert in seinem Aufsatz von 1985, wie er „irgendwann im Jahr 1972“ in Roberts’ Washingtoner Büro vorbeischaute, um mit ihm Verwaltungsangelegenheiten zu besprechen.
Die List mit der Liste
Als Roberts kurzfristig aus dem Zimmer gerufen wurde, blieb Abramson allein zurück und sah, dass auf einer der Tafeln im Büro eine Liste mit den Institutionen stand, die im Lauf des nächsten halben Jahres einen IMP und damit einen Anschluss ans ARPANET erhalten sollten, inklusive der exakten Installationsdaten. Da Abramson ohnehin mit Roberts über die Anbindung seines Funknetzes ans ARPANET via Satellit sprechen wollte, griff er kurzerhand zu einem Stück Kreide und schrieb sein Projekt mitsamt dem soeben erfundenen Installationsdatum 17. Dezember mit auf die Liste.
Als Roberts in sein Büro zurückkam, ging die Diskussion weiter, aber die Anbindung ans ARPANET wurde nicht mehr besprochen, und Abramson vergaß seine Notiz auf der Tafel. Umso größer war die Überraschung, als einige Monate später, Anfang Dezember 1972, ein Anruf in Abramsons Labor einging. Die IMP-Installateure waren dran und baten darum, an der Uni Platz für das frühe Router-Dickschiff zu machen. Pünktlich am 17. Dezember 1972 traf der IMP dann ein, und das ALOHAnet konnte an die Welt des ARPANET angebunden werden.
Kooperation mit der NASA
„ALOHAnet hatte die erste kommerzielle Satellitenanbindung, in der ein einzelner Sat-Sprachkanal dazu verwendet wurde, Daten mit einer Geschwindigkeit von 56 kbit/s zu übermitteln“, erinnerte sich Abramson. Allerdings sei diese Verbindung eben noch nicht paketvermittelt gewesen.
Diese Möglichkeit kam erst 1973, als sich das ALOHAnet mit dem Ames-Forschungszentrum der NASA, der Universität von Alaska, der Universität von Sydney und zwei japanischen Universitäten über den Satelliten ATS-1 zum Forschungsnetzwerk PACnet zusammenschloss. PACnet erreichte Übertragungsgeschwindigkeiten von 9.600 bit/s, wobei für damalige Verhältnisse preisgünstige Funkbodenstationen verwendet wurden.
Das Erbe des ALOHAnet
Die Protokolle und Ideen, die im ALOHAnet rund um das Prinzip der paketvermittelten Datenkommunikation entwickelt wurden, stecken auch heute noch in jedem Computer. Verantwortlich dafür ist Robert Metcalfe, laut Abramson „wahrscheinlich der erste Mensch, der den Unterschied zu schätzen wusste, der zwischen den leitungs- und paketvermittelten Netzwerken einerseits und der Broadcasting-Architektur des ALOHA-Systems bestand“. Metcalfe behandelte das Thema in seiner Dissertation an der Universität Harvard und ging auch nach Hawaii, um mit dem ALOHA-Team zu arbeiten.
Ethernet entsteht
Im Forschungszentrum von Xerox im kalifornischen Palo Alto (PARC) arbeitete man damals an einem revolutionären Konzept für einen Arbeitsplatz-PC, dem Alto. Metcalfe wurde damit beauftragt, ein Netzwerksystem für den Alto zu entwerfen. Dabei griff er auf seine Erfahrungen mit dem ALOHA-System zurück, nur dass die Datenübertragung bei ihm über Kabel ablief, wesentlich schneller war und auch eine Kollisionserkennung hatte.
Im Mai 1973 taufte Metcalfe sein System auf den Namen Ethernet. Auch der Netzwerkadapter in den modernsten PCs funktioniert auf Grundlage der Ethernet-Technologie. Das kleine Funknetz, das Abramson und sein Team sich vor 45 Jahren auf Hawaii ausgedacht haben, strahlt also sehr weit in die Computergeschichte aus.
Günter Hack, ORF.at
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