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„Jahrzehntelange Untätigkeit“

Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz haben deutliche Kritik an der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland geübt. „Wir kritisieren die jahrzehntelange Untätigkeit der deutschen Justiz und ihr Desinteresse, Gerechtigkeit herzustellen“, sagte am Montag Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee, einem Zusammenschluss von Auschwitz-Überlebenden und ihren Organisationen.

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Wegen Beihilfe hätte immer schon verhandelt werden können und müssen, nicht erst seit dem Prozess gegen KZ-Aufseher John Demjanjuk, monierten die Nebenklägeranwälte Thomas Walther und Cornelius Nestler in Lüneburg beim aktuellen Prozess gegen Oskar Gröning. Die beiden vertreten 53 der insgesamt 62 Nebenkläger, darunter Überlebende und Angehörige von Opfern. Seit einem Urteil von 2011 gegen Demjanjuk besteht die Justiz nicht mehr darauf, eine direkte Beteiligung an den Mordtaten nachzuweisen.

„Es geht nicht um Rache“

„Ohne Begründung wurden Verfahren eingestellt“, kritisierte Nestler. „So wurde das 1985 eingestellte Verfahren gegen Gröning noch 2005 mit der nicht zu vertretenden Begründung nicht wiederaufgenommen, dass SS-Wachmannschaften an der Rampe für die Ermordung Hunderttausender Juden überflüssig waren.“

„Es geht nicht um Rache“, betonte die Auschwitz-Überlebende Eva Pusztai-Fahidi aus Budapest. „Es geht weniger um die Strafe, es geht um das Urteil. Wichtig ist, dass es die Gesellschaft zur Kenntnis nimmt“, sagte sie. Ähnlich sah es auch die Überlebende Hedy Bohm aus Toronto: „Für Gerechtigkeit ist es nie zu spät - lieber spät als nie“, sagte sie. „Hier Zeugnis abzulegen ist das Beste, was wir tun können.“

Hoffnung auf Gerechtigkeit

„Das ist ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben, dass ein SS-Mann in Deutschland vor Gericht steht“, sagte Bohm. „Das ist wichtig auch für kommende Generationen.“ Gröning sei Teil der Vernichtungsmaschinerie gewesen, darauf komme es in diesem historischen Moment an. „Ich hoffe auf Gerechtigkeit“, sagte Bohm.

„Der Schrecken wirkt fort in die nachfolgenden Generationen“, sagte Judith Kalman, deren Halbschwester mit sechs Jahren in Auschwitz ermordet worden war. Der Prozess sei für sie eine Gelegenheit, an die Leiden ihrer Familie zu erinnern. „Ich verdanke mein Leben einem toten Kind“, sagte sie mit Blick auf die zweite Familie ihres Vaters.

„Wir fordern eine späte Gerechtigkeit“, hatte Heubner vorab erklärt. „70 Jahre nach dem Ende ihrer Leidenszeit in Auschwitz erwarten die Überlebenden diesen Prozess mit großem Interesse und Beklemmung“, sagte er. „Sie haben auf die Gelegenheit, Zeuge in einem deutschen Gerichtssaal zu sein, lange, lange gewartet.“

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